Der Zigeunerbaron

Ein Rock-‘n‘-Roll-Gypsy: Goran Bregovic hat den Blaskapellen-Sound des Balkans salonfähig gemacht. Für einige Kollegen gilt der Komponist dagegen als Dieb, der sich bei traditioneller Musik bedient

Ein beigefügtes „grave disperato“ lässt auf einiges Kunstwollen schließen

von DANIEL BAX

Der Mann ist umstritten. Manche werfen Goran Bregovic vor, dass er traditionelle Melodien des Balkans als eigene Kompositionen ausgewiesen hat, um die Tantiemen dafür einzustreichen. Es soll sogar Klagen gegeben haben, die allerdings außergerichtlich beigelegt wurden. Andere sagen ihm nach, die Schar der Sänger und Instrumentalisten, die ihn auf seinen Tourneen begleiten, mit mageren Gagen abzuspeisen und den Löwenanteil für sich zu behalten.

Tatsächlich bleiben die einzelnen Musiker der vielköpfigen Orchester, die bei seinen Konzerten im Hintergrund agieren, meist anonym und wirken austauschbar. Geschadet haben solche Vorwürfe dem bosnischen Superstar der Balkanmusik nur wenig: Seit Jahren tingelt er mit wechselnden Orchestern durch die prominentesten Konzertsäle der Welt, und präsentiert seine popsinfonischen Arrangements meist vor ausverkauftem Haus.

Berühmt wurde der 53-jährige Bregovic durch seine preisgekrönten Soundtrack-Kompositionen für die Filme von Emir Kusturica, für „Time of the Gypsies‘‘ (1989), „Arizona Dream“ (1993) und „Underground“ (1995). Seitdem haben sich die Wege der beiden getrennt, und Emir Kusturica versteht sich besonders gut in übler Nachrede auf seinen einstigen Partner. Immer, wenn man dessen Namen nennt, brennen bei Kusturica die Sicherungen durch: Zuletzt beschimpfte er Bregovic auf einer Pressekonferenz in Berlin als potenziellen Pornodarsteller. Die Hintergründe des Zerwürfnisses blieben im Dunkeln, und Bregovic äußert sich bestenfalls zurückhaltend: „Die Leute mögen romantische Geschichten von Freundschaften zwischen Komponisten und Regisseuren, wie bei Nino Rota und Ennio Morricone. Aber es gibt keine Freundschaften in diesem Metier, jedenfalls nicht wie in früheren Zeiten“, sagt er ausweichend, und zu Kusturicas groben Ausfällen gibt er sich staatsmännisch: „Das ist eine Charakterfrage. Aber man soll Künstler nicht nach dem beurteilen, was sie gesagt haben, sondern nach der Kunst, die von ihnen bleiben wird.“

Bei Emir Kusturica scheint sich der Bregovic-Hass inzwischen schon zu einer regelrechten Obsession gesteigert zu haben. Als wollte er einen inneren Dämonen austreiben, gründete der Kinoregisseur mit befreundeten Musikern das No-Smoking-Orchestra, mit dem er, als Stargast an der Bassgitarre, dem einstigen Kollegen hinterherjagt, um dessen orchestralem Bombast mit anarchischem Jugo-Punk Konkurrenz zu machen. Manchmal müssen beide dann am gleichen Abend in der gleichen Stadt um das gleiche Publikum rangeln.

Fast ununterbrochen ist Bregovic seit sieben Jahren auf Tournee, meist in Begleitung eines Trios bulgarischer Chorfrauen, der Gipsy-Blaskapelle seiner „Wedding & Funeral Band“, einem polnisches Streicherorchester aus Posen und einem orthodoxen Männerchor aus Belgrad, denen er stets im cremeweißen Anzug vorsitzt. Besonders erfolgreich ist Bregovic in Osteuropa, zwischen Istanbul und Budapest, das er sein „emotionales Territorium“ nennt. Seine Popularität dort hat ihm einträgliche Nebeneinkünfte verschafft: Ob nun der griechische Rockmusiker George Dalaras oder die türkische Pop-Sängerin Sezen Aksu – kaum ein Superstar der Region ließ es sich nehmen, ganze Alben gemeinsam mit Bregovic einzuspielen. In Polen steht er derzeit sogar so hoch im Kurs, dass nach der Chanteuse Kayah nun auch der Sänger Kris Krawczyk ein weiteres Album mit Bregovic-Stücken nachlegte. Die Nachfrage hält den Bosnier auf Trab: „In kommunistischen Zeiten waren die Steuern so hoch, deswegen habe ich höchstens alle zwei Jahre eine neue Platte gemacht. Jetzt erst habe ich die Schönheit des Arbeitens für mich entdeckt.“

Emir Kusturica hat ihn als potenziellen Pornodarsteller beschimpft

Die späte Karriere als Orchesterchef markiert bereits das zweite Leben des Goran Bregovic. Im früheren Jugoslawien gehörte er zu den führenden Rockstars des Landes. Vierzehn Alben, die sich millionenfach verkauften, gehen auf das Konto seiner Band Bijelo Dugme (Weißer Knopf), die sich 1985 auflöste. Heute qualifiziert er deren Folklorerock als „provinziell“ ab und möchte lieber als Komponist seriöser Werke gesehen werden. „Man trägt ja auch nicht sein ganzes Leben lang Pampers“, begründet er seinen Sinneswandel, während er mittlerweile zwischen Paris, wo er seit Beginn des Jugoslawienkriegs lebt, und seinem Arbeitsplatz in Belgrad hin- und herpendelt. Noch immer aber genießt er in seiner alten Heimat einen guten Ruf. Als Milošević stürzte, telefonierte Bregovic kurzerhand mit Zoran Djindjić, einem Freund aus früheren Tagen, und gab am Tag nach dem Sturz ein spontanes Open-Air-Konzert vor dem Regierungspalast. Inzwischen ist die Euphorie des Augenblicks in Belgrad zwar verflogen, man kämpft wieder mit den Mühen des Alltags. „Das Gute ist, dass Milošević jetzt nicht mehr unser Problem ist“, meint Bregovic. „Aber es gibt immer noch eine kulturelle Kluft. Wir sind Europa ein Jahrhundert hinterher. Das braucht Zeit.“

Zeit hat Goran Bregovic auch gebraucht, um nach Jahren wieder ein neues Album aufzunehmen – das erste, das nicht wieder auf Kompositionen für Filme beruht. Das Werk mit dem epischen Titel „Tales and Songs from Weddings and Funerals“ versteht er als „Angebot, sich selbst einen Film dazu zu denken“, und knüpft in seiner Mischung aus beschwipstem Gypsybrass, elegischen Chorälen und sinfonischen Passagen fast nahtlos an seine bisherigen Arbeiten an. Bei Titeln wie „Sex“, „Polizia Molto Arabbiata“ oder „Cocktail Molotov“ schimmert das gewohnte Augenzwinkern durch, Beifügungen wie „grave disperato“, „lento arabesco“ oder „adagio delicato“ lassen allerdings auf prätentiöses Kunstwollen schließen, zumal sich Bregovic selbst gerne „als zeitgenössischen Komponisten“ in einer Reihe mit Arvo Pärt und Gorecky sieht. Einen Bruch mit seiner popmusikalischen Herkunft mag er darin nicht erkennen: „Ich war immer Teil der Subkultur. In Jugoslawien waren Ballet und Oper die offizielle Kultur, und Rock ‘n‘ Roll stellte die Subkultur. Heute ist Pop die offizielle Kultur, und anständige Musik zu schreiben, heißt, sich zur Gegenkultur zu bekennen.“

Auf dem Feld der lebendigen Volksmusik, von dem er sich seine Impulse holt, sind Copyright-Fragen allerdings so schwer zu klären wie im Bereich heutiger elektronischer Musik: Da schließt sich der Kreis zwischen vormodernen und postmodernen Verhältnissen. Gut möglich, dass Bregovic zuweilen sehr unbefangen im Repertoire der Roma-Blaskapellen gewildert hat. Doch mit seinen Bearbeitungen balkanischer Einflüsse hat er wie kein anderer zur Popularisierung einer regionalen Tradition beigetragen, und diese erst salonfähig gemacht hat: Nicht nur in jenen Winkeln der Welt, die damit zuvor keine Berührung hatten, sondern auch vor Ort selbst. In Polen etwa hat Bregovic einen beispiellosen Folkboom ausgelöst. Und in Griechenland weckte er die Aufmerksamkeit für die Blasmusik des Nordens, die dort längst in Vergessenheit geraten war. Diese Leistung wiegt in der Bilanz selbst einen gelegentlich laxen Umgang mit Autorenrechten auf. Denn der ist ohnehin nicht untypisch für die Region.

Tournee: 14. 9. Hamburg, 15. 9. Köln, 16. 9. Nürnberg, 17. 9. Leipzig, 18. 9. Dresden, 19. 9. Berlin, 20. 9. München, 21. 9. Stuttgart, 24. 9. Lörrach, 25. 9. Frankfurt