Die seltsame Königin

Die Schauspielerin Marianne Hoppe ist tot. Im Kino der Nazizeit war sie die deutsche Antwort auf Katharine Hepburn, im Alter spielte sie die „Knacksdamen“ des modernen Theaters: die großen Tragödinnen, die dem Untergang entgegenschreiten

von REINHARD KRAUSE

Da war dieses Gesicht, ein Kameragesicht. Große ruhige Flächen, eine entschlossen wirkende Nase und hoch sitzende Augenbrauen, die ihr immer den Ausdruck leichten Erstaunens verliehen. Neugierige, aber auch reservierte Augen. Ein Kernseifengesicht. Eins, das selbst unter großer Maske noch wie gerade frisch gewaschen aussah. Und da war diese Stimme, die immer ein wenig belegt war, ein bisschen zu kehlig, als müsse sie nach langem Schweigen erst einmal in Schwung gebracht werden.

Marianne Hoppe war auf der Leinwand wie auf der Bühne stets die Dame, deren noble Zurückhaltung durch die angeraute Stimme den entscheidenden Schuss Bodenständigkeit und spöttischen Humor erhielt. Schon als junge Schauspielerin verkörperte sie den Typus der schönen Spröden, der Ernsten. Nie im Entferntesten war sie der Vamp, die Femme fatale. Dazu fehlte ihr der Hang zum koketten Vielleicht. Marianne Hoppe war geradeheraus, nicht tändelig, präzise. Ihre wohlweislich nicht geschriebenen Memoiren, gab sie kund, hätten den Titel getragen: „Vorsicht Steinschlag!“. Nicht gerade das Motto einer Verführerin.

Ausgestattet mit dieser bemerkenswerten Klarheit, war sie prädestiniert, bis ins hohe Alter die großen Tragödinnen zu spielen, die erhobenen Hauptes und sehenden Auges dem Untergang entgegenschreiten, oder wie sie es selbstironisch nannte: die „Knacksdamen“.

Geboren 1909 in Rostock, studierte Marianne Hoppe seit 1927 unter Max Reinhardt an der Schauspielschule des Deutschen Theaters und gehörte sehr rasch zur ersten Garde der deutschen Theaterschauspieler. Auf der Kinoleinwand war sie erstmals 1933, im Jahr der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, zu sehen – zunächst in geradezu erdigen Rollen wie der Frau des „Schimmelreiters“.

Im Filmgeschäft des „Dritten Reichs“ mit seinen typisierten Stars wurde sie verblüffend vielseitig eingesetzt: In „Romanze in Moll“ (1943) wie in „Der Schritt vom Wege“ (1939) war sie die tragisch Liebende; in „Auf Wiedersehen, Franziska“ (1941) schickte sie, Zuversicht im klaren Blick, den Filmehemann an die Front, und in der Emanzipationskomödie „Kapriolen“ (1937) führte sie als Atlantikfliegerin Mabel Atkinson an der Seite ihres Ehemanns Gustaf Gründgens überzeugend vor, dass im NS-Film gelegentlich Weltläufigkeit, Esprit und Spielwitz möglich waren.

Die in Hollywoods Screwball-Komödien bei Katharine Hepburn abgeschauten eckigen, „männlichen“ Bewegungen unterstrichen Hoppes mehr modernen denn mondänen Witz. Für den Prototyp der von den Nazis gewünschten deutschen Frau und Mutter war sie vielleicht doch die entscheidende Spur zu patent, zu kühl.

Wie ihr Ehemann Gründgens blieb Marianne Hoppe in Nazideutschland. Sie musste miterleben, wie viele ihrer jüdischen Freunde Auftrittsverbot erhielten und emigrierten oder wie nach ihrer Hochzeit mit dem homosexuellen Gründgens der unsägliche Spruch die Runde machte von Hoppe und Gründgens, die keine „Kindgens“ bekämen.

Der Schuld dieses Bleibens war sie sich nach dem Krieg durchaus bewusst, ihr Aufarbeitungsprozess indes war nie so sehr ein öffentlicher – wenn man einmal von ihren späten Rollen in Stücken von Thomas Bernhardt absieht. In Werner Schroeters 1999 entstandenem Porträtfilm „Die Königin“ antwortet sie auf die Frage einer jungen Kollegin, wie sie denn die Nazizeit erlebt habe, mit nur einem Wort: „stumm.“ An anderer Stelle sagt sie: „Irgendetwas muss da nicht gestimmt haben, muss nicht ganz sauber gewesen sein, da mache ich mir selbst einen Vorwurf, ja.“

Nach dem Krieg begann die zweite Theaterkarriere der Marianne Hoppe als große deutsche Charakterschauspielerin. Sie spielte in der deutschen Uraufführung von Sartres „Fliegen“ und fortan nahezu sämtliche Knacksdamen des modernen Theaters zwischen Jean Genet und Tankred Dorst. Der Nachkriegsfilm indes hielt nur unterfordernde Nebenrollen für sie parat. Mit Hans Albers drehte sie die grässlichen „Dreizehn alte Esel“ (1958), im Wallace-Krimi „Die seltsame Gräfin“ (1961) war sie eine jahrelang eingekerkerte Mutter, selbst im „Schatz im Silbersee“ (1962) ist sie in einer unbedeutenden Rolle zu sehen.

Während man sich beim deutschen Fernsehen erst für einen Gastauftritt in der Serie „Kir Royal“ (1986) ihrer darstellerischen Qualitäten besann, hatte auf den deutschen Bühnen bereits die dritte, wenn möglich die glänzendste Karrierephase der Hoppe eingesetzt. Mit zunehmendem Alter hatte sich die Diskrepanz von Gesicht und Stimme vermindert, die unzähligen Falten indes hatten an der Klarheit ihrer Züge nicht viel geändert. Bis 1997 war sie die Muse von Starregisseuren wie Claus Peymann oder Robert Wilson, spielte sie Thomas Bernhardt und Heiner Müller, zeigte sie das Spektrum ihres Könnens – als Wilsons hoch artifizieller „King Lear“ wie in der knattermimischen Winzrolle des Rhetoriklehrers von „Arthuro Ui“.

In ihren letzten Lebensjahren war nicht immer mit absoluter Gewissheit zu unterscheiden, wann die Theaterlegende durch offensive Spleenigkeit („Warum bin ich hier? Warum lesen wir das jetzt?“) alle immer noch auf sie Neugierigen auf Distanz hielt oder nicht doch längst genialisch-wunderlich geworden war.

Dem Interesse der jüngeren KollegInnen tat dies keinen Abbruch. Werner Schroeter zeigte „Die Königin“ noch einmal in ihrer ganzen Grandezza – wie auch in ihrer unnachahmlichen Sperrigkeit, mit der sie so manchen jungen Kollegen (und übrigens auch Journalisten) das Staunen und Fürchten gelehrt hat. Zu einer aktiven Mitwirkung an der großen Hoppe-Biografie der ehemaligen Theaterredakteurin der taz, Petra Kohse („Ein Schritt vom Wege“, Ullstein 2001, 300 Seiten, 22,95 €) ist es leider nicht mehr gekommen.

Am vergangenen Freitag meldeten die Agenturen, die 93-Jährige sei zwei Tage zuvor in Siegsdorf, Chiemgau, verstorben. Zum Zeitpunkt der Meldung war sie bereits bestattet worden.