Griff nach den Sternen

Guy Roux ist seit 41 Jahren Trainer in Auxerre. Nun hat er den Klub, der ganz auf Nachwuchsarbeit setzt, zum zweiten Mal in die Champions League geführt, wo er heute auf Borussia Dortmund trifft

von GÜNTER ROHRBACHER-LIST

Der 11. September birgt nicht nur Schreckliches. Just an diesem Tag stellte Guy Roux, seit 41 Jahren Trainer bei AJ Auxerre, einen Rekord ein: 782 Spiele in der ersten Liga hatte er an diesem Tag für die Burgunder auf Trainerbänken verbracht und damit ebenso viele wie der heute 82-jährige Algerien-Franzose Kader Firoud, der dazu jedoch drei verschiedene Klubs benötigte. Nach dem Spiel am letzten Samstag gegen den CS Sedan liegt Roux nun gar zwei Längen vorne und hat damit eine Marke gesetzt, die durchaus für die Ewigkeit sein könnte. Dabei hätte der fast 64-Jährige dieses Ziel schon im letzten Jahr erreichen können, doch im Mai 2000 überkam ihn die große Müdigkeit: Ausgebrannt und enttäuscht darüber, dass er wohl nie seinen Traum wird realisieren können, mit dem AJ Auxerre einen der Europapokale zu gewinnen, überließ er dem damaligen Leiter des „Centre de Formation“, Daniel Rolland, seinen Trainerstuhl und zog sich als Generalmanager hinter die Kulissen zurück. Doch als Rolland gescheitert war und die Entwicklung der Mannschaft stagnierte, kehrte Roux zurück an seinen Schreibtisch im Stade Abbé Deschamps.

Nun hat der Mann, ohne den Fußball in Auxerre heute noch fünft- oder sechstklassig wäre, ein Teilziel erreicht: Der AJ Auxerre hat sich für die Champions League qualifiziert und trifft heute Abend im Westfalenstadion auf Borussia Dortmund (20.45 Uhr). Wobei dies freilich auch ein Risiko bedeutet. Schon letzte Woche, beim ernüchternden 0:0 im Champions-League-Auftaktspiel gegen den PSV Eindhoven, musste das junge Team Lehrgeld bezahlen; nun fürchtet man in Burgund, dass den in Europa unerfahrenen Auxerrois auch von Dortmund und Arsenal London die Grenzen aufgezeigt werden.

Dabei läuft es in dieser Saison richtig rund bei AJ. Ganz begeistert ist Roux von seinen Spielern, einer Mischung aus jungen und erfahrenen Akteuren. Dabei hatte er vor drei Jahren, als Auxerre nur knapp dem Abstieg entkommen war, noch geklagt, dass „im Fußball des großen Geldes“ kein Platz ist für „Vereine wie uns“. Auxerre ist mit nur 40.000 Einwohnern die kleinste Stadt, die je in der Champions League vertreten war – und das nun schon zum zweiten Mal seit 1997. Heute verfügt der AJA über einen ausgezeichneten Kader und blickt stolz, weil schuldenfrei herab auf die Schuldenbuckel aus Barcelona, Madrid und Rom. Erfreulichster Nebenaspekt: Die finanziellen Krisen der wirtschaftlich vermeintlich omnipotenten Ligen Englands, Spaniens und Italiens haben die Versuche, die hoffnungsvollen Talente von Auxerre bereits in ihrem ersten Profijahr abzuwerben, jäh gestoppt.

So blieben Djibril Cissé (21) und Narcisse-Olivier Obou Kapo (22), beide bereits Nationalspieler, ebenso am Ufer der Yonne wie auch das derzeit beste Abwehrduo Europas, Jean-Paul Boumsong (22) und Philippe Mexès (20). Mexès, das größte Talent des französischen Fußballs, hat schon in seinem zarten Alter die Nachfolge der früheren Abwehrchefs Frank Verlaat und Laurent Blanc angetreten. Mit 14 Jahren debütierte er in der französischen U15-Nationalmannschaft, dann holte ihn Roux nach Auxerre, wo er sämtliche Jugendteams des Vereins durchlief. Und unlängst äußerte L’Equipe die schwärmerische Vermutung, der 20-Jährige käme „von einem anderen Planeten“, eine Feststellung, die sich sogar in Sternen ausdrücken lässt: Vergangene Saison erhielt Mexès den „Etoile d’ Or“, den Goldenen Stern als bester Spieler des Jahres.

Endlich also hat Guy Roux wieder junge Spieler, die ihren berühmten Vorgängern Eric Cantona, Basile Boli, Alain Roche und Jean-Marc Ferreri nacheifern. Elf von 27 Spielern im Aufgebot wurden im eigenen Haus ausgebildet und haben über die Jugend- und Amateurteams des Vereins den Sprung in die Elite geschafft. Und wie ihr Trainer wissen auch die Spieler, dass sie das Potenzial haben, in dieser Saison einen Titel zu gewinnen. „Es ist eine der angenehmsten Gruppen, die ich seit dem Aufstieg 1980 trainiere“, lobt Roux und hat sogar den Rat der Mannschaft befolgt, vom Kräfte raubenden 4-3-3-System auf das modernere 4-4-2 umzustellen. Und auch der Ton hat sich verändert: In die Kabine ist mehr Demokratie eingezogen. Die Zeiten, in denen Roux abends nach dem Training und am nächsten Morgen die Kilometerstände der Spielerautos kontrollierte, um Pariser Discobesuche nachzuweisen, sind ebenso vorbei wie die Eskapaden mit abgebrochenen Antennen an Fahrzeugen diverser Rundfunkstationen oder die berühmte Baumfällaktion zu nächtlicher Stunde, um Platz und Tatsachen für den Bau einer neuen, umstrittenen Tribüne zu schaffen.

Die Lokalzeitung L’ Yonne Républicaine rief kürzlich „das Jahr Roux“ aus und sah AJA im „europäischen Gotha“ angekommen. Doch beinahe wäre Roux, der letzte Saison einen schweren Herzinfarkt erlitt, Trainer der „Mannschaft des Paradieses“ geworden, wie er selbst anmerkt. Davor aber will der 64-Jährige noch einmal auf Erden richtig angreifen. „Wir bilden unsere Spieler nicht aus, um sie zu verkaufen, sondern damit sie spielen“, sagt er kämpferisch und erinnert an das Trauma nach dem Champions-League-Auftritt 1997 und an die WM im Jahr danach. Damals verlor Guy Roux innerhalb von zwei Jahren seine gesamte Mannschaft. Sie wurde ihm einfach weggekauft.