Wenn alles in Stücke fällt

Das letzte Fest: In Chris Kraus’ Spielfilm „Scherbentanz“ wüten Väter gegen Söhne und Brüder gegen Brüder

Am Ende ist alles wie in dem dänischen Dogma-Film „Das Fest“. Besoffene Alte tanzen durch eine protzige Villa, zum Champagner grölen die Reichen Lieder, und der in Ungnade gefallene Sohn platzt gegen den Willen seines Vaters doch noch in die Party. Aber dann stirbt alle angestaute Spannung, weil der Film, Chris Kraus’ „Scherbentanz“, den Vater-Sohn-Konflikt aus den Augen verliert. Er schwenkt zur Mutter und deren plötzlichem Zusammenbruch. Es folgen versöhnliche Abschiedstränen, und zwei wieder vereinte Brüder lächeln danach in die Sonne.

Auch am Anfang findet kein Fest statt. Der leukämiekranke Sohn wird in das Landhaus des Vaters zur großen Familienfeier geladen, doch stattdessen wartet dort zunächst seine bis soeben verschollene, geistig verwirrte Mutter auf ihn. Als die Brüder Kinder waren, hätte die Frau sie beinahe totgeschlagen, jetzt soll sie dem Kranken lebensrettendes Knochenmark spenden. Doch bald nimmt „Scherbentanz“ eine leicht vorhersehbare Wendung: Hinter der betuchten Fassade konservativer Bürgerlichkeit lauert der böse Patriarchenvater, der alles Leid verursacht hat.

Nicht einmal filmisch gibt es ein Fest. Vielleicht liegt es daran, dass Romanautor und Regisseur nicht unter einen Hut passen, ohne sich gegenseitig die Luft abzuschneiden. Der Text war zuerst da, das sieht man deutlich, und nun soll er in Bilder übersetzt werden. Die Kamera verhält sich dabei so wie ein alter Schulrat, dem es hauptsächlich darauf ankommt, dass mit der Inhaltswiedergabe alles seine Ordnung hat. Die Schauspieler stehen fast immer in klassischen Konstellationen beieinander, um wie auf einer Provinzbühne oder in einer „Derrick“-Folge Dialoge auszutauschen. Und wenn Kraus seinen Film besonders intensiv wirken lassen will, fallen ihm keine ungewöhnlichen Bilder oder zumindest Blickwinkel ein, sondern lediglich Metaphern. Starr und fast militärisch wie durch einen Feldstecher wird dann auf das Gesicht des Kranken gehalten. Der muss schweigen, während seine Gedanken einem pathetischen Off-Erzähler überlassen werden, der offenbar direkt aus dem Roman vorträgt. Das ist am Ende so, als die Brüder im langweilig-heimeligen Sonnenlicht blinzeln, und auch am Anfang, als sie als Kinder einen gemeinsam gebauten Schneemann anzünden. Die Erzählung wird lediglich bebildert, Kino findet selbst in verschneiten Bergen nicht mit eigener Intensität statt, sondern, der Werbung kleiner Pfarrbüchereien folgend, bloß als Fernsehen im Kopf. Die besten Momente sind wie im psychisch aufreibenden Kammerspiel à la Strindberg, wenn Bruder gegen Bruder, Mutter gegen Sohn und Vater gegen alle wütet. Schließlich machen die Schauspieler seriöse Arbeit und dank Judith Kaufmanns Kamera sitzt man in der ersten Reihe. Aber auch hierbei stößt etwas sauer auf: die zahlreichen inhaltlichen Sackgassen, die den Zuschauer unangenehm aus dem fiktionalen Bann reißen.

STEFAN DAVID KAUFER

„Scherbentanz“. Regie: Chris Kraus. Mit Jürgen Vogel, Nadja Uhl, Margit Carstensen u. a., Deutschland 2002, 95 Minuten