Dreht !!!

Beziehungsweise „Shoot, Shoot, Shoot“: ein britisches Avantgardefilm-Festival in Bremen

London, Paris, Melbourne, BREMEN, Stockholm, Barcelona, São Paulo, New York, Tokyo, Moskau. Da findet sich unsere Stadt ja mal in ungewohnt feiner Gesellschaft. Und zudem kommt noch mit dem Gitarristen der Band „Pulp“, Mark Webber, ein ausgewachsener Popstar zur Eröffnung. Der ist nämlich nebenbei auch Film-Kurator in London und hat das Programm dieses Avantgardefilm-Festivals zusammengestellt.

1966 wurde die Londoner Film-Makers’ Co-operative gegründet, und ihr New Yorker Pate, der Filmkünstler Jonas Mekas feuerte sie damals mit einem „Shoot, Shoot, Shoot“, also „Dreht, Dreht, Dreht“ an. Daher also der völlig harmlose Titel des Festivals.

Viele der in der Coop organisierten Filmemacher kamen von den englischen Kunsthochschulen, und weil sie dort eher von der bildnerischen Kunst beeinflusst wurden, ist es kaum verwunderlich, dass viele ihrer Arbeiten sich den verschiedenen Stilrichtungen der Malerei wie dem abstrakten Expressionismus, dem Minimalismus oder der Pop Art zuordnen lassen. Oft wurde mit gefundenem Filmmaterial gearbeitet. Es wurde verfremdet, Tempo, Entwicklung, Farbe, Rahmung verändert, es wurde mit Überblendungen, Wiederholungen, Abdeckungen und anderen Methoden gearbeitet, um sowohl die Bilder wie auch das Filmmaterial künstlerisch in Frage zu stellen.

In insgesamt acht Veranstaltungen werden Werke aus der ersten Dekade (’66-’76) der Kooperative gezeigt. Viele der Filme gehen dabei jeweils an die Grenzen des Filmischen. In der Auftaktveranstaltung „Expanded Cinema“ (heute, 20.30 Uhr, Galerie der Hochschule für Künste ) werden einzelne Filme synchron auf mehrere Leinwände und einer sogar auf künstlichen Nebel projiziert. Im Programm „Double Screen Films“ (25.9., Galerie der Hochschule für Künste) wird auf zwei Leinwände projiziert und die beiden Filmbilder beginnen einen Dialog miteinander. Das Programm „London Underground (27.9., Kino 46) bietet einen subversiven Blick auf das „Swinging London“ der 60er, in anderen wird das Filmbild an sich problematisiert (“Structural/Materialist“), Zeit und Raum untersucht („Location:Duration“) oder das Filmmaterial verfremdet („Intervention & Processing“).

Eine besonders schöne und witzige Idee hatte John Smith bei seinem Film „The Girl Chewing Gum“. Er filmte eine ganz normale britische Straßenszene, in der rein zufällig Passanten die Straße überqueren, Kinder vor der Kamera Faxen machen und Tauben durchs Bild fliegen. Auf der Tonspur hört man ihn aber als den scheinbar allmächtigen Filmemacher, der Regieanweisungen gibt wie: „Jetzt sehen Sie sich um und gehen Sie über die Straße, jetzt sollen die beiden Vögel durchs Bild fliegen, jetzt lauft ihr Kinder ins Bild und du da blick mal in die Kamera und wedel mit den Armen!“ Eine schöne Versuchsanordnung, die die Mischung aus Dokument und Fiktion, aus der ja jede Filmaufnahme besteht, sehr anschaulich auf den Punkt bringt. Viele Filmemacher, deren erste Werke hier zu sehen sind, wie Peter Gidal, Malcolm LeGrice oder John Smith, erlangten internationales Renommee in der Kunstszene, aber unter den über 50 Werken des Programms ist auch ein Film von Sally Potter zu sehen, die später zum narrativen Kino wechselte („Orlando“, „Tango Lesson“). „Shoot Shoot Shoot“ ist ein Programm voller nirgendwo sonst zu sehender Raritäten, und wann kann man sich schon mal in Bremen zu den „happy few“ aus den Kulturmetropolen zählen.

Wilfried Hippen

Ab heute bis zum 29. September im Kino 46 und in der Hochschule für Künste (Dechanatstraße). Die Termine stehen auf der taz-Kinoseite