„Zumm dahinter!“

Seit einem Monat ist Christoph Daum Trainer in Wien. Bis zur nächsten Saison soll er Austria zu einer europäischen Spitzenmannschaft geformt haben. So jedenfalls sieht es Klubchef Stronach vor

aus Wien MARKUS VÖLKER

Auf dem Hausberg der Wiener Austria herrscht nichts als Tristesse. Der Laaer Berg mitsamt dem lila ausstaffierten Horr-Stadion liegt tief in herbstliches Grau getaucht. Schnürlregen geht auf den Verteilerkreis Favoriten nieder, Wiens größten Kreisverkehr am östlichen Stadtrand. Der Verkehr dröhnt. Christoph Daums blonde Haare kleben an der Stirn. Ab und zu geht der „Messias vom Verteilerkreis“ (Standard) humpelnd über den Trainingsplatz, schießt Bälle zurück ins Feld, setzt Plastikhütchen auf den aufgeweichten Rasen. Er lässt die Mannschaft spielen und Co-Trainer Hans Dihanich den Vortritt. Erst spät, nach einer Stunde, tut Daum, was die vier Kiebitze vom deutschen Trainer mit der bewegten Vergangenheit erwarten. „Du machst das Tor!“, brüllt er einem Stürmer hinterher. Der schießt vorbei. „Mehr Druck“, entfährt es Daum, dann zieht er allein davon in die Kabinen seines neuen Arbeitsplatzes, den er genau vor einem Monat bezogen hat.

Daum, 49, kommt freilich nie allein. Ohne ein paar begleitende Visionen geht es meist nicht ab. Wie vorteilhaft, wenn er da auf einen Geistesverwandten trifft und beide in frei flottierender Zukunftsschau Großes entwerfen können. Daums Kompagnon ist Frank Stronach, ein milliardenschwerer Industrieller, der als Franz Strohsack nach Übersee zog und dort ein Vermögen machte. Seit seiner Rückkehr Mitte der Neunzigerjahre sackt „Der-durch-jede-Betonwand-geht“ (FAS) den österreichischen Fußball ein und darüber hinaus ein paar Unternehmen der Autobranche. Stronach strickte ein dichtes Netz durch Sport, Politik und Wirtschaft, machte sich Freunde, schuf Abhängigkeiten. Wer zögerlich mitzieht, wird entweder verdammt oder mit einem warmen Geldregen überzogen bis der Widerstand bricht.

Das Problem des Frank Stronach indessen ist: So dick sein Portmonnaie auch immer sein mag, ihm wird eine gewisse Sprunghaftigkeit nachgesagt. So hat Austria in zehn Jahren zwölf Trainer verschlissen. Das „Epizentrum von Hire and Fire“ hat der Kurier deshalb am Verteilerkreis geortet. Dabei war es völlig egal, ob die Gefeuerten erfolgreich waren oder nicht. Wer Stronachs Verdikt („Niederlagen dulde ich nicht“) missachtete, musste mit dem Bannstrahl rechnen.

Stronachs Aufenthalte in Österreich sind gefürchtet. Mit einem bunten Strauß neuer Ideen im Gepäck, wie er seinen Landsleuten die Behäbigkeit austreiben könnte, scheucht er nicht nur die Austrianer auf, sondern treibt auch die Betriebsräte seiner Unternehmen zur Verzweiflung. Daum und Stronach aber haben sich auf Anhieb verstanden. „Wer ohne Fehler ist, steht auf“, hatte Stronach beim ersten Treffen gesagt. Beide blieben wie angewurzelt sitzen. Danach musste der neue Trainer nur noch dem traditionell skeptischen Wiener verkauft werden. Das gestaltete sich schwierig, schon weil Vorgänger Walter „Schoko“ Schachner beliebt war. Kaum spielte die Austria mit Daum unter den Erwartungen, forderten die Fans auf der Westtribüne „Schoko“. Fans meinten in Internet-Foren, Daum sei kein Trainer, sondern allenfalls ein Motivator. Eine Auseinandersetzung der beiden Egomanen sei vorprogrammiert.

Die Wiener Presse sieht Daums Wirken hingegen positiv. „Man merkt, das da Zumm dahinter ist“, sagt ein Redakteur des Kurier, „vor der rhetorischen Stärke verneigt sich die Öffentlichkeit scho a bisserl.“ Daums Mundwerk läuft tatsächlich schon wieder auf Hochtouren. Sprüche wie „aus einem traurigen Arsch kommt kein lustiger Furz“ taugen als Indiz dafür, allerdings steckt in dem launigen Satz weit mehr Wahrheit als Daum und Stronach lieb sein kann. Denn Austria Wien beherrscht zwar die nationale Meisterschaft, doch international stößt der Verein an seine Grenzen. Erwartungsvoll und von den Vordenkern aufgeputscht, ging der Klub am vergangenen Donnerstag ins Europacup-Spiel gegen den FC Porto – und verlor mit 0:1. Daum kritisierte danach die Konditionsschwäche und Hasenfüßigkeit mancher Spieler. Beobachter meinen, dem Deutschen stehe bereits die Fassungslosigkeit darüber ins Gesicht geschrieben, dass der FK Austria Lichtjahre von den Wunschwelten Stronachs entfernt sei. Der plant unterdessen die Eroberung von Fußballland – mit dem Neubau eines Stadions und einer Nachwuchskaderschmiede. Und natürlich erwartet Stronach in der nächsten Saison den Durchbruch in der Champions League – darunter macht es Duzbruder „Frankie“ nicht.

Daums Aufgabe kann es nur sein, Stronach bei Laune zu halten und somit kontinuierlich zu arbeiten. Das erscheine ihm möglich, sagt er. „Stronach ist ein sehr sozialer und berechenbarer Mensch“, doziert Daum, um dann einzuräumen, dass sich Stronachs Expertentum allein auf die Autozulieferbranche beschränke. „Er kennt sich eigentlich im Fußball nicht so aus und hat vielleicht in der Vergangenheit auf die falschen Leute gehört.“ Daum weiter: „Ich hoffe, dass er sich bei meiner Verpflichtung gut erkundigt hat.“ Der Begriff „Langfristigkeit“ fällt. „Austria ist für mich keine Durchgangsstation“, versichert Daum.

Es wird vermutet, dass bis zu 50 Millionen Euro in das Projekt Austria geflossen sind. Ein Ende des Geldflusses ist nicht in Sicht. Irgendwann könnte er freilich versiegen und Austria auf sich allein gestellt sein. Stronach ist 70, ein alter Mann. Und dann, was ist das Schlimmste, was dann passieren kann? „Vielleicht ein 0:1 gegen Porto“, ätzt der Kurier.