„Ich liebe solche Abende“

Der Nachrichtensender BBC World hat zur Bundestagswahl seinen Chef-Anchorman Nik Gowing vor den Reichstag geschickt. Für den erfahrenen Krisenreporter war der Wahlausgang „very dramatic“

Interview MARKUS MÜNCH

Um 18 Uhr begann am Sonntag für Nik Gowing und seine Kollegen in den Parteizentralen ein siebenstündiger „Tanz um die Statistiken“. Seine britische Gelassenheit hat er sich trotz des für ihn dramatischen Abends bis zum Schluss bewahrt.

taz: Warum war die deutsche Bundestagswahl so interessant für BBC World?

Gowing: Für uns sind globale Zusammenhänge sehr wichtig und da spielt Deutschland eine große Rolle. Wir haben zwar keinen speziellen Fokus gesetzt, aber es ging schon sehr stark im die Irakfrage. Das hat diese Wahl bedeutend gemacht. Den Anlass dazu haben ja der Kanzler und die Justizministerin geliefert. Nachdem das Ergebniss klar war, ging es bei uns auch um die Frage: Wie kann man die Brücken zwischen den USA und Deutschland wieder aufbauen.

Gab es wesentliche Unterschiede zur vergangenen Wahl?

Na ja, Helmut Kohl wurde 1998 ja geradezu hingerichtet. Diesmal war das eher eine Houdini-Entfesselungsnummer. Schröder ist ja nur um Haaresbreite durchgekommen. Und dass eigentlich sogar die Grünen die Regierung erst gesichert haben – also das war schon sehr überraschend, geradezu dramatisch! Wir waren ja von der ersten Prognose auf Sendung und haben stundenlang dieses Hin und Her mitgemacht.

Vor vier Jahren hat es ganze drei Minuten gedauert und wir wussten, dass die CDU besiegt war. Diesmal gab es einen richtigen Tanz um die Statistiken und den mussten wir einen Publikum vermitteln, das größtenteils nicht mit dem deutschen Wahlsystem vertraut ist. Zu erklären, welche Koalitionsmöglichkeiten es gibt und was die Überhangmandate oder die Fünfprozenthürde bedeuten – das war eine Herausforderung.

Und die haben Sie erfolgreich bewältigt?

Ja, ich denke schon. Das ist auch schon meine fünfte deutsche Wahl. Diesmal war es einfach nur viel dramatischer. Vorher ging es ja immer nur um Kohl, Kohl, Kohl. Endlich war es mal richtig dramatisch. Und dann noch diese Unsicherheit durch die PDS, ob sie mit drei Mandaten und damit in voller Stärke in den Bundestag kommt oder nicht. Ich denke, das war so spannend, dass unsere Zuschauer auch mitgerissen wurden. Die ersten Reaktionen waren jedenfalls sehr positiv.

War es für Sie persönlich auch aufregend?

O ja! Und ich liebe solche Abende. Zuerst dachte ich, um 22 Uhr sei alles vorbei, aber dann war ich um ein Uhr nachts noch am Reichstag. Ich war völlig mitgerissen. Das war wirklich außergewöhnlich: Ein Drama – und so sollte es ja auch vermittelt werden. Was für einen Herausforderung. Ich denke, man hat diese Anspannung auch auf den Gesichtern von mir und meinen Gästen gesehen.

Wie haben sich denn Ihre Gäste in der fremdem Sprache geschlagen?

Also das ging eigentlich gut. Ich habe darauf keine Rücksicht genommen, ich wolle ja immer etwas wissen, und alle konnten eigentlich gut genug Englisch, um ihre Sache auch gut zu vertreten. So gegen 19 Uhr hatte ich Jörg von Essen da, den parlamentarischen Geschäftsführer der FDP. Mit dem bin ich zum Beispiel richtig schwer ins Gericht gegangen. Ich habe ihn hart auf britische Art und Weise über die Möllemann-Geschichte ausgequetscht. Und es hat sich gelohnt: Bei mir hat er erstmals gesagt, dass Möllemann gehen müsse.

Was war Ihr Gesamteindruck vom Sonntagabend?

Das meistgebrauchte Wort war auf jeden Fall confusing. Verwirrend, weil es keine Sicherheiten gab: ARD und ZDF hatten verschiedene Ergebnisse, dann erklärt sich auch noch Stoiber zum Sieger und Schröder geht schon in die Defensive – und dann ändert sich alles noch einmal. Und eigentlich hatte Stoiber ja auch gewonnen – so sah es zumindest am Abend aus –, aber trotzdem verloren. Ist das nicht verwirrend. Aber eigentlich gehören zum Wahlabend drei Wörter: confusing, dramatic, exciting.

Wie stark wird die BBC weiter verfolgen, was passiert?

Wir haben am Montag noch einige Analysen gemacht. Das bleibt für uns schon wichtig. Aber unter den internationalen Themen wird das wohl durch den Nahen Osten verdrängt werden.