Was für ein ordentlicher junger Mann

Als Jungstar der Politphilosophie erfüllt Jedediah Purdy das Bedürfnis vieler Amerikaner nach neuer Ernsthaftigkeit

Sein Vorname klingt, als sei der junge Mann ein Jedi-Ritter, sein Gesicht erinnerte eine Washington Post-Kolumnistin an Alfred E. Neumann. Doch Jedediah Purdy könnte von den Helden der Star-Wars-Saga oder des Mad-Magazins nicht weiter entfernt sein: Der 27-jährige Harvard- und Yale-Absolvent hat als Philosoph einer neuen Ernsthaftigkeit für Furore gesorgt. Diese Woche tourt er durch Deutschland.

Sein Buch „Das Elend der Ironie“, das jetzt auf Deutsch erschien, entstand vor dem 11. September, doch Purdys Sehnsucht nach mehr Wahrheit und Klarheit in der Politik passt zur aktuellen Stimmung in den USA. Leidenschaftlich geißelt er die „müde Verachtung“ für Politik gerade unter jungen Amerikanern, beklagt, dass „der Zeitgeist vom Parlament ins Fitnesscenter“ gezogen sei, und fordert als Ausgangspunkt für eine Neubesinnung, „die Würde der politischen Rede wiederherzustellen“.

Zwar habe er sein Werk im Alter von 24 Jahren verfasst, schrieb ein Rezensent, doch „wenn man sich durch Purdys sorgfältig gefügte Sätze arbeitet, könnte man schwören, der Autor ist ein alter Mann“. Der Eindruck verdankt sich nicht zuletzt Purdys Angriffen auf den zentralen kulturellen Habitus seiner Generation: die ironische Distanz zum eigenen Handeln und der Welt drumherum. „Ironie ist bei uns zu einem Zeichen von Weltläufigkeit und Reife geworden“, schreibt er, „der ironische Mensch pflegt einen Sprach- und Verhaltensstil, der jeden Schein von Naivität meidet.“ Purdy dagegen steht schon mal im Kinosaal empört auf, wenn Gleichaltrige über eine Liebesszene Witze reißen. Naivität preist er als Tugend der Berührbarkeit, als Voraussetzung für Idealismus und Engagement – und malt seine Kindheit zum Kitschporträt aus einem Tal der Unschuld aus.

Seine Eltern zogen in Purdys Geburtsjahr 1974 auf ein Gehöft in West-Virginia und gaben ihrem Sohn – wiewohl selbst eher grün als christlich angehaucht – einen Namen aus dem Alten Testament („Von Gott geliebt“). Ihre Kinder unterrichteten sie zu Hause, um sie vor dem Staat zu bewahren. Purdy schwelgt in seinem Buch in Spielen „mit Schlamm, den wir uns auf unsere nackten Leiber schmierten, und Wiesenblumen, die wir meiner Schwester ins Haar flochten“.

Nachdem er für so viel demonstrativ vorgetragene Empfindsamkeit auch kübelweise Spott erntete, geht er heute vorsichtig auf Distanz. Sein Buch nutze die Bilder der Idylle als Metapher, nicht als Vorschrift zum Glücklichwerden für jedermann, sagte er der taz. Trotzdem haftet Purdys Erfolg etwas Paradoxes an. Der Kritiker einer Welt aus Kommerz- und Medienzynismus befriedigte selbst den Hunger der Medienmaschinerie. „Damals war man sehr neugierig auf junge Talente, die Marketingleute kämpften richtiggehend um die nächste Generation von Konsumenten“, gibt er zu. Purdys Thesen, medial leicht zu vermitteln und wider einen übermächtigen Zeitgeist gerichtet, eigneten sich ideal zur Vermarktung. Derzeit arbeitet Purdy an einem Buch zur Ambivalenz amerikanischer Macht in der Welt.

Ganz sündenfrei ist allerdings auch der Prophet der Unschuld nicht. Ein Reporter ertappte ihn, als er mit dem Motorrad in einer 25-Meilen-Zone flotte 60 fuhr. „Da war sonst niemand im Umkreis von zwei Meilen“, verteidigte Purdy sich, „aber stimmt schon, it wasn’t smart.“

PATRIK SCHWARZ