Tote Tauben in Wien

Grau und nass: Martin Kusej und Martin Zehetgruber zelebrieren am Burgtheater Wien Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ verliebt in Opulenz

Von den Wänden rieselt Wasser, unablässig ziehen graue Videowolken

von CORNELIA NIEDERMEIER

„Einen kleinen Totentanz“ nannte Ödön von Horváth sein Stück „Glaube Liebe Hoffnung“. Auf den mittelalterlichen Bildreigen führen die Toten die Lebenden zum zierlichen Tanz. Ähnlich graziös, in Kurz- und Kürzestbildern, reicht Horváth seine Protagonistin Elisabeth von Totenhand zu Totenhand. Taumelnd sucht sie – zu Trauermärschen Chopins und anderer Komponisten – Halt in einer Gesellschaft, in der Misstrauen und eine solide Verachtung der Schwachen längst statt des Herzens unter der Haut regieren. Zuletzt, nach einem missglückten Selbstmordversuch, stirbt Elisabeth auf einer Polizeistation, umgeben von Polizisten und Präparatoren. Ein klammes Finale.

Am Wiener Burgtheater brachte das Duo Martin Kusej (Regie) und Martin Zehetgruber (Bühne) „Glaube Liebe Hoffnung“ stilgerecht am nebeligen Allerheiligen-Wochenende zur Premiere. Vor den Burgmauern schürten findige Unternehmer, wie als Hilfsgeister zum Totentanz bestellt, die Halloween-Begeisterung und Kinder schlichen als Geister aus dem Totenreich durch die Straßen.

Schon auf dem Programmheft strich Kusej das Adjektiv „klein“ energisch. Und richtig: Sein Totentanz ist alles andere als klein. Wie überhaupt in den Inszenierungen des Duos Kusej/Zehetgruber, das sich zunehmend der Oper verschreibt – und dies im Auftrag der größten und finanziell bestausgestatteten Bühnen in Salzburg und Bayreuth –, in letzter Zeit ein Hang zur Monumentalität in den Vordergrund tritt. Von jeher denkt Martin Kusej seine Inszenierungen vom Bild her, arrangiert sie in den wuchtigen Szenarien des Martin Zehetgruber. Am Burgtheater aber degradierte das massige Raumkonstrukt die Darsteller geradezu offensiv zur lebenden Requisite.

Vielleicht war es vor zwölf Jahren schon ähnlich. Damals inszenierte Martin Kusej „Glaube Liebe Hoffnung“ in Ljubljana in annähernd demselben Bühnenbild. Martin Zehetgruber zitierte folglich sich selbst, als er auf die Burg-Bühne eine tiefschwarze Freifläche des Jenseits setzte, untergliedert von massiven Eisensäulen, dem Gusseisen der Gründerzeit nachempfunden.

In dieser gigantischen Krypta des Industriezeitalters, im Untergrund des Lebens, erwachen in Wien unwillkürlich Assoziationen an Orson Welles’ „Dritten Mann“, der in die Wiener Kanalisation führte. Von den Wänden rieselt Wasser, im Vordergrund verläuft ein Kanal, unablässig ziehen graue (Video-)Wolken, vermengt mit Wassermassen, den Boden bedecken die Kadaver toter Tauben …

Aus dem tiefen Dunkel der Bühne lässt Kusej die einzelnen Bilder wie Tableaux vivants leuchten, Momentaufnahmen des Totentanzes. Eine reizvolle Grundidee, doch wie alles an diesem Abend bleibt sie ein merkwürdig steriles Reißbrettkonstrukt. Als hätten der Regisseur und sein Bühnenbildner mit Püppchen in einem Modellbühnenbild operiert und vergessen, wessen es bedarf, um die Bilder zu Leben zu erwecken: der atmenden Darsteller. Ihres Spiels, das den Text von innen heraus beseelt.

Denn seziert auch Horváth, der große Präparator des falschen Tons, kühl eine seelenlose Gesellschaft, so ruht auf der Sprachlosigkeit ihrer Opfer doch sein durchaus seelenvoller Blick.

Kusej und Zehetgruber aber lassen den Darstellern wenig Entfaltungsmöglichkeit. Ihr Spiel wird eingepasst: Immer wieder verstellt der voluminöse szenische Außenraum selbstgefällig den Blick auf die psychischen Interieurs seiner Bewohner.

Nur wenigen gelingt es, Widerstand zu leisten und sich eigenmächtig ein Innenleben zu erspielen: Kirsten Dene in ihrem Kurzauftritt als Miederwarenhändlerin Irene Prantl, Werner Wölbern als Schupo Alfons und zunehmend anrührend Sylvie Rohrer als Elisabeth. Ihr vorweggenommener Selbstmord im Kanal eröffnet den Abend, mit Bibelstellen kommentiert von Martin Schwab, der als eine Art Buchhalter des Daseins durch die Nacht geleitet.

Zwei Stunden währt das selbstverliebte Inszenierungs-Duett, das in seinem kalt zur Schau getragenen Reichtum die Schauspieler ebenso ins Off verweist wie Ödön von Horváth und seine Elisabeth: Dass deren Leben an „einhundertfünfzig Mark“ scheiterte, mag angesichts solch präwagnerianischer Staatstheater-Opulenz sowieso niemand glauben.