Durch Zufall aufgeflogen

Die Lücke im Sicherheitssystem geht auf das Konto der USA: Die mutmaßliche Terroristin war Zivilangestellte der US-Streitkräfte

von KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Die Innenpolitiker streiten sich schon: Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) glaubt, dass ein Türke und eine US-Amerikanerin, die am Donnerstag in Walldorf festgenommen wurden, weil sie einen Sprengstoffanschlag auf ein Einkaufszentrum der US-Streitkräfte in Heidelberg vorbereitet haben sollen, „Einzeltäter“ gewesen seien. Dieser Einschätzung widersprach der bayerische Innenminister, Günther Beckstein (CSU), heftig. Zwar würde es noch keine konkreten Hinweise geben, räumte Beckstein ein, doch er sei sich sicher, „dass es sich um eine Gruppe handelt“. Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) sattelte gleich noch eins drauf: Ausländer seien bereits „bei Verdacht auf Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung“ sofort auszuweisen. Wahlkampf pur.

Dabei geht die Lücke im Sicherheitssystem diesmal ganz offensichtlich auf das Konto der militärischen Dienste der USA. Denn in dem Supermarkt auf dem Gelände des Hauptquartiers der US-Streitkräfte in Heidelberg, der Ziel des Anschlags werden sollte, arbeitete die US-Staatsbürgerin, die zusammen mit ihrem Verlobten das Attentat vorbereitet haben soll, seit Jahren unbehelligt von den US-Sicherheitsbehörden an der Kasse. Dabei habe sie aus ihrer antisemitischen Grundhaltung nie einen Hehl gemacht, wie Kolleginnen der Zivilangestellten jetzt berichteten. Und sie habe mehrfach „Bewunderung“ für Terroristenführer Bin Laden geäußert.

Bis zu ihrer Festnahme lebte die 23 Jahre alte Frau, die auch Zugang zu anderen Bereichen des Hauptquartiers der US-Streitkräfte und der Nato (Europa Mitte) hatte, mit dem zwei Jahre älteren Türken in einer Wohnung zusammen, der als „Amerika- und Judenhasser“ gilt. Der in Deutschland geborene Türke arbeitete in einer Chemiefabrik in Karlsruhe.

Dort soll er rund 130 Kilogramm explosive Chemikalien entwendet haben, wie der baden-württembergische Innenminister, Thomas Schäuble (CDU), am Wochenende erklärte. In der Wohnung in Walldorf hätten die Beamten nicht nur Sprengstoff gefunden, sondern auch fünf Metallhülsen für die Herstellung von Rohrbomben und elektronische Bauteile für die Zünder – und ein Bild von Bin Laden. Gegen die beiden mutmaßlichen Terroristen wurde umgehend Haftbefehl erlassen. Sie sitzen in einem Gefängnis in Baden-Württemberg ein. Der Türke wird dort von deutschen Kriminalbeamten verhört, die US-Amerikanerin von den US-Sicherheitsbehörden.

Das Shoppingcenter auf dem Gelände des US-Hauptquartiers wird täglich von tausenden GIs und ihren Familien frequentiert. Rund 20.000 US-Amerikaner leben in Heidelberg und Umgebung. Während an anderen Standorten in Deutschland US-Soldaten abgezogen und auch ganze Stützpunkte geschlossen wurden, stockte man in Heidelberg personell auf – nicht zuletzt wegen der Doppelfunktion des Standortes als US- und Nato-Kommandozentrale.

„Kommissar Zufall“ verhinderte das wohl für den 11. September geplante Blutbad dort. Die Behörden jedenfalls wussten von nichts, nicht die deutschen und auch nicht die US-amerikanischen. Die Sache flog auf, weil die mutmaßliche Terroristin einer Kollegin aus dem Supermarkt riet, sich in den nächsten Tagen von dort fern zu halten, weil „etwas passieren“ könnte. Die Kollegin alarmierte daraufhin die US-Militärpolizei, die wiederum die deutschen Polizeibehörden informierte.

„No comment!“, hieß es am Samstag im US-Hauptquartier nach Fragen zur aktuellen Lage. Dass die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt wurden, war indes nicht zu übersehen. Schwer bewaffnete Soldaten kontrollierten jetzt auch die Besucher des Einkaufszentrums und ihre Autos. Es gab lange Fahrzeugschlangen vor den Toren zum Gelände.

In Walldorf können die Nachbarn des Paares kaum glauben, dass der Türke ein islamistischer Terrorist sein soll: „Der war locker drauf“, sagt einer. „Der hörte Rapmusik, trank Bier, rauchte Haschisch!“ Tatsächlich ist der Verdächtige wegen Drogendelikten vorbestraft. Alles Tarnung? Eine Nachbarin, die auch Kollegin der mutmaßlichen Terroristin ist, erwähnt die Fußmatte vor der Wohnung: Ganz US-amerikanisch seien da die Comicfiguren „Sylvester und Tweety“ drauf.