Die Düfte des Orients

Stellen Sie sich vor, es klingelt und Ihre ganz persönliche Weinberaterin steht mit dem Musterkoffer vor der Türe. „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben eine Weinprobe gewonnen!“

von BERND KREIS

Ein edles Kuvert vom Weingut „Niederthäler Hof“, das sich unlängst in meinem Briefkasten fand, entpuppte sich als Wundertüte. Seine vielen bunten Bilder und drei enthaltene Tombolalose zogen mich magisch an. In ein transparentes Papiertütchen gehüllt, verhießen die bunten Röllchen reiche Gewinne. Möglicherweise könnte mir eines davon den kostenlosen Zugang auf einem Mittelmeerkreuzfahrtdampfer verschaffen. Mit einem Wimpernschlag übermannte die Hoffnung auf verlockende Preise meinen Verstand.

Doch der Gedanke an meine desaströse Trefferquote beim Lotto bremste den gierigen Zugriff. Aber meine Kinder, die könnten es schaffen! Jedes dieser drei Glücksschweinchen in Menschengestalt sollte ein Los ziehen. Und tatsächlich – zwei Volltreffer! Einer von zwölf Preisen (Gewinngruppe 1) war mein, und bei der Zusatzverlosung hat das blaue Los eine echte Quarzuhr geholt. Außerdem noch eine kostenlose Weinprobe mit acht köstlichen Sorten.

Nur wenige Tage nach meiner Gewinnanforderung schlug das Telefon an: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben eine Weinprobe gewonnen und eine Armbanduhr!“ Von der Gewinngruppe 1 war keine Rede mehr, aber dafür hätte ich noch Freunde zur Weinkost einladen dürfen. Leider sollte keiner am nächsten Tag um 15 Uhr Zeit finden. Schade – doch in diesem Fall würde ich die Glücksfee für mich ganz allein haben. Pünktlich um drei klingelt eine junge Schönheit an meiner Haustür. Es war kaum zu fassen, dass ausgerechnet mir so etwas passiert. Meine Fortuna soll an dieser Stelle Frau Meier heißen, über ihren tatsächlichen Namen legen wir den Mantel der Barmherzigkeit.

Mit weichen Knien, von ihren Reizen überwältigt und vom berauschenden Duft ihres schweren Parfums umnebelt, kann ich meine Hilfe beim Transport ihres Musterkoffers nur noch stammelnd anbieten. Frau Meier und ich bei der Weinprobe – allein! Leider trinkt Sie nicht mit, sie muss noch Auto fahren. Der versprochene Gewinn, eine hartvergoldete Armbanduhr mit Lederarmband, wird feierlich übergeben. „Echtes Leder! Ist jetzt noch ein bisschen hart, wird aber nach zwei, drei Tagen ganz weich“, hebt sie fürsorglich hervor und geht direkt ans Eingemachte: die Weinprobe! Ob es süß oder trocken sein soll, weiß oder rot, will sie wissen. Als ob das noch eine Rolle spielen würde.

Schon entsteigt ihrer Schatztruhe der erste Flakon. Eigentlich werde ich bei ausgefallenen Flaschenformen misstrauisch, aber bei Frau Meier, bei meiner ambulanten Glücksfee, da kann nichts passieren. Ein Weißburgunder wartet da in seinem gläsernen Bergfried auf den Sturm des Korkenziehers. „Etwas ganz Gutes“, haucht Frau Meier mit verführerischer Stimme, „nur sechshundert Flaschen im Jahr werden davon gekeltert, wenn man den nicht gleich im Frühjahr kauft, gibt es keinen mehr.“ Die Wundervolle meint es gut mit mir und rühmt anschließend auch den Eiswein des gleichen Hauses. Ich nehme es schmachtend, nur noch in Trance wahr, denn das orientalische Odeur ihres Parfums hat mein Großhirn längst stillgelegt. „Pro zehn Kilo Trauben kriegt man nur drei bis vier Tropfen Wein raus.“ Die gefrorenen Beeren müssten mindestens minus sieben Grad haben, „weil man da die volle Süße aus den Trauben zieht“. „Hier“, raunt sie mir zu, „gibt es ja auch Weinläden, aber die haben so was nicht!“

Es geht weiter mit einem Riesling, denn: „In jedem guten amerikanischen Restaurant gibt es deutschen Riesling, und die besten kommen aus dem Rheingau.“ Frau Meier weiß das ganz genau, weil sie ein „Diplom für deutschen Wein“ hat und deshalb Weinberaterin ist. Unterdessen sind wir beim Corbières angekommen, einem roten Franzosen. „Mindestens fünfzehn bis zwanzig Jahre“ kann er alt werden, weil er im Barrique („das sind so Holzfässer“) drin war, „da kriegt der Wein Tannine, die machen ihn haltbar.“

Frau Meier versteht ihr Metier, wenngleich sie die Lebenserwartung des edlen Tropfens im nächsten Satz dann doch auf zehn Jahre reduziert. Ich bin ihr inzwischen völlig zu Willen, hänge an ihren Lippen und warte auf die Befehle. Doch die kommt plötzlich ganz anders zur Sache: „Natürlich kann man die Weine auch kaufen, aber nur bei uns! Im Weinhandel findet man so etwas nicht!“ Verkauf ist beim Niederthäler Hof ab 96 Flaschen möglich, ausnahmsweise geht es auch mal darunter. Einzelflaschen? Keine Chance!

Die Schöne hat ihren glutvollen Blick gegen die eiskalte Miene der Penunze getauscht. Mühsam kann ich sie auf drei Kartons à sechs Flaschen runterhandeln und unterschreibe schließlich die Bestellung mit zittrigen Händen. 7,40 Euro für die Lieferung kommen noch extra dazu, „dafür hat man aber Garantie“.

Damit verabschiedet sich Frau Meier, hinterlässt den ganzen Duft des Orients und eine Rechnung, die mir nach Verblassen der Parfumwolke immer drastischer ins Bewusstsein rückt. 148,40 Euro hat mir die Füchsin entlockt. Dabei wollte ich doch nur meinen Gewinn einstreichen. Es bleiben mir noch die Weine, die ich ohne hormonelle Vernebelung folgendermaßen beurteile:

2000er Mittelheimer Edelmann, Riesling Qualitätswein trocken (Rheingau), 7,15 Euro: unsauberer Geruch, der an verbrannten Kunststoff erinnert. Der trockene Geschmack lässt die typische Rieslingfrucht vermissen und endet in einem bitteren Finale mit unangenehmem Nachgeschmack. Schade, dass der nicht komplett nach Amerika verkauft wurde.

2000er Norheimer Onkelchen, Weißburgunder Qualitätswein (Nahe), 7,95 Euro: Der kräftige Duft mit Mandel- und Blütenaromen ist zwar nicht unangenehm, aber auch nicht reintönig. Im Geschmack wartet der Weißburgunder mit einer deutlichen Süße auf, die seine unangenehmen Bitterstoffe nur zum Teil kaschiert. Auch hier fehlt die Reintönigkeit. Nach dem Schlucken bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Der verstärkt sich noch, sobald man an den Preis denkt.

2000er Corbières, Château Fabre (Languedoc) 8,40 Euro: Der granatrote Südfranzose kann weder mit seinem anfangs noch fruchtigen Duft noch mit dem harten, uncharmanten Geschmack überzeugen. Eine stechend scharfe Säure foltert die Geschmackspapillen. Bittere und unreife Gerbstoffe, die sich wohl niemals abrunden werden, hinterlassen einen ungenehmen Nachgeschmack. Nur in Anwesenheit von Frau Meier genießbar.

BERND KREIS ist Degustator, Weinpublizist und -händler. Seit fünf Jahren empfiehlt er im taz.mag einmal im Monat zwei Weine. Gerade ist sein neuer Weinführer erschienen: „500 Weine unter 10 Euro“. Hallwag Verlag, Bern/Stuttgart 2002, 336 Seiten, 17,90 Euro