Zeichenwüsten, die zu Bildern werden

Malen mit Buchstaben, das ist ASCII-Kunst. Eine Ausstellung zeigt die Erzeugnisse dieser Computersubkultur

Raumschiffe aus Buchstaben, Kühe aus Buchstaben, Blumengebinde aus Buchstaben, Darth Vader aus Buchstaben – eine kleine Ausstellung zeigt nur Bilder, die aus Buchstaben und Sonderzeichen zusammengesetzt sind, die so genannte ASCII-Art.

Die Präsentation, die in der ehemaligen Universitätsbuchhandlung an der Spandauer Straße von einem kunstgeschichtlichen Projekttutorium der Technischen Universität Berlin organisiert wird, stellt eine der merkwürdigsten Subkulturen aus der an Merkwürdigkeiten nicht gerade armen Computerkulturszene vor. ASCII-Art ist ein seltsamer Bastard aus Computerspielerei, konkreter Poesie, Graffito und experimenteller Literatur. Seit über zwanzig Jahren übt sich eine ganze Computersubkultur in der schönen Kunst, Bilder aus Buchstaben zu machen. In der „wirklichen Welt“ ist diese Szene kaum bekannt, von der Kunstwelt ganz zu schweigen. Aber im Internet gibt es ungezählte Websites und Foren, in denen unermüdlich neue ASCII-Art gezeigt und diskutiert wird.

ASCII ist die Abkürzung für American Standard Code for Information Interchange, eine Sammlung von 128 Buchstaben und Sonderzeichen wie %,&,? oder §, die sich auf jeder Computertastatur finden und von jedem Rechner verstanden werden. Der Standard wurde 1963 vom American National Standards Institute (ANSI) eingeführt. Die ASCII-Art, die diese Buchstaben und Sonderzeichen nutzt, um mit ihnen Bilder und Grafiken zu produzieren, stammt aus der Zeit, als die meisten Computerbildschirme noch keine Bilder anzeigen konnten. Um überhaupt visuelle Elemente in der Buchstabenwüste aus Code und Befehlen auf dem Monitor anzeigen zu können, behalf man sich mit den Buchstabenbildern. Obwohl das inzwischen nicht mehr notwendig ist, gibt es nach wie vor eine riesige und internationale ASCII-Art-Szene.

Beim normalen Computeruser sind allenfalls die so genannten Emoticons angekommen, die kleinen Buchstabensymbole, die in E-Mails Gefühle signalisieren sollen: ;-) zum Beispiel. Auch in den Cyberpunk-Film „Matrix“ taucht ASCII-Art auf: Die Titel des Films entstehen aus über die Leinwand rieselnden Buchstaben im historischen Monitorgrün, und auch die Hauptfigur Neo (Keanu Reeves) erkennt bei einer Verfolgungsjagd in einer Art Vision, dass seine ganze Umwelt eigentlich nur aus ASCII-Code besteht.

Die Ausstellung „Uniting through Standards“ zeigt nun eine Auswahl von Werken aus dieser digitalen Kunstgattung. Von der Decke hängt auf Endlospapier ausgedruckte ASCII-Arbeiten, an einer Reihe von Computern kann man Spiele, Filme und interaktive Arbeiten ansehen. Das Niveau reicht von Knapp-über-Toilettenschmiererei bis zu Arbeiten von Künstlern, die schon an der documenta teilgenommen haben. Die erste Web-Arbeit „%20location“ des holländisch-belgischen Netzkunstduos Jodi (www.jodi.org), die aus zermörserter ASCII-Art besteht, ist sowohl auf einem Computermonitor als auch als Ausdruck zu sehen. Alexei Shulgins „XXX“ spielt mit enttäuschten Benutzererwartungen: Auf einer pseudopornografischen Seite sind alle Sexbildchen in einer jugendfreien ASCII-Version zu sehen.

Aber ASCII-Art beschränkt sich schon lange nicht mehr auf statische Bilder. Auch das historische Computerspiel „Space Invaders“ kann man in einer „Text Only“-Version aus dem Web herunterladen. Selbst Filme wie etwa der Sexfilm „Deep Throat“ oder „Krieg der Sterne“ sind in einer ASCII-Version im Internet zu finden. Einen fast pointillistischen Effekt erzeugt der @sciifyer, auf dessen Website ununterbrochen und automatisch Pin-up-Bilder zu Buchstabenwüsten verarbeitet werden.

Es dürfte kein Zufall sein, dass bei vielen ASCII-Arbeiten der menschliche Leib – und sei es auch nur in Form von pornografischen Bildern – eine Rolle spielt. So konfrontieren die ASCII-Künstler die Unsinnlichkeit des Textes mit der Sinnlichkeit des Körpers. „ASCII-Art steht in einer kunstgeschichtlichen Tradition der Auseinandersetzung von Zeichen und Bild“, meinen die Initiatoren der Ausstellung. Ein Rückblick auf die lange Geschichte des Schriftbildes, die bis in die Antike zurückreicht, bietet die Berliner ASCII-Ausstellung allerdings nicht; auch nahe liegende Verweise auf die konkrete Poesie, die „befreite Sprache“ der Futuristen oder die Experimente mit neuen Buchstaben durch die französischen Lettristen fehlen. Den gegenwärtigen „state of the ASCII-Art“ dokumentiert die Show allerdings recht umfassend und auf amüsante Art und Weise. TILMAN BAUMGÄRTEL

Bis 14. 9., täglich 14–21 Uhr, im BGF, Spandauer Str. 2, 10178 Berlin