My name is Billie

Billie, Ray, Martin. Drei Männernamen auf einmal – das muss eine Frau sein. Ist sie auch. Ihr bürgerlicher Name, verriet die nahe der Reeperbahn aufgewachsene Singer-Songwriterin einmal einem britischen Musikmagazin, klinge ungefähr so ähnlich, sei aber „extrem unwichtig“. Groß war indes Martins Erstaunen, als sie eines Tages in einem US-Restaurant vom Kellner gefragt wurde, wie sie denn heiße. „My name is Billie.“ „Oh, like Billie Ray Martin?“

Von den eigenen Fans nicht sofort erkannt zu werden, kann der optisch sehr wandlungsfreudigen Soulsängerin nur passieren, solange sie nicht singt. Auch wenn sie schon mal als Dusty Springfield des 21. Jahrhunderts apostrophiert wird und ihre Stimme mal an Elkie Brooks erinnert, mal – wie auf neuesten Demoaufnahmen – entfernt an Shirley Bassey: Billie Ray Martins Gesang ist, wie es sich für eine Soulsister gehört, unverwechselbar. In leisen Tönen warm und ein wenig verloren klingend, bei größerer Lautstärke metallischer und gelegentlich sirenenhaft.

Erste Erfahrungen als Sängerin sammelte Billie Ray Martin Mitte der Achtzigerjahre in Berlin mit einer Band namens Billie and the Deep sowie – angeblich – als Teil eines Duos The Idiot Cards, das – ebenfalls angeblich – eine Art „Carpenters auf intellektueller“ sein wollte. Die Wende zum Erfolg kam, als BRM, wie sie ihren Namen gerne abkürzt, nach London ging und in der House Community eine musikalische Heimat fand.

Ein grelles „Higher! Higher!“ wurde zum musikalischen Urschrei der künftigen Souldiva, zu hören auf der Single „Hey Music Lover“ von S-Express, der ständig wechselnden Formation von Mark Moore. Nach diversen erfolglosen Versuchen, eine eigene Houseband zu gründen, reagierten 1988 vier Jungs aus Birmingham auf Billies Anzeige „Soulrebell sucht Genie“. Die Jungs waren die kraftwerkartigen Tüftler, Billie die Seele: Der Beginn von Electribe 101.

Die Band brachte es mit vier Singles auf drei Charterfolge. Die Abstände zwischen den Veröffentlichungen waren jedoch so groß, dass das nachgeschobene Album „Electribal Memories“ kein überragender Erfolg wurde. Eine Tournee als Vorgruppe von Depeche Mode geriet gar zum Fiasko, weil Depeche-Mode-Fans einer üblen Tradition folgend kein Vorprogramm duldeten. BRM im Rückblick: „Das war nicht der Sargnagel für die Gruppe, wohl aber für meine Nerven.“

Nach dem Split von Electribe 101 entstanden 1992/93 mit Ex-Soft-Cell Dave Ball die „Four Ambiant Tales“ sowie mit Spooky ein psychedelisches Dance-Remake des Throbbing-Gristle-Songs „Persuasion“ (Textprobe: „Ich hab’ eine kleine Keksdose, darin heb’ ich deinen Schlüpfer auf“). 1995 erschien Billie Ray Martins Debütalbum „Deadline For My Memories“ mit ersten Anklängen von Südstaatensoul – und dem Hit „Your Loving Arms“. Seither hat Martin ihren stärksten Rückhalt unter Schwulen. Ohne deren Netzwerk, die Gay Clubs und die Unterstützung durch die schwule Presse, sagt sie, würde sie heute wohl nicht mehr singen.

Im vergangenen Jahr erschien nach schier endloser Vorbereitung das in Memphis aufgenommene und in Europa produzierte Album „18 Carat Garbage“ auf BRMs eigenem Label Sonnenstahl Records (Vertrieb der CD sowie diverser Wiederveröffentlichungen über www.billieraymartin. com). Seither sprudeln die Projekte. Zurzeit arbeitet Martin mit dem Griechen Mikaël Delta an einem neuen Album. Einer der Songtitel: „Je Regrette Everything“. Spooky!   RKR