„Trost kann ich nicht bieten“

„Land of the dead“, „The Mercy Seat“: Ein Gespräch mit dem US-Dramatiker und Filmemacher Neil LaBute, dessen Stücke zum 11. September alles andere als Betroffenheitsgeschichten erzählen

Interview CHRISTIANE KÜHL

taz: Mr. LaBute, Ihre Helden sind zynisch und politisch inkorrekt. Nun haben Sie ein Stück geschrieben, das morgen in New York uraufgeführt wird, auf der großen Benefizveranstaltung „Brave New World“. Ist das der endgültige Beweis der These, dass nach dem 11. September nichts mehr so ist, wie es einmal war?

Neil LaBute: Sollten Sie das wünschen, muss ich Sie enttäuschen. „Land of the Dead“ ist kein tröstendes Stück. Es erzählt von den letzten ein, zwei Stunden, bevor die Flugzeuge in die Türme rasen. Ich war nicht in New York zu der Zeit, also kann ich nicht die große New-York-Geschichte erzählen. Was mich interessierte, war das Davor: die Vorstellung, dass Menschen an diesem schönen Morgen des 11. September ganz normal ihren Geschäften nachgingen, Dinge erledigten … und dann passierte etwas, was all ihre Pläne – stoppte.

Über das ganz Normale haben Sie vermutlich nicht geschrieben.

Das Stück erzählt von einem Paar, das sich für eine Abtreibung an diesem Morgen entschieden hatte. Als die Frau mittags nach Hause kommt, findet sie eine Nachricht des Mannes auf dem Anrufbeantworter: „Hey, vielleicht sollten wir das Kind doch bekommen.“ Aber da ist es zu spät. Sie war in der Klinik und er im Büro – im World Trade Center. Diese Nachricht ist das Letzte, was sie je von ihm hört. Bittersüß kann man das wohl bestenfalls nennen.

Bittersüß? Das klingt doch nach einer astreinen Tragödie!

Nennen wir es eine andere Perspektive auf den Tod. Die definitiv nichts zu tun mit diesem „We are one America, weil wir alle das Gleiche durchmachen mussten“.

In das Brave-New-World-Projekt sind rund 50 renommierte Theatermacher involviert. Hat das mit gutem Willen zu tun oder mit einem erwachenden künstlerischen Drang, sich mit den Angriffen und ihren Konsequenzen auseinander zu setzen?

Ich glaube, mit beidem. Die meisten Teilnehmenden kommen aus New York und werden ganz anders als ich an die Sache herangehen. Wissen Sie, ein paar Tage nach den Anschlägen musste ich in Chicago einen Zug nehmen, aber alle Züge waren überfüllt. Keiner nahm den Flieger. Da fuhr es mir durch den Kopf, wie unbequem diese Anschläge doch waren. Natürlich wusste ich, dass das ein furchtbarer Gedanke ist – aber das änderte nichts daran, dass ich ihn dachte.

Darf man so einen Ton ein Jahr nach der Katastrophe auch auf der Bühne anschlagen?

Ich arbeite gerade an einem sehr dunklen Stück, „The Mercy Seat“, das ich im Herbst mit Sigourney Weaver und, hoffentlich, Aaron Eckhart in New York zeigen werde. Es spielt am 12. September und ist nicht voller Wärme, sondern Skepsis darüber, wie Leute auf Katastrophen reagieren. In diesem Fall selbstsüchtig, nicht großzügig. Man wird sehen, wie die Leute solch ein zynisches Stück annehmen – zynisch nicht in Bezug auf die Anschläge, aber in Bezug auf die Reaktion darauf. Vielleicht wird das Publikum es hassen – aber daran bin ich gewöhnt.

Die erschienenen Stücke zum Thema – Israel Horovitz’ „Drei Wochen nach dem Paradies“ und Anne Nelsons „The Guys“ – sind dramatisierte Betroffenengeschichten. Sind Sie derzeit der einzige amerikanische Dramatiker mit einem anderen Ansatz?

Ich glaube, eine Komödiantin namens Reno zeigt auch ein Stück zum Thema, allerdings auch durch ihre direkten Erlebnisse gefiltert. Die Anschläge haben alle sehr tief berührt – und gleichzeitig waren sie unsere Einführung in die aktuelle Weltpolitik. So schlimm wie sie waren, waren sie auch ein Weckruf.

Kommt dem Künstler in Krisenzeiten eine besondere Aufgabe zu? Muss er dann „relevante“ Kunst machen?

Nein. Es gibt keine Verantwortung, etwas sagen zu müssen.

Was hat Sie veranlasst, über den 11. September zu schreiben?

Ich habe mich nie hingesetzt, um mein 9-11-Play zu verfassen. Aber als ich „The Mercy Seat“ schrieb, geschah etwas Merkwürdiges: Es floss aus mir heraus. Ein Zwei-Personen-Stück, in dem die Personen Vor- und Nachnamen tragen, das an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit spielt. Das ist ganz anders als die Skripts, die ich vorher geschrieben habe.

Hat der Terror Ihren Begriff von Brutalität erweitert?

Nein, wahrscheinlich nur bestätigt: dass Dinge ganz wahllos passieren und wir nur hoffen können, den Grund zu erfahren. „Warum?“ ist immer die große Frage, und wir schreien sie heraus. Aber manchmal kriegen wir eben nur das Echo zurück statt einer Antwort.

Sie sind Mormone und sehr interessiert an den religiösen Grundfesten wie Sünde, Rache, Verdammung. Klingt fast, als seien Sie prädestiniert, ein Stück über Selbstmordattentäter und den „clash of cultures“ zu schreiben.

Vielleicht will ich das auch. Es ist immer faszinierend, wenn Gewalt aus Religion entspringt, also wenn etwas universell für gut Gehaltenes der Ursprung von Hass und Trauer wird.

Brave New World ist eine Solidaritätsveranstaltung für die Opfer des Terrors. Halten Sie ein ähnliches öffentliches Auftreten von amerikanischen Künstlern für möglich, um im drohenden Irakkrieg Stellung zu beziehen?

Ich weiß nicht, ob es einen Aufschrei gäbe, wenn Soldaten nach Bagdad flögen. Über die Beurteilung des 11. 9. herrscht Einigkeit, in der Kriegsfrage sind die Leute gespalten. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass es ein wachsendes Gefühl von „Wir müssen uns einmischen“ gibt.