In aller Freundschaft

Geschenke schaffen Abhängigkeiten und sichern Gegengaben. Das war schon in der Renaissance so, wie Natalie Zemon Davis anschaulich zeigt

Kein Anwalt oder königlicher Beamter musste seine Tätigkeit für den festgelegten Lohn allein ausführen

von SABINE VOGEL

Die SPD schenkt ihren potenziellen Wählern Kugelschreiber, die Grünen Bleistifte und die CDU Luftballons. Der Apotheker schenkt seinen Kunden zum Jahreswechsel einen Kalender, der Filmproduzent seinem Geschäftspartner eine Espressomaschine zum Vertragsabschluss – und der Unternehmer Burkhart „Amigo“ Grob dem CSUler Max Streibl Urlaubsreisen nach Kenia. Geschenke erhalten schließlich die Freundschaft.

Im Frankreich der Renaissance war das nicht anders: Der Baron schenkte seiner Magd Nähnadeln zum neuen Jahr, der Bauer seinem Herrn eine Gans zum Namenstag, der Lehrherr seinem Lehrling zur Bekräftigung des Lehrvertrages eine kleine Münze – und die neuen Kandidaten für den Stadtrat von Genf schenkten dem Wahlkollegium ein üppiges Festmahl. Doch wer schenkte wem was, wann, und was bedeutete das Geschenk? Natalie Zemon Davis führt in ihrem neuesten Buch „Die schenkende Gesellschaft“, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt, ein Kaleidoskop von Geschenksituationen vor Augen, um eine Antwort auf diese Fragen zu finden. Die Anlässe für Geschenke waren zahlreich. Manche waren im Jahreslauf begründet, andere im Lebenslauf, wieder andere in besonderen Ereignissen. Aber kein Geschenk war ohne Absicht, Geschenke stifteten Bindungen, so Davis’ These. Durch den Gabentausch entstand ein Netz von Beziehungen zwischen Schenkenden und Beschenkten. Keine Gabe ohne Gegengabe, auch wenn die auf sich warten lassen konnte. Im Gegensatz zu Geschäften, die mit dem Tausch von Ware gegen Geld endeten, waren Bindungen, die durch Geschenke entstanden, endlos, denn sie verpflichteten den Beschenkten zur Dankbarkeit.

In der Fülle der Beispiele allerdings geht die Spezifik der französischen Renaissancegesellschaft zunächst unter. Indem sich Natalie Davis auf das Erzählen von Geschenksituationen beschränkt, erfährt der Leser zu wenig über die Umstände, den Kontext. Die Schenkenden bleiben als Persönlichkeiten zu blass – obwohl die Autorin die Protagonisten gut kennt. Und auch Leser ihres Gesamtwerks treffen viele alte Bekannte wieder. Doch um verstehen zu können, wie das Netz der Schenkbeziehungen andere soziale Netze überlagerte oder bestätigte, müssten die Einzelfälle besser eingebettet sein – in den historischen Kontext ebenso wie in den der Forschung.

Spannend wird es erst in den letzten beiden Kapiteln des Buches, in denen Gaben untersucht werden, mit denen der Schenkende eine explizite Absicht verband: Bestechung und Almosen. Hier stellt Natalie Davis im Gegensatz zu den vorangegangenen Kapiteln die Beispiele im Zusammenhang mit der zeitgenössischen publizistischen Auseinandersetzung dar. So erfährt man, dass kein Anwalt oder königlicher Beamter seine Tätigkeit allein für den festgelegten Lohn auszuführen brauchte. Es war ebenso üblich wie verboten, ihnen zusätzlich etwas zu schenken. Je nach Situation und Stand von Schenkendem und Beschenkten schwankte der Wert der Gabe. Bauern schenkten Anwälten Geflügel, Städte schenkten Kanzlern zum Amtsantritt goldene Becher. In regelmäßigen Abständen erließ der König von Frankreich Edikte und Ordonnanzen, die diesen Brauch verboten, doch gibt es sehr wenige Belege dafür, dass das Schenken aufhörte. Eher implizit und rückwirkend wird an dieser Stelle des Buches deutlich, warum Davis zunächst die Vielfalt der Geschenkbeziehungen vorgestellt hat: Wo nämlich fingen in einer Welt, in der Beziehungen durch Geschenke gestiftet wurden, Korruption und Bestechung an? Schon damals waren die Zeitgenossen in dieser Frage uneins – ganz abgesehen, dass es in der französischen Sprache der Renaissance kein eigenes Wort für „Bestechung“ gab. Man verwendete immer „don“ oder „présent“. Nur aus dem Kontext oder dem konkreten Vorgang erschloss sich, ob das Geschenk erlaubt war oder nicht.

Auf faszinierende Weise spitzt Davis im letzten Kapitel die Bedeutung von Geschenken in der Frühen Neuzeit zu, indem sie die Reformation darstellt als Auseinandersetzung um die Frage, ob es möglich sei, Gott durch Geschenke zu etwas zu verpflichten. Während der katholische Glaube ein komplexes reziprokes System darstellt, in dem Menschen und Gott auf vielfältige Weise durch Gebete und Taten miteinander verbunden sind, brechen die Reformatoren mit dieser Vorstellung. Für Katholiken war es selbstverständlich, dass sie mit ihren Gebeten und Almosen Gott erreichten, selbst oder sogar insbesondere auf dem Umweg über Fürsprecher, wie Heilige oder Maria es waren. Katholiken sorgten mit Almosen und Gebet für ihr Seelenheil, das Gott ihnen im Gegenzug gewährte. Calvin und die Reformatoren hingegen betonten, dass Menschen mit ihren Taten nicht bis zu Gott dringen konnten. Es war in ihren Augen unmöglich, Gott durch gute Taten auf der Erde zu einer Gegengabe zu bewegen. Die göttliche Gnade war durch nichts zu erwerben. Es war für den Menschen lediglich möglich, seinen Gehorsam und seine Gebete als Opfer zu bringen.

Auch Almosen für die Armen erfüllten nun keinen direkten Zweck mehr. Stattdessen wurde Nächstenliebe ohne Erwartung einer Gegengabe gefordert und die städtische Armenpflege ausgebaut. Das Netz von Geschenkbeziehungen wurde noch weiter eingeschränkt: Im calvinistischen Genf erließ man sogar Regeln und Obergrenzen für Privatgeschenke, und die Gelage im Umkreis der Ratswahlen, die traditionell der Kungelei dienten, wurden verboten. Ziel dieser Bemühungen war es, die privaten Verpflichtungen, die durch Gabe und Gegengabe entstanden, durch moralisches Handeln im Allgemeinen als Verhaltensmuster zu ersetzen. Auf lange Sicht führte dies zu einer Beschränkung auf Geschenke im Familienkreis, zu einer Verrechtlichung der Beziehungen außerhalb der Familie – und nicht zuletzt zu der strebsamen Lebensweise, die Max Weber als „Protestantische Ethik“ bezeichnete.

Natalie Zemon Davis’ Buch hat einen belanglosen Anfang, eine interessante Mitte und einen fulminanten Schluss. Wie in all ihren Büchern liest sich die quellennahe Darstellung, die von großer Sympathie für die historischen Akteure geprägt ist, leicht und flüssig. Hätte die Altmeisterin der französischen Renaissancegeschichtsschreibung mehr von der Fülle der Details abstrahiert und sie besser eingeordnet, ihr Buch wäre als Geschenk uneingeschränkt zu empfehlen.

Natalie Zemon Davis: „Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance“, 240 Seiten, C. H. Beck, München 2002, 22,90 €