Gesang auf des Messers Schneide

Beim Steirischen Herbst in Graz versuchen sich drei RegisseurInnen an Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen“

Ein Text, der sich in der Umsetzung gegen körperliche Einengungen wehrt

Märchenprinzessinnen sind jene Wesen, die – bildschön und edel und rein – die Zeit damit hinbringen, ihrem Daseinszweck entgegenzusehen: durch ihn erlöst, den Besitzer von Schloss und Ross, auf Letzterem in Ersteres einzuziehen. Um fortan den königlichen Haushalt zu führen – allerdings jenseits der Sichtblende. Und wenn sie nicht gestorben sind …

Wenn sie aber doch stürben am tödlichen Bild?

Seit Jahren nimmt sich Elfriede Jelinek in ihren Texten der geadelten Inkarnation bürgerlicher Weiblichkeitsfantasien an. Drei solche „Prinzessinnendramen“ – „Der Tod und das Mädchen I–III“ – erlebten nun innerhalb nur einer Woche ihre doppelte szenische Premiere. Vor wenigen Tagen in Hamburg uraufgeführt, eröffneten die drei monologischen Kurzdramen nun beim Steirischen Herbst in Graz das diesjährige Schauspielprogramm (das sie außerdem fast allein bestreiten, ergänzt nur um zwei Kleinstproduktionen).

Nacheinander begegnen dem Prinzen in sich Schneewittchen, Dornröschen und jene vergessene Rosamunde der Dichterin Helmina von Chézy, für die Franz Schubert 1823 die Bühnenmusik geschrieben hatte. In langen Sprachblöcken montiert Elfriede Jelinek Eigen- und Fremdstimmen der Weiblichkeit, persönlichste und soziologisch oder philosophisch objektivierte, literarische oder alltagstriviale, zu einer suchenden Reflexion über weibliches Sein, über Sexualität und Schreiben unter der reduktiven Optik des medial vergrößerten – und internalisierten – patriarchalen Blicks.

Jelineks komplexe, sich verzweigende Wortgespinste schweben über der irdisch-körperlichen Alltagsrealität wie gesplitterte Spiegelungen. Jeden Versuch einer szenischen Fortschreibung auf der Bühne stellen sie vor die diffizile Aufgabe, ihrer Sprache eine bildliche Konkretisierung hinzuzufügen, ohne die musikalische Abstraktion und den Verzicht auf Individualisierung und also Dramatik zu zerstören. Weshalb der Steirische Herbst die drei Kurzdramen durch zwei Regisseure und eine Regisseurin in Szene setzen ließ. Für den Zuschauer erwies sich der Abend in mancher Hinsicht anfangs dann wiederum als lehrreicher denn theatralisch vergnüglich (bis er nach der Pause für alle Mühen verschwenderischst belohnt wurde): Er – oder sie – konnte im direkten Vergleich miterleben, welche Form der szenischen Umsetzung funktioniert, welche scheitert.

Den Anfang machte die deutsche Regisseurin und Dramaturgin Brigitte Landes. Sie entindividualisierte Schneewittchen, indem sie es in drei unterschiedliche Typisierungen aufspaltete: weiß – jung und naiv – wie Schnee: rot – lasziv, der blonde Discovamp – wie Blut; schwarz – erfahren, reif – wie Ebenholz. Den drei Frauen stand – als Jäger und Tod – der Macho als dreifaches Unikat gegenüber, von Papphirschen und Leuchtzwergen flankiert. Allein: Der simple dramaturgische Grundgedanke reduzierte Jelineks hoch philosophischen Schneewittchen-Text bildlich auf Rollenklischees und nahm der Sprache die gedankliche Atemluft.

Anders banalisierte der Brite Marc von Henning, seit vergangenem Sommer gern gesehener Gast auf Österreichs Theaterfestivals, den Text durch allzu große Konkretisierung: Henning platzierte Dornröschen, schon ergraut, im Ballerinen-Tutu aufs glutrote Samtbett (hoch komisch und schlicht bezaubernd: Barbara Hammer), wo sie der Prinz, auch nicht mehr der Jüngste, wach küsste. Um mit ihr vor der finalen Rammelei durch TV-Programme zu zappen, von denen Prinzessinnen (Romy Schneider, Marilyn Monroe, Claudia Schiffer) und Prinzen (Jörg Haider) strahlten, fremd synchronisiert mit Jelineks Text. Auch von Hennings Grundgedanke, die medial verstärkten weiblichen Fremdbilder sichtbar zu machen, erwies sich als unzureichende Vereinfachung des Textganzen.

Bleibt Ruedi Häusermann. Ihm gelang es – wie einst Einar Schleef in seiner wegweisenden „Sportstück“-Dramatisierung –, Jelineks Texte aus ihrem musikalischen Konstruktionszentrum heraus zu begreifen, aus ihrer gegen körperliche Einengung sich wehrenden Sprache heraus, schließlich aus der Abstraktion. Weshalb er der Autorin in einer szenischen Wiedergabe antwortete, die um nichts weniger rätselhaft blieb als der Text: Auf der leeren schwarzen Bühne steht Rosamunde, ernst, klischeefrei, im hellblauen Anzug, ein Streichquartett, samt Steeldrum gegenüber, unter dessen zart fistelnder Musik – vereinzelt sind Schubert-Anklänge wahrnehmbar – ihr Sprachgemurmel anfangs ertrinkt.

Erst als sie sich mit dem geschriebenen Wort – dem Buch – Gehör verschafft, hört man sie: Schnell, getrieben, melodiös bringt Isabelle Menke das große, dichte Textkonvolut als Wortarie. Befreit von szenischer Veranschaulichung, füllt erstmals die Bildwucht der Sprache den Raum. Wird in ihrem Reichtum, ihrer Energie, ihrer Fragilität hörbar. Ein seltener Moment großer Theaterkunst.

CORNELIA NIEDERMEIER