„Abstoßende Zeiten“

Verfolgt fühlt sich der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin noch nicht, doch die Putin-Jugend hat seine Bücher schon einmal öffentlich verbrannt

Interview KLAUS-HELGE DONATH

Wladimir Sorokin hat die kremlnahe Jugendorganisation „Iduschtschie Wmeste“ – im Volksmund auch Putin-Jugend – wegen Verletzung der Urheberrechte verklagt. Ein Moskauer Gericht wies die Klage ab. Die Putin-Eiferer hatten anzügliche Zitate aus Sorokins Romanen in einer Broschüre ohne Erlaubnis des Autors vertrieben. Dem war eine Klage der Putin-Jugend gegen Sorokin wegen der Verbreitung von Pornografie vorangegangen, die nun verhandelt wird.

taz: Ihr Buch „Himmelblauer Speck“ erschien bereits vor vier Jahren. Warum hat es so lange gedauert, bis Sie wegen Verbreitung von Pornografie vor den Kadi gezerrt wurden? Ihre älteren Bücher sind auch nicht gerade Literatur für höhere Töchterschulen.

Sorokin: Russland ist ein Brontosaurus, bei dem Reflexe bis zum Hirnzentrum lange unterwegs sind. Außerdem ist die Zeit des politischen Umbruchs vorbei, in der Literatur keine Rolle gespielt hat. Wir erleben eine Renaissance, in der sogar Bürokraten und Politiker wieder lesen. Der Kreml liest! Das wäre zu Zeiten Jelzins undenkbar gewesen.

Ist das nun gut oder schlecht, wenn die Macht mehr Zeit zur Kontemplation hat, ihre Erkenntnis indes nutzt, um die Schraube anzuziehen?

Beides scheint mir zuzutreffen. Unsere Zeit ist auch ereignisarm, da wird ein Prozess gegen einen Schriftsteller automatisch zu einem Event und der Prozess selbst zu einem literarischen Ereignis. Die Macht versucht, ihre Ordnungsfantasien umzusetzen. Die Zeiten werden frostiger. Irgendetwas geht vor.

„Interessante Zeiten“ in Russland bedeutete bisher, der Gesellschaft wurde die Luft zum Atmen genommen. Ist es wieder so weit?

Ich will meinen Fall nicht mit früheren Kampagnen gegen russische Schriftsteller vergleichen, Sinjawski, Pasternak, Achmatowa. Sie lebten in härteren Zeiten. Selbstverständlich hat sich Russland im letzten Jahrzehnt weiterentwickelt, es ist aber auch ein Land voller Überraschungen geblieben. Unsere Bürokraten liegen immer auf der Lauer und sind jederzeit zu allem bereit. Ich fühle mich aber nicht als politisches Opfer.

Der Kulturminister unterstützt Sie nicht. Er sieht in dem Prozess die Chance, einer breiten Öffentlichkeit den Unterschied zwischen Literatur und Pornografie zu vermitteln …

Wenn ein Kulturminister eine gerichtliche Klärung begrüßt, grenzt das ans Absurde. Pornografie ist erst einmal visuell, nie ein Text. Muss man einen Schriftsteller erst verurteilen, um diesen Wesensunterschied herauszuarbeiten? Minister Michail Schwydkoj ist ein kluger Mann, aber auch ein Beamter, der womöglich fürchtet, mit der Aktion könnte auch er abserviert werden. Abstoßende Zeiten.

Weiß Putin Bescheid?

Klar, der Präsident sei dagegen, hieß es. Schriftstellerprozesse hätte es in der jüngeren Geschichte genügend gegeben. Ob das ehrlich war … Heuchelei ist ein Merkmal unserer Zeit.

Könnte nicht auch die Demontage von Führungsfiguren in Ihren Büchern den Unmut der Herrschenden entfacht haben?

Ich bin Schriftsteller, kein Politiker. Wenn ich etwas zerstöre, dann zufällig. Ich spiele mit den Metiers, mir macht das Spaß.

In „Himmelblauer Speck“ vögeln Stalin und Chruschtschow miteinander. Das muss doch eine von Omnipotenzvorstellungen besessene, aber zeugungsunfähige Bürokratie verunsichern?

Ja, vielleicht hätte es sie weniger gestört, wenn zwei gleich starke ebenbürtige Figuren es miteinander getrieben hätten, Lenin mit Stalin meinetwegen. Wer war schon dieser Weichling Nikita Chruschtschow? Schwule gibt es übrigens in Russland genug …

und extrem starke Frauen, die auf der Suche nach einem heilen, ganzheitlichen Helden verzweifeln.

Ja, ich bin leider auch ein anderer Typ.

Dafür mögen Sie die Leser.

Besonders die jungen Leute lesen mich. Der „Himmelblaue Speck“ geht in die achte Auflage, 107.000 Stück wurden insgesamt verkauft.

Die „Iduschtschije Wmeste“ hat vielleicht gerade Sie ausgesucht, weil Sie bei den Jugendlichen populär sind?

Diese Putin-Jugend ist gekauft, eine SA in Puderzucker. Für die Vernichtungsaktion meiner Bücher vor dem Bolschoi Theater haben sie aus dem Moskauer Umland Rentner herangekarrt und ihnen ein paar Rubel bezahlt. So etwas hat es nicht einmal während der Revolution gegeben. Mit Büchern ist man in Russland immer ehrfürchtig umgegangen.