„Sprache der Ausgrenzung“

Fremd im eigenen Genre: Ein Gespräch mit Hannes Loh und Murat Güngör über den Aufstieg von HipHop in Deutschland von einer migrantisch geprägten Subkultur zum DeutschRap von heute

InterviewDANIEL BAX
und THOMAS WINKLER

taz: In eurem Buch „Fear of a Kanak Planet“ beschreibt ihr die Geschichte des deutschen HipHop als eine Geschichte der Verdrängung von Migranten aus dem Genre. Worauf führt ihr diese Entwicklung zurück?

Hannes: Es hat mit verschiedenen Diskursen zu tun. Der nationale Diskurs seit der Wiedervereinigung hat da eine große Rolle gespielt und das Herbeischreiben einer deutschsprachigen HipHop-Kultur im Feuilleton. Leute, die dagegen über einen Alltag gerappt haben, der nichts mit Blümchentapeten und Müsli zu tun hatte, wurden dabei tendenziell ausgegrenzt.

Murat: Das sind Diskurse, die vom Feuilleton in die Szene hinein getragen wurden.

Aber das Feuilleton wird doch von HipHop-Kids gar nicht gelesen! Ist DeutschRap denn nicht von den Plattenfirmen groß gemacht worden?

Murat: Das Feuilleton hat eine große Rolle dabei gespielt, das Phänomen zu dokumentieren und seine Geschichte zu schreiben. Es hat den Diskurs über DeutschRap geprägt.

Ihr betont den Jugendzentrums-Hintergrund von HipHop. Ist das der einzig wahre HipHop?

Murat: Es gibt verschiedene Zugänge, mit denen sich Gruppierungen an HipHop angedockt haben, jede auf ihre Art und Weise. Aber: Es gibt eine hegemoniale und eine marginale Geschichtsschreibung. Und die Fantastischen Vier wurden als Stellvertreter dieser hegemonialen Geschichtsschreibung vereinnahmt. Man kann ihnen vorwerfen, sich dieser Deutschtümelei nicht entzogen zu haben.

Hat nicht der Aufstieg von HipHop von einer Unterschichtkultur zu einem Pop-Phänomen für Mittelschichtkids zur Marginalisierung von Migranten geführt? Beschreibt ihr nicht ein soziales Phänomen?

Hannes: Die soziale und die ethnische Ebene sind eng verknüpft und werden im Sprechen über HipHop auch nicht getrennt. Deswegen verknüpfen wir in unserem Buch die HipHop-Geschichte mit der Geschichte der Migration, die ja total verschüttet ist.

Ihr suggeriert, dass bei den Plattenfirmen ein subtiler Rassismus herrscht. Wäre es da nicht interessant gewesen, mal bei einer großen Plattenfirma zu fragen, warum sie keinen türkischen Act gesignt haben?

Hannes: Es war unsere Absicht, mit den Leuten zu sprechen, die von dieser Ausgrenzung betroffen gewesen sind. Mit Plattenfirmen wollten wir gar nicht reden.

Muss man nicht einfach sagen: Die Fantastischen Vier hatten Erfolg, weil sie die Lebenswirklichkeit eines großen Publikums angesprochen haben? Die Mehrheit in Deutschland hat nun mal keinen Migrationshintergrund und interessiert sich auch nur bedingt dafür?

Murat: Das ist ein wichtiger Punkt: Natürlich fühlt sich die Mehrheit eher von den Fantastischen Vier angesprochen als von Killa Hakan aus Kreuzberg.

Liegt das nicht schon allein daran, dass die einen auf Deutsch, der andere auf Türkisch rappt? Definiert sich DeutschRap nicht vor allem über die Sprache?

Murat: Türkischer HipHop ist doch nicht daraus entstanden, das man sich gesagt hat: Wir wollen uns auf unsere Identität beziehen. Das hat mit den Anschlägen von Mölln und Hoyerswerda zu tun, wo es eine Politisierung der Szene gab und es darum ging, die eigene Klientel anzusprechen, in ihrer Sprache. Es ging weniger darum zu sagen: Wir wollen hier unser Türkentum hochhalten.

Das wiederum hat natürlich dazu geführt, das man sich marginalisiert hat. Aber es gibt auch eine Reihe von Leuten, die von Anfang an auf Deutsch gerappt haben und trotzdem nicht unter DeutschRap eingeordnet wurden: Azad, Fresh Family, Advanced Chemistry oder Microphone Mafia aus Köln etwa. Die sind aus diesem Diskurs herausgefallen.

Kool Savas ist der erste Migrant, der nicht auf seine Herkunft reduziert wird: Er wird gar nicht als Türke wahrgenommen.

Er macht ja auch kein Thema daraus.

Murat: Stimmt. Alle anderen Gruppen haben sich auf ihre soziale Herkunft bezogen. Die haben von ihrer Lebenssituation in Deutschland erzählt, es ging um Rassismus und soziale Fragen. In Deutschland wirst du da immer schnell als Migrant wahrgenommen, selbst wenn du einen deutschen Pass besitzt.

In Frankreich dagegen hat sich die HipHop-Szene ganz anders entwickelt. Da wurden auch Schwarze und Maghrebiner von Anfang an unter French Rap zusammengefasst.

Das Staatsbürgerschaftsrecht allein hindert aber noch keinen türkischen Rapper daran, auf Deutsch zu rappen.

Murat: Das stimmt. Aber in Frankreich war die Hemmschwelle, in der Landessprache zu rappen, für viele Migranten auch niedriger als in Deutschland. Deutsch haben die meisten hier immer als Sprache der Ausgrenzung erlebt.

Ihr betont die Opferrolle.

Hannes: Um es mit Karl Marx zu sagen: Menschen machen ihre eigene Geschichte. Aber nicht unter Umständen, die sie sich frei ausgesucht haben. In den Interviews, die wir geführt haben, kam bei den meisten Leuten eine riesige Wut hoch. Da werden vielleicht die Umstände, die man sich nicht frei ausgesucht hat, betont.

Ist das nicht oft auch nur schlicht die Wut auf die Erfolgreichen, die besser die Masse zu bedienen wissen?

Hannes: Neid ist da das falsche Wort. Aber Enttäuschung darüber, nicht den gleichen Erfolg gehabt zu haben wie Fünf Sterne De Luxe oder Deichkind, die auf einmal abgefeiert wurden – gerade, wenn man selbst die Hoffnung hatte, einmal von der Musik zu leben. Microphone Mafia etwa haben 1994 ein Jahr lang von ihrer Musik gelebt. Die dachten, jetzt haben sie’s geschafft und ihren Traum verwirklicht.

Man muss auch bedenken: Die meisten Leute waren damals 16, 17 Jahre alt. Die haben nicht kapiert, was da für Diskurse um sie herum abgehen.

Seht ihr heute auch einen Wandel in der HipHop-Subkultur?

Hannes: Es gibt immer noch diese multiethnische Szene in den Jugendzentren, die vor allem US-Rap hört. Aber es gibt inzwischen auch eine andere Untergrundszene, wo ganz andere Werte und Regeln gelten. Es gibt diesen Battle-Rap-Untergrund, der sich einerseits gegen die erfolgreichen Deutschrapper in Hamburg und Stuttgart wendet, und wo viel mit Tabubrüchen operiert wird. Das ist eine riesige Szene, die verkaufen teilweise 8.000 Tapes – mehr, als manche Leute heute auf einem Majorlabel. Die wächst über das Internet und über den Tape-Markt. Und da geht einiges an Rassismus ab.

Diese Beliebigkeit kann ja erst eintreten, wenn eine Kultur ihre soziale Erdung verloren hat. Battle-Rap baut auf einer Kultur auf, in der die kritischen Inhalte schon weitgehend an den Rand gedrängt worden waren.

Muss man sich von dem Gedanken verabschieden, das HipHop per se antirassistisch ist?

Hannes: Das sagt ihr jetzt einfach so (lacht)! Aber HipHop hat einmal eine große Rolle gespielt für die so genannte zweite Generation. Die ist dadurch erstmals ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder ins Fernsehen geraten. Der Verlust des multikulturellen Charakters von HipHop hat deswegen auch eine dramatische Bedeutung: Weil damit ein Integrationsmodell verloren gegangen ist.