Das gelbe Ballett tanzt munter weiter

„Seht ihr, Bayern, so wird das gemacht“: Dortmund schlägt Arsenal 2:1 und kommt in die nächste Runde

DORTMUND taz ■ Moderne Fußballprofis, so ist neuerdings häufiger zu hören, legen viel Wert auf korrekte Laufwege und situationsbedingte taktische Ausrichtung. Einem normalen Stadionbesucher ist die genaue Bedeutung dieser Wortschöpfungen bisweilen schleierhaft, was daran liegt, dass man ihre Umsetzung in die Praxis erst eine Dreiviertelstunde nach dem Abpfiff so richtig bewundern kann. Dann nämlich, wenn die Spieler die Kabine verlassen. Am Dienstag letzter Woche, nach dem 1:1 gegen den PSV Eindhoven, waren die Laufwege der Dortmunder Profis vor allem darauf ausgerichtet, den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten zu finden: Dusche und Auto. Situationsbedingt wählten auch fast alle Akteure dieselbe Ausrichtung: die Sporttasche tapfer über die Schulter geschwungen, den Kopf gesenkt, die linke Hand am Ohr, um ein unstrittig dringendes Telefongespräch zu führen – und bloß nicht mit den wartenden Journalisten sprechen zu müssen.

Am Mittwochabend jedoch, nach dem 2:1-Sieg in der Champions League über Arsenal London, bewiesen die Borussen das, was Christoph Metzelder (wenn auch in anderem Zusammenhang) als „taktische Flexibilität“ lobte: So ausufernd waren die Dortmunder Laufwege, dass auch eine Viertelstunde vor Mitternacht immer noch Spieler unter der Osttribüne herumlungerten, um mal ein bisschen mit den Reportern zu quatschen.

Welche dieser beiden Strategien eine Mannschaft am Ende eines Spiels wählt, hängt von vielen Dingen ab. Der Lage in der Liga etwa. Vor Wochenfrist waren die Borussen noch durch ein 0:0 gegen Bielefeld belastet, diesmal hatten sie ein 4:1 über Bremen im Rücken. Oder durch Entwicklungen im französischen Fußball: Am letzten Dienstag hatte der AJ Auxerre in London gesiegt und den Dortmundern das Leben schwer gemacht, am Mittwoch ging Auxerre in Eindhoven unter und ebnete dem BVB damit den Weg in die nächste Runde der Champions League.

Meistens aber hängt alles an einer einzigen Szene. Im Spiel Borussia gegen Arsenal trug sich diese nach 62 Minuten und beim Stand von 1:1 zu, als der Ball durch die englische Abwehr und in den Strafraum kullerte. Das wiederum führte zum tollsten Laufduell der jüngeren Sporthistorie, weil die beiden Sprintduellanten ausgerechnet die langsamsten Profis weit und breit waren: Dortmunds Stürmer Jan Koller und Arsenals Torwart David Seaman. Wie in dem Michael-Jordan-Werbespot für Nike, so schienen auch im Westfalenstadion die Uhren plötzlich langsamer zu ticken, als sich Koller und Seaman wie in Zeitlupe dem Ball entgegenquälten. Klar war nur: Sollte der Angreifer das Spielgerät eher erreichen, so musste das Drama mit einem Elfmeter enden. Er tat es – und so war es. Rosicky verwandelte den anschließenden Strafstoß zum 2:1. Damit war das Spiel entschieden, und das gelbe Ballett in der nächsten Runde, was die Fans zu einem spontanen Ständchen animierte: „Seht ihr, Bayern, so wird das gemacht!“ In der zweiten Halbzeit tat sich ansonsten nur noch wenig. Die Gäste wirkten zunehmend frustriert, der BVB behielt seine „klare Linie“, „die Ordnung“ und „die Disziplin“ (Matthias Sammer, Metzelder und Lehmann unisono) und hatte in Torsten Frings den überragenden Akteur des Abends.

Vor der Pause war das Spiel hingegen höchst unterhaltsam. Ricken und Koller trafen in der Anfangsviertelstunde jeweils den Pfosten, bevor Thierry Henry per Freistoß das 0:1 erzielte (18.) und eine Großchance zur Vorentscheidung vergab (28.). Dortmund kam schließlich durch einen noch leicht abgefälschten Freistoß von Rosicky (38.) zu seinem überfälligen Tor zum 1:1. Mit diesem Resultat wäre allen gedient gewesen, weshalb Arsène Wenger später sagte: „Zur Pause war ich zuversichtlich, dass wir einen Punkt holen.“ Dann begann er zu muffeln: „Leute, die uns der Schauspielerei bezichtigen, haben uns mit einer Schwalbe geschlagen.“

Damit bezog er sich auf ein angebliches Sammer-Interview, in dem Dortmunds Trainer Kritik an Arsenal geübt haben soll, obwohl der BVB mehrfach klargestellt hat, dass eine englische Zeitung dieses Interview erfunden habe. Zum anderen galt die Spitze natürlich Kollers Flug über Seaman hinweg. „Ich konnte das nicht sehen“, meinte Rosicky zu dieser Szene. Längst war es da kurz vor Mitternacht.

ULRICH HESSE-LICHTENBERGER