Die schönsten Männerbeine

David Foster Wallace hat an einer Kreuzfahrt teilgenommen: „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft bitte ohne mich“

Im Programmheft des neuen Hamburger Buchverlages „mare“ sind neben den Mitarbeitern und Übersetzern auch die Autoren abgebildet. Fast alle lachen, schmunzeln oder ringen sich zumindest ein Grinsen ab. Nur David Foster Wallace schaut nachdenklich nach unten und wirkt auf dem Foto so traurig und verloren wie Kurt Cobain, kurz bevor er sich umbrachte: „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ heißt sein Buch. Es ist eine Reisereportage über eine Urlaubsfahrt auf einem Luxusliner.

Der Text erschien erstmals 1996 im Harper’s Magazine. Es handelt sich um eine Auftragsarbeit, wie Wallace eingangs freimütig bekennt: „Vom 11. bis 18. März 1995 unternahm ich freiwillig und gegen Bezahlung eine siebentägige Karibik-Kreuzfahrt an Bord der Zenith.“ „Zenith“, so heißt das Schiff, Wallace zieht aber die Bezeichnung „Nadir“ vor, womit er seine Distanz gegenüber der ganzen Unternehmung mit einem Wort zum Ausdruck bringt. Nadir ist der dem Zenit der Himmelskugel entgegengesetzte Punkt, und Wallace ist auf einem Seniorendampfer der Extraklasse der denkbar größte Außenseiter.

David Foster Wallace, 1962 geboren, ist ein echtes Landei und ein bekennender Stubenhocker: Er lebt in der Nähe von Bloomington, Illinois, unterrichtet an einem College Englische Literatur und wohnt mit zwei Labradormischlingen zusammen. In den USA hat Wallace bereits mehrere Bücher veröffentlicht, und inzwischen zählt er neben Jonathan Franzen zu den Hoffnungsträgern einer neuen Schriftstellergeneration. Hierzulande sind mit großer Verspätung erst kürzlich die Erzählbände „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ und „Kurze Interviews mit fiesen Männern“ erschienen.

Dass ausgerechnet der reisefaule David Foster Wallace auf eine Schiffstour geschickt wurde, erweist sich als Glücksgriff. Er lässt sich nicht von der beschaulichen Urlaubsatmosphäre oder der betonten Höflichkeit der Mannschaft einlullen und seziert mit klarem, analytischem Blick die ritualisierte und völlig überdrehte Vergnügungsmaschinerie der amerikanischen Gesellschaft.

Die Rundreise vor der Küste Floridas wird für einen Einzelgänger wie Wallace schnell zum Horrortrip. Er ist einer der wenigen Singles unter siebzig und empfindet die Gemeinschaftsaktivitäten als „Selbstmord-Anreiz allererster Güte“. Bewusst grenzt er sich von den anderen Passagieren ab, meidet Hawaiihemden und Fotoapparate, bleibt bei Landgängen an Deck und beobachtet von oben, wie die „Upper-Class-Touristenmeute“ auf teuren Sandalen in bettelarme Hafenstädte wackelt. Er führt Buch über die verschiedenen Arten von Leberflecken, Ekzemen, Warzen, Zysten und Bierbäuchen und notiert Erfahrungen, von denen er wünschte, sie niemals gemacht zu haben: „Ich habe erwachsene US-Bürger aus dem gehobenen Mittelstand gehört, erfolgreiche Geschäftsleute, die am Info-Counter wissen wollten, ob man beim Schnorcheln nass wird, ob die Crew ebenfalls an Bord schläft oder um welche Uhrzeit des Midnight-Buffet eröffnet wird.“

Wallace geht zur „Elegant Tea Time“, bei der Abendgarderobe vorgeschrieben ist, mit einem T-Shirt mit Smoking-Aufdruck, was bei den Leuten nicht so gut ankommt, er redet beim Essen mit vollem Mund und erbricht vor aller Augen den teuren Beluga-Kaviar. Zur Strafe landet er bei der Endausscheidung um die schönsten Männerbeine nur auf einem kläglichen dritten Platz.

Was Wallace’ Reisereportage auszeichnet, ist die genaue und mitunter bösartige Beschreibung eines perfekt inszenierten und bis ins kleinste Detail durchorganisierten Abenteuers. Während sich die Urlauber vereinnahmen lassen, beharrt Wallace auf seinem trotzigen, entrückten Standpunkt und versucht, frei von jeder Ironie oder Überheblichkeit, die Wirklichkeit hinter der Fassade demonstrativ zur Schau getragener guter Laune sichtbar zu machen, in dem er die Animateure so darstellt, wie sie sich präsentieren: als letztlich armselige Gestalten, die sich nichts anmerken lassen dürfen, damit die Show weitergehen kann. JAN BRANDT

David Foster Wallace: „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“. Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. marebuchverlag, Hamburg 2002, 180 S., 18 €