Zurück in den Hinterhof?

Mit „Verrückt nach Paris“ feiern „Blaumeier“-Akteure derzeit bundesweit Erfolge, doch die Finanzen des Waller Projektes für Kunst und Psychiatrie sind am Ende. Die Folge: Öffentliches wird zu teuer

Öffentlichkeit. Präsenz in der Öffentlichkeit gehört zum Kern des „Blaumeier“-Konzeptes. Die gemeinsame künstlerische Arbeit von psychisch erkrankten und nicht erkrankten, behinderten und nicht behinderten Menschen soll nicht im Hinterhof stattfinden. Nicht in irgendeiner pädagogischen Nische, sondern in der allgemeinen „Normalität“. Dieses Credo des 16 Jahre alten Bremer Projektes wird bald nicht mehr umsetzbar sein.

Die derzeitige Finanzkrise bei „Blaumeiers“ gehört ganz offenbar nicht zu den seit Jahren bekannten Engpässen, sondern geht an die Substanz. „Es ist die größte Krise seit unserer Gründung“, sagt „Blaumeier“-Sprecherin Hellena Harttung. Bisher konnte sich das Projekt mit ABM-Stellen und ähnlich befristeten Arbeitsamts-Maßnahmen einigermaßen durchhangeln.

Doch die werden nicht mehr bewilligt. Das strukturelle Problem dahinter: „Blaumeier“ bekommt an institutionellen Förderung vom Kulturressort lediglich 17.000 Euro im Jahr und von den 112.000 der Sozialsenatorin fallen bis zum Jahr 2005 30 Prozent weg. „Das ist eine Daumenschraube, die richtig weh tut“, sagt Hellena Harttung.

Umso mehr, als auch die Förderung durch die „Aktion Mensch“, über die eineinhalb Stellen finanziert werden konnten, Mitte kommenden Jahres ausläuft. Folge: Die derzeit siebeneinhalb festen Stellen (Harttung: „Eigentlich bräuchten wir elfeinhalb“) können nicht mehr bezahlt werden.

„Es ist ja nicht so, dass einer von zehn Bühnentechnikern fehlen würde, dessen Arbeit dann miterledigt werden muss“, erklärt Harttung. „Bei uns bedeutet einer weniger, dass zum Beispiel im Bereich Maskenbau die Hälfte der Arbeitskapazität weg fällt.“ Entsprechend in den Bereichen Musik, Malerei und Theater, der zuletzt das Stück „Abreisser“ im Schauspielhaus zeigte.

Sicher: „Blaumeier“ hat es zu beachtlicher Popularität gebracht, erreicht durch die Kinoproduktion „Verrückt nach Paris“ derzeit bundesweite Bekanntheit und bekommt vielerlei Unterstützung. Es gibt ein Spendenkonto (Sparkasse Bremen, BLZ 290 501 01), Kontonummer 11 88 72 05), der Förderverein (Kontakt: Tel. 0421/39 53 40) gewinnt seit der jüngsten Aktion „Blaumeier geht an die Börse – und zwar an Ihre“ neue Mitglieder.

Seit sich auf der „Kulturbörse“ der Handelskammer Kontakt zu einer Vegesacker Mailing-Firma angebahnt hat, müssen „Blaumeiers“ ihre fast 10.000 Briefe pro Jahr nicht mehr selbst eintüten. Und: Die Kulturdeputation hat einmalig 25.000 Euro Projektgelder bewilligt, wofür sich politische Gewichte wie Jens Eckhoff, der Fraktionsvorsitzende der CDU und die SPD-Abgeordneten Carmen Emigholz und Gisela Schwarzstark gemacht hatten. Harttung: „Darüber freuen wir uns sehr, aber es langt bei weitem noch nicht, um auch nur annähernd über die Runden zu kommen.“ Schon um stellenmäßig den Status quo zu halten, fehlen 220.000 Euro.

Das grundsätzliche Problem: Wenn sich „Blaumeier“ im Wesentlichen auf sein Kursprogramm beschränken muss (mit rund 250 TeilnehmerInnen pro Woche), bleibt neben dem Konzept auch die Ausstrahlung auf der Strecke, die bisher noch Unterstützung – inklusive vieler ehrenamtlicher HelferInnen – anzieht. Eine Spirale, in der Bremen mit jedem Umlauf ein Stück „Blaumeier“ verloren geht.

Henning Bleyl