„Wie im Schlafwagen“

Wenn in den nächsten drei Tagen in München über die Branchenkrise diskutiert wird, geht das garantiert wieder amThema vorbei. „Es muss alles noch drastischer und schlimmer werden“, meint der Medienkritiker Lutz Hachmeister

Interview STEFFEN GRIMBERG

Heute beginnen die Münchner Medientage mit einer medienpolitischen Grundsatzrede von Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, danach folgt die „Elefantenrunde“ mit allen, die im deutschen Fernsehmarkt Rang und Namen haben. Ein Gespräch mit dem Medienforscher Lutz Hachmeister über die wirklichen Probleme der Branche.

taz: Herr Hachmeister, gibt es einen Ausweg aus der Trostlosigkeit des Fernsehens?

Lutz Hachmeister: Man merkt natürlich schon den Moll-Ton in der Branche, beim Programm wird überall gespart. Was aber nicht bedeutet, dass das immer zulasten der Qualität geht: Die ökonomische Krise der Branche kommt zum Beispiel den TV-Dokumentationen zugute. Die sind selbst in hoher Qualität noch viel günstiger zu produzieren als die teilweise massenhaft hergestelllten mittelmäßigen TV-Movies. Diese Umschichtung halte ich für durchaus heilsam.

Im deutschen Markt ist von „heilsam“ aber nicht viel zu spüren. Dafür wird umso mehr die Werbekrise beschworen.

Die eine Hälfte des Fernsehmarktes ist ja sehr sicher: ARD und ZDF. Bei der RTL-Gruppe wird kommerzielles Sicherheitsfernsehen auf hohem professionellem Niveau gemacht, und Sat.1 ist, was Programmneuerungen anlangt, der zurzeit spannendste Sender. Die eigentliche Baustelle ist die Nachfolgeregelung für die Kirch-Sender. Man kann aber nicht sagen, dass sich der deutsche Fernsehmarkt in einer tiefen Krise befände.

Die Werbekrise ist aber doch völlig real.

Beide großen Privatfernsehgruppen leisten sich jeweils einen Sender zu viel – mindestens: sowohl die RTL-Gruppe als auch das Ex-Kirch-Konglomerat. Die Malaise ist hausgemacht.

Apropos Ex-Kirch-Gruppe: Wird Edmund Stoiber bei seiner traditionellen Eröffnungsrede der Münchner Medientage auf die Kirch-Krise und seine eigene Rolle darin eingehen?

Ich denke schon, dass der bayerische Ministerpräsident nicht um das Wort „Kirch“ herumkommt. Nur: Das und die folgenden Elefantenrunden sind ein auslaufendes Politikmodell – eine Sache des vergangenen Jahrhunderts. Diese Veranstaltungen bewirten eine geschlossene Gesellschaft der formierten Kommunikationsindustrie, die in ihren komfortablen Schlafwagen durch imaginierte Medienlandschaften zuckelt. Ohne dass sie etwa begriffen hätte, wie viel die Misere der Medienpolitik mit der allgemeinen Wirtschaftskrise zu tun hat.

Sie sehen hier einen Zusammenhang ?

Zur Rettung des konventionellen Wachstumskapitalismus hatte man sich ja das Modell einer sich selbst befruchtenden Medienwirtschaft ausgedacht. Medien- und Telekommunikationsunternehmen schalten demnach ständig Werbung in anderen Medien, propagieren sich gleichsam selbst als Schlüsselindustrie. Dies war eine der Grundlagen für die New Economy. Der Bürger wurde als irrsinniger Medienkonsument definiert. Diese Vorstellung ist so noch in vielen Köpfen vorhanden.

Nun thematisieren die Medientage ausdrücklich diese Krise.

Notgedrungen, aber sie wabern vor sich hin wie immer. Dabei wären neue Modelle der Kommunikationsgesellschaft zu entwickeln, die nicht auf ewiges quantitatives Wachstum setzen.

Wo müsste man hierbei konkret ansetzen?

Es gibt ja Alternativen, die nie populär wurden. Nehmen Sie Kooperationen öffentlich-rechtlicher Sender mit privaten Initiativen, zum Beispiel zur Gründung neuer Themensender. Auch die Stärkung mittelständischer Medienunternehmen ist bislang allenfalls eine Worthülse. Man hat die Medienwirtschaft immer mit Standortsubventionen zu päppeln versucht, aber nicht darauf geachtet, ob die Unternehmen überhaupt überlebensfähig sind. Wir brauchen viel mehr Daten und Fakten über Marktpotenziale, auch im internationalen Vergleich, aber auch über reale Marktgrenzen.

Warum kann sich diese Schieflage weiterbehaupten?

Ich bin Anhänger der medienpolitischen Sonthofen-Theorie, um in Bayern zu bleiben und Franz Josef Strauß nochmal die Ehre zu geben [der damals auch auf die Verschärfung einer Krisensituation setzte, d. Red.]: Auch wenn’s weh tut: Es muss wohl alles noch drastischer und schlimmer kommen, damit sich eine Medienpolitik in Deutschland entwickelt, die überhaupt ihren Namen verdient. Die Leute, die sich darum zurzeit in den Parteien und politischen Gremien kümmern, sind doch kaum ernst zu nehmen.