Das Glück der Schamanen

Warme Sonne, Zaubertruhe: Der in Ulan-Bator lebende Schriftsteller Galsan Tschinag preist in seinem neuen Erzählband „Tau und Gras“ seine Großmutter – und natürlich alle anderen Frauen der äußersten Mongolei

Galsan Tschinag stammt aus der sibirischen Republik Tuwa und lebt in Ulan-Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Seit seinem Studium in Leipzig schreibt er seine Bücher auf Deutsch. Sie haben so schöne Titel wie: „Die graue Erde“, „Der blaue Himmel“, „Der weiße Berg“. Diese drei bilden im Übrigen den autobiografisch angereicherten Entwicklungsroman eines Nomadenjungen, der kurz vor Stalins Tod in die Schule der Kreisstadt kommt, an der sein älterer Bruder als Direktor fungiert. Der dritte Band ist Pürwü gewidmet, Tschinags Tante, die eine Schamanin ist und ihm fast Mutter war.

Galsan Tschinag ist ein guter Erzähler, und seine Bücher wurden in vielen deutschen Verlagen veröffentlicht. Allein im A 1 Verlag erschienen bisher: „Der siebzehnte Tag“, „Das Ende des Liedes“, „Eine tuwinische Geschichte und neue Erzählungen“ sowie „Die Karawane“. Letzteres wurde vom SFB verfilmt. Darin geht es um eine Gruppe aus Tuwa, die im Norden der Mongolei in Fabriken arbeitete und nach dem Ende des Sozialismus arbeitslos geworden war. Galsan Tschinag organisierte daraufhin mit ihnen eine Karawane – zurück nach Tuwa.

Zuletzt erschien im A 1 Verlag sein Buch „Dojnaa“: die Geschichte einer ebenso großen wie starken Nomadin und Jägerin, deren Ehe mäßig befriedigend verläuft. Als der ihr ewig unterlegene Mann sie verlässt, ist es ihr jedoch auch nicht recht. Erst eine Dreierbeziehung mit einem alten Ehepaar in der Nachbarjurte verscheucht die trüben Gedanken – und gibt ihr wieder neuen Schwung.

Der Roman ist den nomadischen Frauen gewidmet, „auf deren Schultern das Geschick einer untergehenden Welt ruht“. Tatsächlich spielen die Frauen in allen Büchern von Tschinag eine große Rolle – auch weil sie in der mongolischen Gesellschaft, zu der man auch die burjatische und die tuwanische Volksgruppe dazurechnen kann, eine sehr viel größere Rolle spielen. So waren die Geschlechter bei den Viehzüchternomaden nie derart rigide auf Oikos oder Polis, das Private und die Öffentlichkeit, festgelegt wie bei den sesshaften Ackerbauern bzw. Bürgern.

Der Schamanismus und Buddhismus engt die Frauen nicht ein wie Judentum, Christentum, Islam und Hinduismus. Der Sozialismus hat dann den Zwang zur Sesshaftigkeit sogleich mit der Forderung nach Gleichberechtigung in Ausbildung und Beruf verknüpft. Zuletzt hat der Zusammenbruch der Sowjetunion die Männer in der nun autonomen Mongolei nicht wieder in den Stand versetzt, eine Familie ernähren zu können: „Deswegen müssen wir uns jetzt als Frauen selber um unser Leben kümmern“, erklärte die mongolische Modemacherin Nyamsuren Soyolmaa neulich in der taz.

Der Schweizer Unionsverlag veröffentlichte gerade eine Sammlung kurzer Erzählungen von Galsan Tschinag, die zum Teil bereits 1981 in der DDR erschienen sind. Viele dieser Geschichten basieren auf Erinnerungen an die Jugendzeit des Autors. Wieder spielt darin eine Frau eine wichtige Rolle: „Zu meinem Glück in diesem Leben gehörte unbedingt, dass ich eine Großmutter hatte. Sie glich einer wärmenden Sonne und dann noch einer Zaubertruhe, aus der man hervorholen und hervorholen konnte, ohne dass sie jemals leer geworden wäre. Großmutter und ich gehörten zueinander wie Gras und Tau. Großmutter war lange achtzig, und eines Tages hieß es plötzlich, sie sei zweiundachtzig geworden. Und weiter hieß es, nun könne sie gehen. Wohin? Ins Salz. Und es könnte lange dauern. Dann aber würde sie zurückkommen.“

Der Unionsverlag veröffentlichte Galsan Tschinags 33 Erzählungen unter dem Titel „Tau und Gras“. Daneben sind beim selben Verlag in Zürich noch drei weitere Bücher von ihm erschienen, wovon er eines zusammen mit der Ethnologin Amélie Schenk schrieb. Im Chatroom von www.seniorentreffs.de findet man außerdem noch ein Gedicht von Galsan Tschinag über die Maßlosigkeit des Dichters, das von einer gewissen Heidi dort eingerückt wurde – zusammen mit mehreren Gedichten des alten Schamanen Nietzsche.

HELMUT HÖGE

Galsan Tschinag: „Tau und Gras“. Unionsverlag, Zürich 2002, 157 Seiten, 14,80 €