Gott ist ein Gigolo

Zu hysterisch, zu sexy: Nicht das Symbol, sondern der wahre Musiker, known as Prince, war da. Im Berliner ICC

So ein Knistern passiert der hässlichsten Konzerthalle der Welt, dem ICC in Berlin, eher selten. Die Leute, zwischen 30 und 40 Jahre alt, haben sich heftig aufgebrezelt. Es geht schließlich um den Gott unserer Jugend, als wir noch dachten, wir würden noch mal hoch hinaus, mit Champagner und Schokoerdbeeren zum Frühstück, in jedem Hotelbett der Welt. Heute ist der Abend, auf den wir lang gewartet haben. Heute kommt Prince.

Sogar für unverschämte 71,50 Euro sitzt man noch so weit weg, dass man die Bühne kaum erkennen kann. Will man aber nicht. Viel zu rar macht er sich, dieser kleine Tausendsassa, läuft dem spärlichen Flutlicht davon, verschwindet hinter seiner Band, der New Power Generation, zwischen Maceo Parker und Candy Dulfer, die alle einen Kopf größer sind als er. Es hilft nichts, es ist zu hysterisch, man muss nach vorne, dahin, wo die Karten vielleicht 200 Euro gekostet haben. Man muss es geschickt anstellen, die Ordner in Diskussionen verstricken und es dann von der anderen Seite versuchen. Man will ihm nahe kommen, zum Anfassen nahe, und man schafft es auch, für ein oder zwei Lieder – ist das nicht unfassbar?

Wie aus Milch und Honig sieht er aus mit seinen 44 Jahren, immer noch, so androgyn, so feminin, schlank, elegant, der „sexy motherfucker“. In all seinen Gesten kann man sich zu Hause fühlen: Wie er tänzelnd die Bühne einnimmt, sich den Zeigefinger leckt, ausladend übers Haar fährt, sich lasziv auf dem Plexiglaspiano räkelt – dieser Gigolo, für den jede einzelne Frau unter den knapp 6.000 Besuchern in der fast ausverkauften Halle an diesem Abend ihre männliche Begleitung stehen lassen würde.

Prince Roger Nelson aus Minneapolis, bei dem sich immer nur alles um Sex drehte, ob als Promiskuität oder Nächstenliebe, ist der erste schwarze Popstar nach Jimi Hendrix und James Brown, der auch schwarz blieb. Der ermüdende Streit mit seiner Plattenfirma ist passee, Prince muss nicht mehr umstritten sein, nur weil die Hits ausbleiben, sein neues Album, das es nur übers Netz oder als teuren Import gibt, geht okay. Prince, der wieder Prince heißt, darf wieder der „real musician“ sein, der schon zu Beginn seiner Karriere Ende der Siebzigerjahre mehr Instrumente beherrscht haben soll, als es gibt.

Alles, was ablenken könnte, ist aus der Welt: die Miezen und die Schlafzimmereinrichtung, die seine Bühnen in den vollen Arenen der späten Achtzigerjahre zierten, als er neben Madonna und Michael Jackson noch zu den heiligen drei gehörte. Seine exaltierten Rüschenhemden und Samthosen sind einem anthrazitfarbenen Anzug gewichen, und selbst seine wirbelnde Akrobatik, die vielen Spagats, die man von früher kennt, wären nur Ablenkung.

Heute soll es um die Musik gehen. Man hat gar keine Lust, diese einzige große, über drei Stunden andauernde Jamsession auseinander zu pflücken, diesen anspruchsvollen Switch zwischen Jazz, Funk, Rock und R ’n’ B. Jeder der unzähligen Hits, sei es das großartige „Pop Life“ oder „Starfish and Coffee“ oder ganz am Ende diese schönste, diese kitschigste aller Rockballaden „Purple Rain“ – sie alle wirken so improvisiert, so neu, dass man sie manchmal erst ein paar Takte später erkennt.

Und was hat es eigentlich mit dem ganzen religiösen Quatsch auf sich? Dass Prince jetzt Zeuge Jehovas sein soll und man bei seinem neuen Album lieber nicht so genau hinhören sollte, was die Texte angeht? Prince ist Gott, und er bringt uns Glück: Geben ist besser als nehmen, da ist er sich mit den Leuten einig, die sich auf der Bühne zu peinlichen Ausdruckstänzen verleiten lassen. Es gehört einfach zum Gospel wie der Ketchup auf die Pommes, dass ihm, dem Größten, selbst die zugeknöpften Berliner unermüdlich antworten: „Everybody’s looking for an answer, everybody wants salvation of the soul.“ SUSANNE MESSMER