Die lästigen Bürgerrechte

Seit dem 11. September versucht die Bush-Regierung, verfassungsgemäße Grundrechte auszuhebeln: Verdächtige können ohne Anwalt unbegrenzt festgehalten werden, Bürger sollen Bürger bespitzeln

von MICHAEL STRECK

Die Freiheit ist ein kostbares Gut in den USA. In kaum einem anderen Land ist das Konzept der Freiheit so untrennbar mit der Staatsbürgerschaft verbunden. Jeder Versuch, sie einzuschränken, stößt auf energischen Widerstand. Dennoch hat die Bush-Administration seit dem 11. September erschreckende Vorstöße in dieser Richtung unternommen in der Hoffnung, der Eindruck der Terroranschläge habe den Widerstand geschwächt. „Bush und Justizminister Ashcroft gehen rücksichtslos über Bürgerrechte hinweg“, ist das Fazit einer Studie des liberal-konservativen Cato-Instituts in Washington.

Gefährlicher Rechtsweg

Bestes Beispiel ist der Beschluss der Regierung, so genannten „feindlichen Kämpfern“ – eine Gefangenen-Kategorie, die von der Bush-Regierung während des Militäreinsatzes in Afghanistan erfunden wurde – verfassungsgemäße Grundrechte zu verweigern. Sie erhalten keinen Zugang zu einem Anwalt und können ohne Anklage unbegrenzt festgehalten werden. Der Präsident hat sogar zwei US-Staatsbürgern diesen Status zugesprochen: Yaser Esam Hamdi, einem in Louisiana geborenen Taliban-Kämpfer, der nun in einem Militärgefängnis in Virginia sitzt, und Jose Padilla, einem in Chicago verhafteten Amerikaner, der einen Anschlag in den USA mit einer „Dirty Bomb“ vorbereitet haben soll.

In beiden Fällen versucht die US-Regierung zivile Gerichtsverfahren zu vermeiden. Sollte sie sich damit durchsetzen, kann sie „feindliche Kämpfer“ hinter Gitter bringen und muss sich nicht mehr mit komplizierten Verfahren herumschlagen.

Ein ähnliches Verlangen, rechtliche Verpflichtungen zu ignorieren, zeigt die Regierung bei Auslieferungsverfahren. Werden mutmaßliche Terroristen in einem anderen Land festgenommen, überstellt der CIA sie gern in Staaten wie Ägypten oder Jordanien, wo sie mit Methoden verhört werden können, die in den USA selbst illegal sind, wie zum Beispiel Folter.

Der anfängliche Widerstand der Regierung, die mittlerweile rund 600 Gefangenen auf dem kubanischen Militärstützpunkt Guantánamo als Kriegsgefangene gemäß der Genfer Konvention zu behandeln, war ein weiterer Versuch, lästige Rechtsnormen auszuhebeln. Noch deutlicher wird dies jedoch in Bushs Anweisung, Militärtribunale zu errichten, um mutmaßliche Terroristen anzuklagen. Dieser Schritt offenbart ein tief greifendes präsidentielles Misstrauen in das US-Justizsystem. Zudem verleiht es dem Präsidenten eine unangefochtene Autorität, jene zu benennen, die vor Militärtribunalen angeklagt werden.

Der Buchhändler informiert

Bürgerrechtler beklagen überdies die Geheimhaltungspolitik der Regierung. Die Cato-Studie wirft der Regierung geheime Vorladungen, Verhaftungen, Prozesse und Deportationen vor. Die Organisation Human Rights Watch berichtete, dass rund 1.200 Menschen ohne US-Staatsbürgerschaft im Zusammenhang mit Untersuchungen zu den Terroranschlägen klammheimlich verhaftet worden seien. Die Unschuldsvermutung werde verdreht: Das Justizministerium behielt sie so lange in Haft, bis es entschied, dass sie keine Verbindungen zu Terrorgruppen hatten. Viele seien anschließend ausgewiesen worden.

Alarmierend ist auch die weit reichende Dimension der Antiterrormaßnahmen. Das FBI verfolgte und befragte bislang willkürlich über 5.000 Muslime und Amerikaner arabischer Herkunft und muss sich ethnische Diskriminierung vorwerfen lassen. Das Terrorinformationsprogramm Tips will Millionen von Bürgern animieren, Nachbarn und Geschäftskunden auszuspionieren. Neue Gesetze erlauben der Polizei, vertrauliche Daten aus Unternehmen und Universitäten anzufordern. Selbst Bibliotheken und Buchläden sollen über ihre Kunden Auskunft geben.

Viele Bürgerrechtler glaubten bislang, die USA hätten ihre Lektionen aus der Geschichte gelernt. Niemand bestreitet mehr, dass es ungerechtfertigt war, Amerikaner japanischer Abstammung während des Zweiten Weltkrieges zu internieren oder in der McCarthy-Ära eine Hexenjagd auf vermeintliche Kommunisten zu veranstalten. Vergleichbares geschehe nicht mehr, wurde gehofft. Die Hoffnung könnte enttäuscht werden.