Eine Nation zu Geld machen

Der schottische Spieler und Ökonom John Law kam 1715 auf die Idee, dass man auf die Produktivität eines Landes Geld aufnehmen kann. Ist er damit das Vorbild für Peter Hartz’ Job Floater von 2002?

von STEFAN DAVID KAUFER

„Ich werde einen Plan ersinnen, der Europa durch die Veränderungen erstaunen wird, welche er zugunsten Ostdeutschlands bewirken wird.“ Dieser Satz stammt nicht von Peter Hartz, sondern aus dem 18. Jahrhundert, und in Wahrheit ist auch von Frankreich die Rede. Doch damals und heute verbindet, dass Regenten in ökonomisch schweren Zeiten gerne Rettung bei (wie auch immer) kompetenten Beratern suchen.

Seit der Wiedervereinigung, vielleicht seit Ende des Zweiten Weltkriegs, liegt die Wirtschaft im Osten am Boden und niemand konnte ihr bislang aufhelfen. Nun hat sich die in letzter Vor-Wahl-Minute vom Bundeskanzler ins Leben gerufene Hartz-Kommission eine besondere Form der Stütze überlegt: Eine Firma, die in Ostdeutschland jemanden anstellt, bekommt dafür im Gegenzug günstige Darlehen und Eigenkapital aus einer Anleihe ausbezahlt. Job Floater heißt dieses Tauschgeschäft. Der Arbeitslose, der bekanntlich nichts mit seiner Zeit anzufangen weiß, schlägt gerne im Wörterbuch nach, um sich schlau zu machen. „To float“ bedeutet im Wasser „treiben“, in der Luft „schweben“; und auf Wolke siebzehn fühlen wir uns nach der Information, dass es auch das „Wieder-flott-Werden“ eines gestrandeten Schiffes bedeutet. Diese Engländer wissen genau, was wir brauchen. So sieht das auch die Times, die im August schrieb, dass die „Rekord-Arbeitslosigkeit“ Deutschland dazu gezwungen habe, hilfesuchend nach der Insel zu schauen, „um einen Ausweg aus der Krise zu finden“: Hartz’ Reformpaket sei „stark durch Großbritannien geprägt“. Das Blatt hat vielleicht mehr Recht, als es mit patriotisch-stolzem Blick auf New Labour und Old Maggie Thatcher zu haben glaubt. Dafür muss man ein wenig in der Zeit zurückblicken.

Flucht aus England

Am 21. April 1671, so erzählt James Buchan in seinem Buch „Unsere gefrorenen Begierden. Was das Geld will“, wurde John Law in Edinburgh protestantisch getauft. Gerade mal 23-jährig, tötete er am 9. April 1694 in London einen Mann im Duell. Law wurde wegen Mordes verurteilt und floh nach Schottland. Seine Heimat war damals noch ein eigenständiges Land, weshalb er sich hier sicher fühlen konnte. Der Norden der Britischen Insel befand sich allerdings aufgrund von Missernten, einer Fischereikrise und Handelsdefiziten in einem desolaten Zustand und so brach die Bank of Scotland 1695 beinahe zusammen.

Um seine eigene Haut zu retten, verfasste Law seine erste Schrift, mit der er die schottische Wirtschaft stärken wollte: „Money and Trade Considered, with a Proposal for Supplying the Nation with Money“. Was uns und Hartz heute kaum noch vom Hocker zu reißen scheint, war damals der Versuch einer Revolution. Law schlug ein Papier vor, das allein durch (schottisches) Land gedeckt sein sollte, denn außer den Bewohnern selbst gab es dort in der Krisenzeit keine anderen Werte. Er war allerdings der Meinung, dass als Währung zirkulierende, auf produktives Land ausgestellte Pfandbriefe Nachfrage und Produktion ankurbeln müssten. In Schottland gebe es das, was man heute „ungenutzte Produktivitätsfaktoren“ nennt: „Männer“ (Auszubildende), „Handwerker“ (Ausgebildete) und ungenutztes „Land“ (noch nicht blühende Landschaften), die nur aus Geldknappheit unproduktiv seien. Aber die Heimat wollte sich mit Laws Methoden nicht auf die Beine helfen lassen und ging 1707 die Union mit England ein, was den Duellanten und passionierten Spieler dazu zwang, ins Exil zu gehen.

Als der Lebemann 1715 endlich die Chance bekam, mit seinem „System“ die nahezu alleinige Herrschaft über die Wirtschaft Frankreichs anzutreten, bildete die schottische Idee eine der gedanklichen Hauptsäulen: eine die Wirtschaft stimulierende Papierwährung. Wenn es offiziell auch niemand zugegeben hätte, lag Frankreich zu dieser Zeit hauptsächlich wegen langwierigen Kriegen und überüppigem Hofstaat ökonomisch völlig am Boden, und der Regent, der den noch minderjährigen Ludwig XV. vertrat, erwog sogar, den Staatsbankrott zu erklären.

Aus dieser Zeit stammt der eingangs zitierte Brief Laws, in welchem er dem seine Regierungsgeschäfte wahrscheinlich verfluchenden Herzog von Orléans ankündigt, unter anderem die Manufakturen und den Handel wieder zu beleben und die Bevölkerung wachsen zu lassen – wenn er seinen „Plan“ nur ungestört und ungestraft verwirklichen dürfe.

Herrschaft der Finanzen

Der Regent war – wie Schröder heute – begeistert. Doch nur über Umwege konnte der Ausländer, der noch dazu protestantisch war, zum königlichen Hausfinanzier aufsteigen, da der zur Prüfung von Laws Projekt einberufene Rat dieses zunächst ablehnte. Erst als die Noten der Privatbank „Law & Cie“ begehrter waren als die herkömmlichen Münzen (obwohl gerade ein Sechzehntel des Eigenkapitals der Bank aus wirklichem Geld bestand), begann die wirkliche Finanzherrschaft – ein Abenteuer sondergleichen. Law wurde 1717 Leiter der Compagnie d’Occident, die die amerikanische Kolonie Louisiana verwaltete, und im nächsten Jahr wurde seine Bank nationalisiert.

Sein Konzept war, dass Kapital in Form von Staatsobligationen gezeichnet wird, deren Zinsen wiederum das Arbeitskapital für die Unternehmungen der gigantischen Finanzgesellschaft liefern. So wurden grob gesagt die Schulden aus Frankreichs ruinöser Vergangenheit einer glanzvollen Zukunft aufgebürdet, abgesichert mit dem Potenzial der Länder Amerikas. Und der Plan funktionierte – eine ganz kurze Zeit lang. 1719, auf dem Höhepunkt seiner Macht, hatte der Schotte den Außenhandel und die Münzanstalten, die Steuern und die Staatsschulden Frankreichs sowie die Hälfte der heutigen USA in der Hand. Er war außerdem reicher, als es seither je ein Privatmann wurde.

Doch schon im Jahr darauf bröckelte das Vertrauen in die Wertpapiere der inzwischen staatlichen Gesellschaft. Um die Aktien in der Höhe zu halten und die Gewinne zu steigern, wandte Law dubiose Tricks an, was das Vertrauen nachhaltig erschütterte und zu einem hysterischen Massenverkauf der Noten führte. Der Sitz der Gesellschaft wurde beinahe gestürmt, verzweifelte Menschen drückten sich vor den Toren gegenseitig zu Tode.

Die vielen, die ihr Geld verloren hatten, forderten die Hinrichtung des protestantischen Ketzers, der aus dem Land floh und dessen gesamter Besitz beschlagnahmt wurde. „Dieses gewaltige Glücksspiel eines Unbekannten, und eines Ausländers dazu, gegen eine ganze Nation“, wie Voltaire sagte, war somit zu einem harschen Ende gekommen. In Frankreich wurde das Wort „Bank“ bis zum Ende des Jahrhunderts nicht mehr in den Mund genommen, und Law kehrte nach Venedig zu seinem früheren Spielerdasein zurück, wo er am 21. März 1729 starb.

In den Geschichtsbüchern wurde er – wenn überhaupt – nur als ein Unglück bringender Abenteurer und Dummkopf mit Charisma erwähnt, doch schrieb Karl Marx in seinem „Kapital“, dass der außerordentlich gut aussehende Law eine „angenehme Charaktermischung aus Betrüger und Prophet“ besessen habe. Und auch Buchan, der mit sichtlicher Begeisterung von dem Schotten erzählt, meint, dessen „System sei machbar gewesen – doable hieße das heute an der Wall Street“. Laws Glaube, dass Geld nichts anderes sei als ein Destillat menschlicher Beziehungen, mit dessen Hilfe eine wohlhabende und doch gerechte Gesellschaft zu schaffen wäre, sei so falsch nicht gewesen. Doch hätten sich Geld und Absolutismus nicht miteinander vertragen.

Und heute? Natürlich ist Gerhard Schröders Retter in der Not kein Dostojewski’scher Spieler, sondern Personalvorstand von VW. Seine Idee des Job Floating ähnelt Laws Projekt vielleicht nicht einmal, doch gibt es Berührungspunkte. Auch die Hartz-Anleihe ist im Grunde eine Utopie, die auf ein blühendes Morgen vertraut und aus diesem Grund Geld in das schwache Heute pumpen will, das anderswo fehlen muss. Rechnen kann sich dieser Kredit nur, wenn der Ostmotor auch wirklich anspringt, die Menschen arbeiten können und Geld in Form von Steuern und Sozialversicherungsabgaben wieder an den Staat zurückfließt.

Der Wert des Risikos

Wenn nicht, ist das Geld verloren – auch dasjenige des Steuerzahlers. Denn offiziell sollen zwar nur die Reichen, private Kapitalgeber, die Anleihe zeichnen. Doch werden diese lediglich investieren, wenn Hartz günstigere Konditionen bieten kann als andere, die um finanziell potente Anleger werben. In irgend einer Form muss der Job Floater von der Allgemeinheit gestützt werden, sei es durch garantierte Renditen oder durch großzügige Möglichkeiten der Steuerabschreibung. Obwohl das Finanzvolumen zur Wieder-flott-Machung Ostdeutschlands von den zunächst vorgesehenen 150 Milliarden inzwischen auf „bis zu 10 Milliarden“ Euro reduziert worden ist, bleibt somit ein gewisses Verlustrisiko bestehen. Wenn man bedenkt, dass für Hochwasserschäden gerade jeder Cent gebraucht würde, ist dies schmerzlich. Andererseits: Ist ein ernst gemeinter Versuch, die Arbeitslosigkeit wirklich zu senken, kein Risiko wert?

Zwar mutet es schon wie ein gefährlicher Schatten Laws an, wenn Hartz große Summen mobilisieren und durch das mit diesem geliehenen Geld gesponserte Einstellen von Arbeitslosen – allein auf den Kapitalmarkt vertrauend – die Strukturschwäche im Osten abbauen will. Andererseits war bereits im 18. Jahrhundert die Idee da, dass man auf Produktivität Geld aufnehmen kann und soll. Law hätte auch Erfolg haben können, sagten die schottischen Ökonomen James Stewart und Adam Smith damals, nach dem Zusammenbruch des „Systems“. Und womit sonst konnte jemals auf der Welt viel bewegt werden als mit viel Geld? Vielleicht sind die geplanten zehn oder selbst zwanzig Milliarden noch zu wenig für einen Festwagen. Das heißt „float“ nämlich auch.