Das Drama eines abgebrochenen Telefonats

Dani Levys Familiendrama „Väter“ sucht die melodramatische Form, nicht den soziopolitischen Mehrwert. Das Wunschsystem Liebe soll über die Bedingungen von Liebe triumphieren. Damit hebt sich der Film von Matthias Mattuseks Drehbuchvorlage ab, der es um politische Unkorrektheit zu tun ist

Wichtig ist Levy die brutale Dynamik von lautem Vorwurf und Liebesentzug

von PHILIPP BÜHLER

Am Anfang der Blick in Kinderaugen, die genauso die Augen von Dani Levy sein könnten. Denn diese Augen können nicht lügen. Dann das, was diese Augen sehen, eine klassische Familienszene. Der Architekt Marco Krieger (Sebastian Blomberg) ist nach Hause gekommen und überglücklich: Sein erstes großes Bauvorhaben ist unter Dach und Fach. Kein Thema für Melanie (Maria Schrader). Wo ist das Medikament für Benny, den gemeinsamen Sohn? Vergessen. Na toll. Schweigen. Idealerweise fragt sich nun jeder Mann im Publikum, wie sie es den ganzen Abend schafft, ihn nicht nach dem wichtigsten beruflichen Ereignis seines bisherigen Lebens zu fragen. Und jede Frau weiß, dass ihr der persönliche Kleinkram schon viel zu oft egal war, dass es heute um mehr geht als ein blödes Medikament. Hier sind zwei, die die gemeinsame Sprache verloren haben. Die noch wissen, dass sie sich lieben, aber nicht mehr, wie sie sich lieben sollen.

Sie wird ausziehen, ihm den Sohn wegnehmen und dafür sogar die Polizei rufen. Kampf ums Kind, „Kramer gegen Kramer“, alles klar. Aber wenn Marco seinen kleinen Sohn nach draußen mitnimmt und ihm am Imbiss einen Schluck Bier zu trinken gibt, darf man ein weiteres Vorbild nennen. In John Cassavetes „Frau unter Einfluss“ wusste Peter Falk mit seinen Kindern nichts Besseres anzufangen. Er war der schlechte Vater, gestresst vom Beruf, nie da, wenn man ihn brauchte, überfordert von den Bedürfnissen der eigenen Frau, legendär interpretiert von Cassavetes Frau Gena Rowlands. Die Frage ist nun nicht, ob Blomberg und Schrader zu ähnlicher Hochform auflaufen. Auch nicht, ob die Frau den schwarzen Peter zugeschoben bekommt, wie in „Kramer gegen Kramer“. Sondern ob es Levy gelingt, wie Cassavetes an den soziopolitischen Implikationen eines Themas vorbei zu inszenieren. Vorbei an den Emanzipations- und Hysteriediskursen der Siebziger und moderner Realpolitik. Ob er es stattdessen schafft, die Komplexität menschlicher Beziehungen filmisch in einem Melodram zu bündeln. Wenn ihm dabei etwas im Wege steht, ist es die Vorlage.

Die stammt von Matthias Matussek, dem Autor des berüchtigten Spiegel-Titels „Die vaterlose Gesellschaft“ von 1997. Er und Mitinitiator Günther Rohrbach wollten, sagt Levy selbst, einen „brisanten, politisch unkorrekten, parteiischen Film für die Väter, gegen den Rest der Welt“. Einen programmatischen und künstlerisch hoch fragwürdigen Rundumschlag zum Dauerbrenner neue Väter, eine geschlechterpolitische Umkehr des Themas Vereinbarkeit von Karriere und Beruf. Das wollte Levy nicht. Weil er auch einen solchen Film völlig zu Recht als Liebesfilm begreift, in dem die Bedingungen von Liebe dem Wunschsystem Liebe nicht den Rang ablaufen dürfen. Er operiert dabei mit einem bodenständig naiven Liebesbegriff, der mit Realpolitik so wenig zu tun hat wie mit den metaphysischen Spekulationen eines Tom Tykwers.

Natürlich hält sich der Film zu lang in Anwaltskanzleien auf, wird Marcos faktische Rechtlosigkeit ein wenig zu laut beklagt. Auch könnte man meinen, der berufliche Aufstieg würde für das familiäre Versagen verantwortlich gemacht. „Sie rächt sich an deinem Erfolg, alles klar“, meint ein Kollege in der bemüht herbeizitierten Stahl- und Glas-Apokalypse eines modernen Architekturbüros. Aber wichtiger sind Levy der Blick in ein leeres Schlafzimmer, das Drama eines abgebrochenen Telefonats, die brutale Paardynamik von lautem Vorwurf und schmollendem Liebesentzug, Angriff und Verteidigung. Der Eindruck von sozialem Realismus mit Wiedererkennungswert ist dabei weniger dem Einsatz der Digitalkamera geschuldet. In manchen Szenen scheint Maria Schrader diesen Jammerlappen wirklich zu hassen, und Sebastian Blomberg scheint tatsächlich nie zu kapieren, worum es der Ziege geht. Dann wieder Szenen von Zweisamkeit, die sich nur mit Method-Acting erklären lassen. Auf jeden Fall das genaue Gegenteil jenes aseptischen Drehbuchgeplappers, das es derzeit in Doris Dörries „Nackt“ zu bejammern gibt.

Der Film, das merkt man dem Dreigestirn Levy-Schrader-Blomberg an, ist wie bei Cassavetes aus dem gemacht, wovon er handelt: Familie, Freundschaft, Liebe. Und weil Dani Levy ein harmoniebedürftiger Mensch ist, will er den Konflikt nicht bis zum Ende durchstehen. Marco entführt Benny, das unschuldige Scheidungskind, und „Väter“ wird auf den letzten Metern zum Roadmovie. Es ist ein rein filmisches Mittel, mit dem der Regisseur die Kluft zwischen den Partnern nicht weiter aufreißt. In der Sentimentalität einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung findet er zum Wesen der Liebe selbst zurück. Er leistet, was den beiden vielleicht nie gelingen wird. Man erfährt nicht genau, was es ist, aber es könnte in den Kinderaugen liegen, für die dieser Film gedreht wurde, die eigentlich Dani Levy gehören, der so etwas einfach mal im Kino sehen wollte. Und nicht immer nur im Fernsehen.

„Väter“. Regie: Dani Levy. Mit Sebastian Blomberg, Maria Schrader, Ezra Valentin Lenz u. a. Deutschland 2002, 102 Minuten