„Eine subtile Form der Rebellion“

Schön kreativ sein und schön konservativ aussehen: Ein Gespräch mit Rob Garza vom kanadischen DJ-und ProduzentenduoThe Thievery Corporation über Terroristen und die Sicherheit auf Flughäfen, jamaikanische Bässe und dreckige Bars in Mexiko

von MAX DAX

taz: Mister Garza, stimmt die Geschichte, dass Sie in einer Agentur für Luftsicherheit und Terrorismusbekämpfung gearbeitet haben, bevor Sie mit Eric Hilton das DJ- und Produzentenduo Thievery Corporation gründeten?

Rob Garza: Ja, das ist richtig. Ich habe diesen Job eher aus Versehen angenommen, habe ihn dann aber doch fünf Jahre lang ausgeübt, denn es war ein interessanter Job. Das Hauptaugenmerk der Firma galt der Flugsicherheit, und wir hatten Zugang zu diesen ganzen Security-Zonen in den Flughäfen. Wir haben an Systemen gearbeitet, die die Menschen erfassen, die Zugang zu Flugzeugen haben, so was.

Haben Sie dabei auch echte Terroristen kennen gelernt?

Ich habe teilweise Arbeiten ausgeführt, die erinnerten an die Tätigkeit von Privatdetektiven: Ich musste Verdächtigen im Van hinterherfahren und so was. Ich habe auch mit Geräten zu tun gehabt, mit denen man andere Personen abhören konnte. Das war alles sehr, sehr spannend.

Das diente der Flugsicherheit?

Es war eine große Firma mit mehreren Abteilungen. Ich habe eine Zeit lang auch in der Abteilung gearbeitet, die tatsächlich privatdetektivische Angebote hatte. Eine weitere Abteilung kümmerte sich um Bombenerkennung. Aber damals, als ich für diese Firma gearbeitet hatte, war der Aspekt der Flugsicherheit auch noch nicht so das, worum man sich gerissen hat – wenn Sie verstehen, was ich meine.

Man reißt sich seit dem 11. September darum, für die Flugsicherheit zu arbeiten, weil es mehr Geld und Action gibt?

Es ist heute sicherlich interessanter als früher, weil die Arbeit in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist. Damals war es ziemlich langweilig, und man hat sich gerne gedrückt um die Arbeit: Man musste Flughäfen besuchen und Protokolle ausfüllen.

Schön Kaffee trinken auch?

Auch schön Kaffee trinken an der Bar. Es war nicht wirklich umwerfend. Spionieren, Leute aufspüren – das hat mehr Spaß gemacht.

Hatten Sie jemals das Gefühl, für die falsche Seite zu arbeiten?

Wie meinen Sie das?

Als Mitglied der Thievery Corporation posieren Sie gerne in schicken Anzügen. Stammt das aus Ihrer Zeit in der Detektei?

Ich musste damals tatsächlich Anzug tragen. Eric machte dann seinen Nachtclub auf, und so hat sich das dann gefügt. Damals, als wir damit anfingen, Anzüge zu tragen, haben wir den Ansatz hingegen fast als Rebellion angesehen: Alle trugen Sneakers, Baggys und T-Shirts mit Bandnamen – außer uns. Wir haben die Anzüge als subtile Form der Rebellion gegen diese Gleichschaltung der Garderobe angesehen.

Mit The Thievery Corporation produzieren Sie ausgesprochen geschmackssichere Loungemusik. Empfinden Sie Ihr Dasein als arriviert?

Gar nicht. Überhaupt nicht. Die Männer, vor denen ich meinen Hut ziehe, das sind Typen wie Miles Davis oder Antonio Carlos Jobim – sie machten nicht nur tolle Musik, sondern sie traten auch mit Stolz und erhobenem Haupt vor die Leute. Eine solche Haltung drückt sich immer auch durch die Kleidung, die man trägt, aus – durch die Sprache, die man spricht. Ich meine: Wäre Frank Sinatra so berühmt geworden, wenn er Holzfällerhemden und Denim auf seinen Albumcovern getragen hätte?

Eine Sache der Präsentation also?

Ich mag einfach Widersprüche. Ich finde es toll, als Musiker kreativ zu sein und konservativ auszusehen. Das Schöne daran ist nämlich, dass man nur die Dummen irritiert; all diejenigen, die denken, dass Anzüge nur von Bankangestellten getragen werden. Man hält ihnen sozusagen ihre eigene Limitiertheit vor Augen. Umgekehrt bin ich in meinem Leben schon so vielen schrillen Leuten begegnet, die mit riesigen Tätowierungen und Piercings ihre angebliche Unangepasstheit dermaßen laut vor sich hertragen – und sie waren alle so langweilig, sobald sie den Mund aufmachten.

Ich verstehe.

Ich finde es interessanter, gute Ideen zu haben.

Oder gute Ideen zu benutzen: The Thievery Corporation bedienen sich an Einflüssen aus dem Jazz, aus dem Bossa nova und anderer Weltmusik. Warum?

Das hat zum größten Teil mit dem Erwachsenwerden zu tun. Zuerst ging ich in Hardcore-Punk-Clubs, dann, Anfang der Neunziger, in Läden mit grober, harter Technomusik. Ich fand das toll: aggressive, elektronische Musik. Ich war damals 18. Das Aufkommen des Samplers, der geniale musikalische Momente aufnehmen und in Reihe schalten konnte, das war faszinierend. Und dann: Festzustellen, dass eine Gruppe wie Public Enemy letztlich nichts anderes war als Hardcore-Punkrock, nur übersetzt auf einen anderen Rhythmus, war ein Quantensprung für mich. Ich begann mich dann mit der Zeit für klassische Musik und Jazz zu interessieren und alles in mir aufzusaugen, einen Überblick zu bekommen. Ich war wie ein Schwamm, was das anbetraf. Und Bossa nova war dann schließlich die Droge. Das war ein echtes Liebeserlebnis. Das war, wie wenn ein Junge und ein Mädchen sich treffen und sich auf der Stelle ineinander verlieben. So war das mit mir und dem Bossa nova.

Aber es blieb ja nicht bei der Liebe zum Bossa nova: Sie begannen auch mit Dub und Reggae-Einflüssen zu flirten.

Als ich 19 Jahre alt war, habe ich in einem Labor für Nuklearchemie gearbeitet. Mein Arbeitskollege war ein ebenfalls 19-jähriger Fußballspieler aus Algerien. Abends sind wir nach der Arbeit immer zu seinen Kumpels aus Nordafrika gegangen oder in afrikanische oder jamaikanische Clubs. Und insbesondere in den jamaikanischen Clubs war der Sound ein Killer! Diese Bässe, einfach weggehauen haben die mich. So etwas lässt einen nicht los: Es brennt sich einem ein, wenn man Gefühle hat.

Wann ist Ihnen eigentlich erstmals aufgefallen, dass Sie ein faszinierendes Leben führen? Sie waren Mitglied in einer Punkband, Sie experimentierten mit Nuklearmaterial, beschatteten Verbrecher und hatten Freunde, die einen Nachtclub besaßen?

Das ist doch ein ganz normaler amerikanischer Lebenslauf von einem Menschen ohne Eigenschaften, der es nie zu was bringen wird! Der Unterschied zwischen mir und den anderen Tagelöhnern war vielleicht der, dass ich mir dachte, das macht sich eines Tages in meinen Memoiren bestimmt sehr gut, so eine Vorgeschichte – statt sich ständig zu beklagen, dass man noch nicht von Hollywood entdeckt worden wäre.

Jetzt sind Sie Popstar.

Meine Mutter ist Mexikanerin. Ich bin außerhalb von Washington in einem Vorort, fast auf dem Lande, groß geworden. Kornfelder und Kühe. So sah es da aus. Nichts als Kornfelder und Kühe. Und wenn wir dann von dort nach Juarez in Mexiko fuhren, das ist eine Grenzstadt zu Texas, in der es viele Drogen gibt, große Armut und Hitze, dann habe ich eine ganz andere Welt erlebt. Eine spannendere Welt auf alle Fälle als die Kornfelder bei Washington. Und man fragt sich: Ich passe nicht in dieses Bild – weder in das eine noch in das andere. Wer bin ich also?

Heute sind Sie Star-DJ und Produzent.

Schon ganz früh hat mir die Musik geholfen, indem sie mir Mut gegeben hat.

Sie sind begehrt als Gast-DJ auf der ganzen Welt. Man fliegt Sie nach Europa, nach Japan und sonstwohin. Wie nehmen Sie die Welt wahr?

Es ist echt durchgeknallt. Man isst in den teuersten Restaurants zu Abend, in Berlin, Brüssel oder in Paris. Dann fährt man mit dem Taxi in den Club und legt Platten auf, aber man sieht eigentlich nichts von der jeweiligen Stadt. Ich meine: Eric und ich, wir haben mit der Musik als Hobby angefangen. Wir hatten keine Ambitionen und keine Ahnung, dass es eines Tages so abgehen würde. Wir haben das Album „Sounds From Thievery Hi-Fi“ selbst herausgebracht. Ich erinnere mich noch genau, dass wir damals eine große Diskussion hatten, ob wir nun 500 oder 1.000 Exemplare pressen lassen sollten. Wir haben uns schließlich für die 1.000 entschieden und gehofft, dass sie sich vielleicht innerhalb eines Jahres verkaufen würden. Zwei Wochen nachdem die Platte draußen war, bekamen wir eine Bestellung über 3.000 Platten rein. Das war der Anfang und vor allem eine sehr schöne Überraschung.

Aber ganz so unschuldig und naiv waren Sie doch nicht: Immerhin hatten Sie mit der „18th Street Lounge“ einen Club, der Thievery-Musik spielte – das ist ja nicht die schlechteste Art der Selbstpromotion, oder?

Eric hatte den Club mit drei Partnern, aber trotzdem hat uns das alles überrascht. Wir hatten uns eigentlich ganz gut in der „18th Street Lounge“ eingerichtet, als wir plötzlich mit dem Problem konfrontiert wurden, die Stadt verlassen zu müssen, weil wir in einer anderen Stadt auflegen sollten. Und Eric mag Reisen überhaupt nicht. Er hatte Angst, ihm könnte der Club entgleiten.

Gehen Sie eigentlich selbst gerne in coole Nachtbars?

Ich bevorzuge Kneipen in Brasilien oder in Mexiko. Dreckige Bars, in denen man sich besaufen kann und lachen kann, wo man in der heißen Nacht noch draußen sitzt. Das ist meine heile Welt. Mir macht das dann auch nichts aus, in einem einfachen Hotel zu wohnen, in das ich dann betrunken reinfalle. Nichts gegen schicke Bars und Hotels mit Klimaanlage. Aber irgendwie hat das Abendland in seinem Modernisierungswahn einige sehr schöne Dinge verloren.

Von Ihrem letzten Album „The Mirror Conspiracy“ haben Sie weltweit über 350.000 Exemplare verkauft. Mit so viel Geld in der Tasche könnte man doch auch mal ein Jahr entspannen und dorthin fahren, wo es dreckige Bars gibt.

Ich denke die ganze Zeit darüber nach, genau das zu tun. Ich denke mir dann, das wäre das Paradies – und habe doch immer das Gefühl, dass wir diesen Erfolg, den wir haben, verlieren könnten, wenn wir nicht dranbleiben. Auf diese Weise weiß ich aber zumindest: Es gibt eine bessere Welt da draußen.