Wir müssen ficken, sagt sie

Tom Cruise ist keine makellose Schönheit – und gerade deshalb ein Objekt der Begierde. Momentan ist er in Steven Spielbergs „Minority Report“ frisch zu besichtigen. Eine Hommage

von VERONIKA RALL

„When I first met you, you were larger than life“, haucht Kelly McGillis in „Top Gun“ – eine bessere Liebeserklärung an einen wie Tom Cruise kann sich keine Frau ausdenken. Gerade weil beides zusammengedacht ist, die Liebe und die Leinwand. Und die unversöhnliche Unmöglichkeit zwischen beiden. Immer erscheint der Mann uns größer als das Leben und größer als im echten Leben (tatsächlich misst er knapp 1,70 Meter).

Und immer fragen wir uns, wann wir ihn zum ersten Mal gesehen haben. In meinem Fall muss das in „Top Gun“ gewesen sein, 1986 gedreht, nur dass ich Cruise beim ersten Sehen überhaupt nicht wahrgenommen habe: Irgendwie waren er, sein Körper und sein Gesicht zwischen diesen Kampfmaschinen, der Wagnerästhetik und der fragwürdigen Ideologie, untergegangen.

Erst auf den zweiten Blick schienen Cruise und die Art, wie er hier inszeniert (und benutzt) wurde, interessant. Tom Cruise – und das unterscheidet ihn von fast allen Schauspielerkollegen – lässt sich anschauen, egal wovon seine Filme handeln. Meist handeln seine Filme ja von überhaupt nichts, da stimmt sogar die amerikanische Filmkritik zu.

Der „Video-Movie-Guide“ von 1990 nennt „Die Kadetten von Bunker Hill“ , „ein oft aufregendes, aber meist unglaubwürdiges Drama“, Time bemerkte, dass „Lockere Geschäfte“ genauso lahm sei wie „Die Aufreißer“. Village Voice nannte „Top Gun“ „ideenlos“, und angesichts von „Cocktail“ beschwerte sich People, Cruise habe nur grinsend Tequila ausgeschenkt, gleichwohl habe der Film über 175 Millionen Dollar eingespielt. Und über „In einem fernen Land“ klagte schließlich gar das Schmeichelorgan Premiere, der Film sei kein Epos.

Niemand kann behaupten, Cruise verdanke seine vergleichsweise steile Karriere einem geschickten Agenten, der die Tops von den Flops zu unterscheiden vermochte. Denn egal in welch billigen Streifen Cruise aufgetreten ist – und zu Beginn seiner Karriere sind das viele –, waren Publikum wie Produzenten von seiner Leinwandpräsenz begeistert. Und Nancy S. Martin, Herausgeberin des Playgirl, setzte 1990 noch eins obendrauf, indem sie Cruise bescheinigte, in jeder Rolle und jeder Kleidung gut auszusehen. „Besser noch“, korrigierte sie, „ohne alles.“

Aber Cruise ist eher aus den Filmrollen als aus seinen Klamotten ausgestiegen – denn er hat eine Liebesaffäre mit der Kamera begonnen. Wenn sie läuft, dann liebt der Mann. Er schaut, als wäre da jemand, als gäbe es das Gegenüber, aber er kontrolliert unseren Blick nicht, er bittet eher um ihn. Er will nicht, dass wir die Augen senken, er verführt uns, genauer hinzusehen. Auf seine weißen, unregelmäßigen Zähne, seine leicht schiefe Nase, seine Augenbrauen, in seine Augen. Auf seinen etwas zu rundlichen, zu muskulösen Körper.

In vielen seiner Filme schenkt uns Cruise seinen Körper in spektakulären Sequenzen, die mit der Handlung nichts oder wenig zu tun haben: Er spielt Volleyball („Top Gun“), Baseball („Eine Frage der Ehre“), Billard („Die Farbe des Geldes“) und Football („Der richtige Dreh“), und er singt („Lockere Geschäfte“ und „Top Gun“). Aber es sind nicht nur diese spektakulären Einbrüche in die filmische Erzählung, die unseren Blick unterstützen, immer (und zwar ohne Ausnahme!) gibt es in den Filmen von Cruise eine Frau oder einen Mann, der zum Träger des Blicks auf diesen Körper gelten kann, und meist ist das eine Person, die gesellschaftlich über Cruise steht. Manchmal sind das seine Vorgesetzten oder seine Lehrer, häufig aber gibt es die Frau, die Cruise nicht nur körperlich, sondern insbesondere intellektuell überragt.

Egal ob McGillis (als Lehrerin), Demi Moore (als Anwältin), Nicole Kidman (als Ärztin, als irische Landbesitzerin, als Ehefrau), Elizabeth Shue (als reiche Erbin) oder Rebecca de Mornay (als gewitzte Prostituierte) – die Schauspielerinnen in seinen Filmen mögen nicht immer als A-Besetzung gelten, aber sie packen Cruise allemal ein. Und sie schauen und linsen und gucken sich den Mann an. Kidman darf einmal sogar so weit gehen, den Nachttopf zu heben, den Cruise mangels Alternative über seinen Schwanz gestülpt hat. Den kriegen wir zwar nicht zu sehen, aber wir können uns vermittels des Blicks der Frau vorstellen, was sie gesehen hat.

Wir fühlen uns wohl als Schaulustige an diesem Männerkörper. Das mag auch der Grund sein, warum Cruise nahezu ausschließlich in den billigen Genres reüssiert: Welche Filme dürfen Männerkörper ausstellen? Das sind Kriegsfilme (in Cruise’ Filmografie stark vertreten), Musicals (kaum seine Stärke) und so genannte Frauenfilme, ebenfalls eher ein U- denn ein E-Genre. In Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ ist er die denkbar beste Fehlbesetzung. Ja, er könnte ein naiver Arzt sein, aber schon das Pflaster in New York, das eine Gespaltenheit der Seele notwendig provoziert, ist nicht das seine. Was hätte ein junger Robert de Niro, was ein Andy Garcia aus dieser Rolle gemacht? Kaum vorzustellen.

Cruise hingegen verträgt keine Brüche, Cruise ist immer identisch mit sich selbst – schütteln ihn Zweifel, greift er auf die nächstbeste Autorität zurück. Und das hat ihn so brauchbar für die Reaganära in Amerika gemacht. Sei es „Top Gun“ oder „Tage des Donners“, Cruise nutzte diese Vaterrollen, in denen er aufgehen konnte, sobald irgendein Zweifel aufkommt. Heute, unter dem Nationalitätszwang eines George W. Bush, wird er vielleicht seine zweite Karriere aufbauen (sofern er sie braucht).

Im wahren Leben hat er die Scientology Church für genau diesen Zweck instrumentalisiert. Was nicht heißen soll, dass er ihr mental überlegen ist, dass er jemanden wirklich benutzen könnte. Eher umgekehrt. Denn Cruise ist der denkbar unzweideutigste Good Guy, den man auftreiben kann. Das macht ihn allemal anfällig, als Agent aufzutreten – einer Nation, einer Religion, egal. Aber es macht auch uns anfällig, ihn in diesem ideologischen Vertigo zu lieben.

Denn Cruise tritt obendrein nie als Mann, sondern immer wieder als naives Kind auf. Er spricht kaum, und wenn er es tut, so leicht näselnd, mit einer Attitüde, die kein Synchronsprecher auch nur ansatzweise hinkriegt. Aus Cruisefilmen gibt es keine witzige Zeile zu erinnern, die von ihm gesprochen würde, es sei denn, man oder frau nähme Phrasendrescherei wie „I’ll just hit the breakes and he’ll fly right by“ ernst. Nie genießt er in seinen Filmen eine höhere Ausbildung, und wo es doch passiert, wird betont, dass es sein Instinkt, maximal seine gesellschaftlichen Verbindungen sind, die ihm diese verschaffen.

In „Lockere Geschäfte“ bringt er es als Zuhälter auf die Princeton University, in „Der richtige Dreh“ beschwert sich seine Klassenkameradin darüber, dass beschränkte Footballspieler einen High-School-Abschluss bekommen. In „Cocktail“ denunziert Cruise die Schule als theoretische Veranstaltung, in „In einem fernen Land“ verkörpert er einen Bauern, der weder lesen noch schreiben kann. Selbst in Steven Spielbergs neuem Film „Minority Report“ bricht ihm die Tatsache, dass er zwar gesehen hat, aber nichts erkannt, fast das Genick. Während die Filmliteratur das männliche Schweigen als machtvolle Zurückhaltung interpretiert hat (den Ort, wo der Penis sich in einen Phallus verwandelt, wo der Mann schweigt und sieht), kann man darin auch ein „narzisstisches Dilemma“ sehen: Cruise ist im eigenen Spiegelbild gefangen, das nichts als Bestätigung zulässt.

Wenn frau genau hinschaut und hinhört, kann sie an genau diesem Punkt anstelle des Zwangs zur Identität eine Freiheit zur Differenz und zum Diskurs sehen: Endlich einmal hält er die Klappe, und sie kommt zu Wort. Gelegentlich ist diese Sprache zwar in einen bestätigenden Liebesdiskurs eingebunden – wie schrieb Roland Barthes in „Fragmente einer Sprache der Liebe“ so schön? Der Satz „Ich liebe dich“ lässt sich nur spiegelbildlich beantworten: „Ich liebe dich so wie du mich liebst.“

Das weiß auch Kelly McGillis, die am Ende von „Top Gun“ nichts anderes tut, als die Jukebox anzustellen, den Song noch einmal spielen zu lassen, den – play it, Tom! – Cruise zu Beginn des Films für sie gesungen hat. Das ist die ultimative Ohnmachtserklärung angesichts einer Liebe, aber es ist auch eine Machterklärung.

Und ich weiß nicht, ob Stanley Kubrick „Top Gun“ gesehen hat. Möglicherweise. Denn er lässt Nicole Kidman den letzten Satz seines letzten Films sprechen. „Ich denke, wir müssen da etwas tun“, sagt sie zu Tom, nach einer dreistündigen Lektion in Beziehungskalkül, für uns, für die Zukunft.

Gegenschuss, das erwartungsvolle Gesicht von Cruise. „Ja, was denn?“, fragt er. Und ihre Replik liest sich wie eine zweite, unmögliche Leinwandliebeserklärung nach McGillis. „We need to fuck“, sagt sie.

VERONIKA RALL, Jahrgang 1962, arbeitet als Redakteurin der schweizerischen Wochenzeitung WOZ . Im Bertz Verlag erscheint demnächst von ihr eine Hommage an Tom Cruise