Bombe gegen die Putin-Faschisten

In Russland hetzt ein staatstragender Jugendverband gegen alles „Ungesunde“ und „Fremdartige“: Ausländer, Linke, Homosexuelle, moderne Schriftsteller. Jetzt wurde auf den Sitz der „Putin-Komsomol“ genannten Truppe ein Anschlag verübt

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Wer steckt hinter dem Bombenanschlag, der gestern auf das Hauptquartier der Putin huldenden russischen Jugendorganisation Iduschtschie Wmeste in Moskau verübt wurde und erheblichen Sachschaden verursachte? Der Jugendverband weiß schon: Nur Anhänger des Schriftstellers Wladimir Sorokin können den Sprengsatz gelegt haben. Damit eskaliert eine der schillerndsten Politaffären Russlands.

Iduschtschie Wmeste, auf Deutsch „die Zusammengehenden“, hatte vor kurzem Sorokin wegen Verbreitung von Pornografie in seinen Werken verklagt. Im Oktober wird ein Moskauer Gericht den Fall behandeln. Der Verband ist spezialisiert auf öffentliche Aktionen: Zuletzt entsorgten seine Aktivisten Bücher von Sorokin im Moskauer Stadtzentrum in einer eigens gefertigten großformatigen WC-Plastikschüssel. Das Klobecken ging jetzt bei dem Bombenanschlag zu Bruch.

„Poschlost“ Geschmacklosigkeit – pflegten gebildete Russen dergleichen früher zu nennen, doch diese kommen in Moskau immer seltener zu Wort. Die „Zusammengehenden“ haben die Säuberung und Reinhaltung der russischen Kultur auf ihre Fahnen geschrieben. Nicht zufällig führt der Verein in seinem Titel den Zusatz „Mithilfe bei der Jugenderziehung“. So recht wollte es niemand glauben, als die Organisation am 8. Mai 2001, dem ersten Jahrestag der Amtseinführung Wladimir Putins, zum ersten Mal Moskaus Innenstadt belagerte. Tausende Jugendliche waren aus allen Teilen des Riesenreiches herangeschafft worden, fast alle trugen das gleiche T-Shirt mit Putin-Porträt vor den Farben der russischen Trikolore. Sie huldigten ihrem abwesenden Idol nicht wie einst der kommunistische Komsomol in schwülstiger Ergebenheit, sondern flott und frech, neurussisch eben. Außer der Reise gab es für Teilnehmer Kino- und Getränkegutscheine.

Die Öffentlichkeit wusste mit dem Phänomen der Putin-Jugend zunächst nichts anzufangen, bis die Jugendfunktionäre Anfang des Jahres eine Literaturkampagne ohne Lesen starteten. Bücher der russischen Jungautoren Wiktor Jerofejew, Wiktor Pelewin und Wladimir Sorokin tauschten sie gegen gestandene Epiker der Großelterngeneration ein, meist heroische Federn im Waffenrock. Die Idee: Qualitätsware gegen entarteten Schund. Russlands junge Literaten sind in den Augen der Putin-Treuen reine Pornografen. Stein des Anstoßes ist die Thematisierung von (Homo-)Sexualität.

Die selbst ernannten Volkserzieher werden inzwischen aus öffentlichen Geldern finanziert. 30 Prozent der Kosten trage inzwischen der Staat, räumte der stellvertretende Vorsitzende, Boris Jakemenko, gegenüber der Literaturnaja Gaseta ein, 20 Prozent steuerten Sponsoren bei. Der üppige Geldstrom mag erklären, warum in 50 Städten angeblich 100.000 junge Leute dem im Volksmund „Putin-Komsomol“ getauften Verband beigetreten sind. Näheres ist nicht zu erfahren: Boris Jakemenko und sein Bruder Wladimir, der Vorsitzende des Vereins, meiden die westliche Presse. Dafür unterhalten sie enge Kontakte zum Kreml. Wladimir arbeitete früher in der Präsidialkanzlei, Boris organisierte Putins Wahlkampf.

Heute, nach anderthalb Jahren, bildet sich allmählich ein ideologisches Amalgam des Vereins heraus: Putin ist der unangefochtene Führer, der seinem Volk grundsätzlich nur Gutes tut und für die Sünden der Bürokratie nicht verantwortlich gemacht werden kann. Wie früher ist der gute Zar für alles zuständig, aber für nichts verantwortlich. Die moralische Erneuerung obliegt der orthodoxen Kirche. Die Kremljugend propagiert eine „gesunde“ Lebensweise und lehnt alles „Ungesunde“ und „Fremdartige“ ab. Dazu zählen nicht nur Amerikaner, Hamburger und Letten, sondern auch russische Liberale und Linke. Dass sie für die Wiedereinführung der Todesstrafe plädiert und Homosexuelle für Schwerverbrecher hält, scheint beinahe schon trivial. Eine Ausnahme hat die Ideologie: Der „Moralkodex“ des Jugendverbandes warnt ausdrücklich, den eigenen Frust nicht an „Schwarzen, Juden und Armeniern“ auszulassen – eine Reaktion, die wohl auf den Druck der Moskauer Diplomaten zurückzuführen ist, die den Kreml aufforderte, endlich etwas gegen die sich häufenden fremdenfeindlichen Übergriffe zu unternehmen.

Russische Historiker erinnern sich an die protofaschistischen Männerbünde, die antisemitischen „Schwarzhundertschaften“, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland mit staatlicher Förderung ihr Unwesen trieben. Sie säuberten erst die Kultur und dann die jüdischen Ghettos. Ganz so dramatisch sieht Wladimir Sorokin die Dinge nicht. Die „Zusammengehenden“, sagt er, seien schlicht und einfach eine „SA in Puderzucker“.