Sing, und du wirst integriert

Die Installation „Alien. 10 Songs from beyond“ der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz rüttelt am diffusen Bild von Integration in Deutschland. Doch es gibt beobachtbar Verständnisprobleme

Konsum als Sprache, in der sich alle verständigen können? Imagine!

von JULIA GROSSE

Ein Chinese steht vor dem Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow und singt ein deutsches Trinklied. Er singt dieses Lied ein bisschen schief und mundartlich gefärbt, sodass ein Mann, der ihn dabei beobachtet, unentwegt „Köstlich, köstlich!“ ruft und lacht. Diese Szene des singenden Asiaten, von dem man nicht weiß, ob er nun Deutscher ist oder nicht, erscheint auf einem kleinen Monitor und ist Teil eines Installationsprojekts der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz.

Im Ausstellungsraum finden sich zehn dieser Monitore, aus jedem ertönt ein schwaches „Hänschen klein“, ein verhaltenes „Einigkeit und Recht und Freiheit“ oder ein selbstbewusstes „Die Gedanken sind frei“. Ausgesprochen deutsche Lieder also, gesungen von Ukrainerinnen, Chinesen, Nigerianern, Polinnen. Candice Breitz’ Installationsprojekt „Alien. 10 Songs from beyond“ ist ein mutiges Werk, ausgestellt an einem ungewöhnlichen Ort, dem puristischen Foyer des Energieriesen RWE in Essen. RWE ist die Firma, die „Imagine“ kaperte, das Lied, das John Lennon für den Frieden sang. Nun singt es eine neue Stimme für den Werbespot der RWE AG. Und überall auf der Welt freuen sich verschiedenfarbige Menschen über Strom. Eine schöne Vision. RWE sponsert auch ein viermonatiges Stipendium im Berliner Künstlerhaus Bethanien, in dessen Rahmen die 1972 in Johannisburg geborene Künstlerin auch das Projekt realisierte.

Am Abend der Eröffnung gibt es Schnittchen, Prosecco, und als eines der RWE-Vorstandsmitglieder in seinem Vortrag die Brücke schlagen will zwischen Fragen der Integration in Candice Breitz’ Werk und den Interessen des RWE-Konzerns an internationalen Märkten, ja, da bleibt einem das Blätterteig-Törtchen für einen kurzen Moment beinahe im Hals stecken. Auch RWE stünde vor der Aufgabe, „unterschiedliche nationale Kulturen auf Konzernebene zusammenzuführen“, so das Vorstandsmitglied. Das sei nicht immer einfach und erfordere auf allen Seiten ein Höchstmaß an Toleranz, Offenheit und Respekt sowie die Bereitschaft, Neues anzunehmen. Ein Besucher lästert derweil: „Weiß RWE überhaupt, was sie sich da mit Candice Breitz ins Haus geholt haben?“ Gibt es demnach also Erklärungsbedarf? Nicht zuletzt auch für den Besucher, der einen Nigerianer, der die deutsche Nationalhymne singt, nicht versehentlich mordskomisch findet? Könnte man Breitz’ Kritik an einer scheinbar funktionierenden Integration Nichtdeutscher in Deutschland gar falsch verstehen? Wer genau hinschaut, wird einen Schwarzafrikaner, der mit versteinerter Miene im FKK-Bereich des Berliner Teufelssees von Deutschlands Frauen und von Einigkeit und Recht und Freiheit singt, nicht komisch finden.

Die Originalstimmen der Sängerinnen und Sänger, die die Textzeilen ablesen mussten wie in einer Karaoke-Show, ersetzte Breitz jeweils durch eine deutsche Stimme. Wodurch nun der erwähnte Asiate sehr einheimisch „Ein Prosit, ein Prosit …“ grölt und eine sich anmutig bewegende junge Ukrainerin mit tiefer Männerstimme und kölschem Akzent „Jenseits von Eden“ leiert. In manchen Momenten scheinen sich Körper und Stimme voneinander zu trennen, wenn der Sänger, die Sängerin an einer Textstelle stockt, die deutsche Synchronstimme aber unbeirrt weitersingt. Versinnbildlicht wird so die Schwierigkeit eines Fremden, in eine Sprache einzudringen, die nicht seine eigene ist. Oder könnte man perfekt Deutsch sprechende Nichtdeutsche auch als Zukunftsvision einer multikulturellen Verständigung verstehen? Das Gros der Ausstellungsbesucher jedenfalls lachte, ein Asiate mit deutschem Dialekt passt einfach nicht.

Womit sich bedauerlicherweise einmal mehr bestätigt, wie weit Ideen von Integration und scheinbarer Gleichheit noch von ihrer konkreten Umsetzung innerhalb der Gesellschaft entfernt sind. Für Candice Breitz sind solche Erfahrungen schmerzhaft. Die Künstlerin aus dem weißen, privilegierten Teil Südafrikas stellt im Großteil ihrer Arbeiten Identität als stabile Konstante in Frage. Aufgewachsen im Apartheidsystem fing sie an, Begriffe globaler Zusammengehörigkeit und We-are-one-world-Utopismen, wie sie vor allem die Werbung darstellt, zu demontieren. Ihre neu montierten Fotoausschnitte, Filmsequenzen und Sprachfetzen stellen überstrapazierte Bilder eines harmonischen Multikulturalismus in Frage. So fehlt in der Arbeit „Group Portraits“ (2001) einer Gruppe weißer und schwarzer Models jede Form von scheinbarer Zusammengehörigkeit, weil die Künstlerin ihnen das einzig verbindende Moment, Kleidung von Ralph Lauren, Benetton oder Hilfiger, vom Leib retuschiert hat. Konsum als Sprache, in der sich alle verständigen können? Do you Gucci? Yes, I’m Prada!

Über ihr „Alien“-Projekt sagt Candice Breitz, dass es eigentlich in allen Ländern Europas realisiert werden könne, es sei kein spezifisch deutsches Thema. Doch vielleicht hätte sie gerade deshalb im Rahmen dieser Ausstellung mehr erklären müssen, denn Deutschland ist nach wie vor eines der Länder, in denen Markierung von Differenz immer noch vor allem über die Hautfarbe geschieht.

„Alien. 10 Songs from beyond“, ein Installationsprojekt des Museums Folkwang Essen für den RWE-Turm, bis 12. Dezember