„Ich mache keine Show“

Die fabelhafte Welt der Bühne: Ein Gespräch mit dem französischen Filmkomponisten Yann Thiersen über Starruhm, den Sprung in der Persönlichkeit des Künstlers und über das politische Engagement, das neben der Musik Platz haben muss

von FRANK WEIGAND

taz: Herr Thiersen, was hat Sie dazu bewogen, nach der Filmmusik für die „Die fabelhafte Welt der Amélie“ ein Live-Album einzuspielen?

Yann Thiersen: Ich finde es traurig, wenn Musiker nur Platten machen und keine Konzerte geben. Das Einzige, was sich in meinem Leben durch „Amélie“ verändert hat, ist mein Kontostand. Man sieht die Zahlen und freut sich, aber man ist nicht dabei, wenn die Leute zu Hause die Platte hören. Der einzige wirkliche Kontakt ist doch die Bühne. Ein Konzert ist der beste Weg, um Musik zu transportieren. Da sind Menschen, die spielen, und Menschen, die zuhören – und fast gar nichts dazwischen. Außerdem ist jeder Abend anders. Als ich mein letztes Album, „L’Absente“, aufgenommen habe, hatte ich genug davon, immer nur allein im Studio zu sitzen. Ich wollte meine Arbeit teilen. Deshalb habe ich das neue Album mit den Têtes Raides, mit Dominique A, Lisa Germano und Neil Hannon aufgenommen. Das sind Leute, die ähnlich arbeiten wie ich.

Wie hat man sich Ihren Alltag vorzustellen?

Mein Leben ist immer in Zyklen abgelaufen. Ich habe ständig Lust, etwas Neues zu endecken. Von meinem sechsten Lebensjahr an hatte ich klassischen Unterricht, bis ich zwölf war. Danach habe ich zehn Jahre lang als Gitarrist und Sänger in Rockbands gespielt. Die Klassik kam plötzlich wieder, als ich anfing, mich mit Sampling zu beschäftigen. Irgendwann war mir die ganze Elektronik zu langweilig, und ich habe die alte Violine rausgeholt, um wieder selbst Musik zu machen. Im Moment richte ich mir zu Hause ein kleines Studio ein, in dem ich Leute, die ich gern mag, oder auch unbekannte Gruppen umsonst aufnehmen lassen will. Außerdem faszinieren mich die echten Platten aus Vinyl. Eine CD ist ein abstraktes Ding, das aus dem Computer kommt – ein Platte hat einen Anfang und ein Ende. Wenn ich richtig viel Kohle hätte, würde ich meine nächste Platte nur auf Vinyl aufnehmen und den Leuten den Plattenspieler dazu schenken.

Trotz Ihrer Neugier, etwas anderes auszuprobieren, haben alle Ihre Alben dasselbe Leitmotiv: die Angst davor, etwas verlieren zu können. Woher kommt das?

Wer sich für einen künstlerischen Beruf entscheidet, schleppt einen Sprung in seiner Persönlichkeit mit sich herum. Den wird man sein ganzes Leben nicht los. Auch wenn sich die Themen weiterentwickeln, erzählt man immer ein bisschen dasselbe.

Zur Zeit der Wahlen in Frankreich haben Sie sich politisch engagiert. Warum merkt man davon nichts in Ihrer Musik?

Wenn man politische Überzeugungen hat, muss man sie doch nicht ständig vor sich hertragen. Ein Barmann klebt ja auch keine Parteiwerbung auf seine Gläser. Ich möchte nicht als Schulmeister dastehen. Wenn man ein Lied gegen Rassismus schreibt, ärgert das die Rassisten, und die anderen Leute kaufen die Platte – ändern wird man damit nichts. Natürlich gibt es Sänger wie Dominique A, die auf subtile Weise politische Botschaften rüberbringen. Mein Fall ist das nicht.

Als Le Pen in Frankreich in die Stichwahl kam, wollte ich unbedingt etwas dagegen tun. Wir sind also mit Dominique und den Têtes Raides durch die Kleinstädte getingelt. Nach jedem Konzert haben wir uns mit den Leuten zusammengesetzt und mit ihnen geredet. Viele Leute auf dem Land haben noch nie einen Ausländer gesehen, aber die Medien haben ihnen Angst vor Kriminalität und Überfremdung gemacht. Für mich war das eine sehr wichtige Erfahrung. Rassismus entsteht nur, wenn die Leute vor etwas Angst haben, das sie nicht kennen. Je mehr man über etwas weiß, desto weniger verteufelt man die Sache.

Bei Ihren Konzerten halten Sie sich eher im Hintergrund. Wie wichtig ist für Sie Bühnenpräsenz?

Ich mache auf der Bühne keine Show, weil ich so etwas nicht kann. Für mich ist ein Konzert eine völlig normale Sache. Bei unserer Tournee durch die Bars gab es zum Beispiel keine Barriere mehr zwischen den Musikern und dem Publikum. So etwas finde ich toll. Wir waren wie eine von diesen Gruppen, die irgendwo auftreten und den Hut rumgehen lassen. Die Leute reden danach ganz normal mit dir. Wenn zwischen dir und dem Publikum ein Bild steht, das die Medien erzeugt haben, kommt dabei nichts Gutes raus. Natürlich macht es dich bekannt – aber ich finde es immer noch seltsam, wenn mich jemand vor Ehrfurcht zitternd um ein Autogramm bittet.

Trotzdem sind Sie seit „Amélie“ ein bekannter Mann.

Es ist aber nicht schwer, den ganzen Rummel zu vermeiden. Dazu genügt es, so selten wie möglich in den Medien aufzutauchen. Je weniger Gedanken man sich um sein Image macht, desto besser.

Yann Thiersen spielt heute ab 20 Uhr zusammen mit seiner Band und Dominique A im BKA-Luftschloss