American Junkie

Von der Sucht, neue Waffensysteme auszuklügeln, die Bürger zum Hass aufzurufen und unliebsame Regierungen zu stürzen: Einige Überlegungen zu den Anonymen Kriegsvorbereitern in den USA und anderen Ländern

Dürfen Süchtige jeder Art bei uns oder einem andren Land hohe Ämter innehaben?

von KURT VONNEGUT

Was war bis heute Amerikas fruchtbarster Beitrag zur Kultur unsres Planeten? Viele sagen sicher, der Jazz. Auch ich liebe Jazz, doch ich sage: die AA-ler, die Anonymen Alkoholiker.

Ich bin kein Alkoholiker. Aber wenn, dann träte ich vor das nächste Treffen der AA-ler und sagte, „Ich heiße Kurt Vonnegut. Ich bin Alkoholiker.“ Das wäre, so Gott will, der erste Schritt auf dem langen, schweren Weg zurück zur Nüchternheit.

Die Methode der AA-ler, die solch ein Eingeständnis verlangt, kann immerhin zum ersten Mal die Neigung mancher Menschen (rund 10 Prozent jeder Zufallsauswahl) beeinflussen, nach Substanzen süchtig zu sein, die eine Zeit lang glücklich machen, aber auf längere Sicht ihr Leben und das ihrer Umgebung schauerlich verpfuschen.

Die Methode der AA-ler funktioniert nur, wenn der Süchtige regelmäßig eingesteht, dass dieser oder jener Stoff für ihn Gift ist, und sie bewährt sich ebenso gut bei zwanghaften Spielern, die nicht von Substanzen aus Brennereien oder Pharma-Labors abhängig sind. Das scheint paradox. Aber Spieler produzieren das Gift in sich selber. Ihr Körper schüttet, Gott helfe ihnen, gewisse chemische Substanzen aus, durch die sie in Hochstimmung kommen, sobald sie auf etwas Beliebiges wetten.

Wenn ich zwanghaft spielte, was nicht der Fall ist, täte ich gut daran, vor das nächste Treffen der Anonymen Glücksspieler zu treten und zu erklären, „Ich heiße Kurt Vonnegut. Ich bin ein zwanghafter Spieler.“

Und egal, vor welche Versammlung ich träte, bei den Anonymen Glücksspielern oder den Anonymen Alkoholikern – die werden genau von mir hören wollen, wie die Substanzen, die ich produziert oder geschluckt habe, mich Freunden und Verwandten entfremdet, Arbeit und Wohnung gekostet und mir die letzte Selbstachtung genommen haben.

Natürlich ist nicht jeder AA-ler oder AG-ler so auf den Hund gekommen. Aber viele, wenn nicht die meisten, mussten erst tief im Dreck stecken, eh sie sich und andren eingestanden, was ihnen das Leben verpfuscht hatte.

Ich möchte Ihnen jetzt eine weitere Sucht vorstellen, die man bislang kaum erkennt. Sie ähnelt eher dem Glücksspiel als dem Trinken, weil der davon Befallene nach Situationen giert, in denen sein Körper Erregungsstoffe ins Blut ausschüttet. Es gibt nämlich überall unter uns Menschen, die tragisch süchtig sind nach Kriegsvorbereitungen.

Erzählen Sie so einem nur mal, dass Krieg droht und wir gerüstet sein müssen, und schon ist er lange Minuten glücklich wie ein Säufer nach dem Martini-Frühstück oder ein Spieler, der sein ganzes Gehalt auf den Sieger beim Super Bowl setzt.

Wir müssen sehen lernen, wie krank diese Menschen sind. Und schnell reagieren, wenn ein politischer Führer oder nur ein Nachbar von einem neuen Waffensystem schwärmt, das gerade mal 29 Milliarden Dollar kostet. dem könnte man entgegnen: „Also wirklich! Du tust mir so Leid wie jemand, der eine Hand voll Captas mit einer Flasche Whiskey runterspült.“

Ich meine das ernst. Ohne Flachs. Wer sich hier oder anderswo zwanghaft auf den Dritten Weltkrieg vorbereitet, ist so tragisch und, ja, so widerwärtig süchtig wie ein randvoller Börsenjobber, der kopfunter im Topf eines Bahnhofsklos endet.

Wenn ein Trinker ein bisschen glücklich sein will, braucht er knapp hundert Gramm Alkohol. Und wenn er kurz vor dem Tiefpunkt ist, verträgt er kaum noch welchen.

Wenn wir einen zwanghaften Spieler kennen, der total pleite ist, machen wir ihn schon mit einem Dollar glücklich, den er dann darauf wettet, wer den größeren Bogen spuckt.

Doch wenn wir einem zwanghaften Kriegsvorbereiter kurze Glückseligkeit schenken wollen, müssen wir ihm schon drei Trident-U-Boote kaufen sowie hundert Interkontinentalraketen, die auf Puff-puff-Bähnchen montiert sind.

Wenn die Westliche Welt ein Mensch wäre –Wenn die Westliche Welt, die inzwischen, wie ich’s sehe, die ganze Erde überspannt, ein Mensch wäre –Wenn die Westliche Welt, zu der man heute gewiss die Sowjetunion und China und Indien und Pakistan und so fort rechnen sollte, ein Mensch wäre – Wenn die Westliche Welt ein Mensch wäre, müssten wir ihn zum nächsten Treffen der Anonymen Kriegsvorbereiter bringen. Und ihm sagen, er solle sich vor die Versammlung stellen und erklären: „Ich heiße Westliche Welt. Ich bin zwanghafter Kriegsvorbereiter. Ich habe alles verloren, was mir lieb und teuer gewesen ist. Und ich war zum ersten Mal im Ersten Weltkrieg ganz, ganz unten.“

Natürlich kann die Westliche Welt nicht von einem einzelnen Menschen dargestellt werden, doch für den katastrophalen Niedergang dieses blutigen Jahrhunderts gibt es eine einzige Erklärung. Wir, die Bürger, haben, weil wir die Krankheit nicht kannten, immer wieder Leute an die Macht gewählt, von deren Erkrankung wir nicht das Leiseste ahnten.

Doch nun, da wir’s wissen, sollten wir so wenig über sie höhnen wie über jemanden mit Syphilis oder Pocken oder Lepra oder Gürtelrose oder Typhus oder irgendeiner anderen Krankheit, die des Fleisches Erbteil ist. Wir müssen sie, meine ich, nur fern halten von den Schalthebeln der Macht.

Und was dann?

Dann begänne für die Westliche Welt endlich der lange, schwere Weg zurück zur Nüchternheit.

Ein Wort noch über Beschwichtigung, die uns der Zweite Weltkrieg eigentlich abgewöhnt haben sollte. Ich sage Ihnen, die Welt ist verpfuscht durch Beschwichtigung. Wen beschwichtigen wir? Kommunisten? Neonazis? Nein! Zwanghafte Kriegsvorbereiter. Ich wüsste kaum ein Land, das über dem Bemühen, seine süchtigen Kriegsvorbereiter zu beschwichtigen, nicht ein Großteil seiner Freiheit und seines Reichtums verloren hätte.

Außerdem gibt’s nun mal für Süchtige keine dauerhafte Beschwichtigung. „Mann, also ehrlich, leg einfach genug auf den Tisch für zwanzig Raumfähren und ein Geschwader B-1-Bomber, dann bist du mich schon los.“

Stellen Sie sich vor, wir hätten einen Präsidenten, der Säufer ist …

Die Sucht fängt zumeist ganz unschuldig an, im Kindesalter und unter netten, ordentlichen Vorzeichen – ein Schluck Sekt bei einer Hochzeit, Pokern um Streichhölzer an einem verregneten Nachmittag. Zwanghafte Kriegsvorbereiter sind als Kinder vielleicht ermuntert worden, an Lagerfeuern oder bei Paraden zum 4. Juli fröhlich mit den Händchen zu klatschen.

Nicht jedes Kind wird abhängig. Nicht jedes wird durch solche Versuchung zum Säufer oder Glücksspieler oder jemandem, der die Raketen aus dem Reich des Bösen mit Laserstrahlen vom Himmel zappen will. Und obwohl ich Kriegsvorbereiter als Süchtige bezeichne, will ich die Kinder gar nicht unbedingt von kriegerischen Festen fern halten. Kaum ein Kind unter hundert, das zum Beispiel ein Feuerwerk gesehen hat, wird, wenn es erwachsen ist, gegen die Verschwendung unsrer Geldmittel auf Bildung und Gesundheit und soziale Gerechtigkeit und die Künste sowie auf Nahrung und Wohnung und Kleidung für die Bedürftigen protestieren und lieber alles in Sprengstoff stecken.

Und verstehn Sie mich recht, ich spreche von der Sucht nach Kriegsvorbereitung, wirklich nach Vorbereitung – nach der Wonne, Schlachtschiffe zu entmotten; und Waffensysteme auszuklügeln, gegen die’s angeblich keinen Schutz gibt; und alle Bürger zum Hass auf den oder jenen Teil der Menschheit aufzurufen; und Miniregierungen zu stürzen, weil sie sich irgendwann dem Feind zuwenden könnten und so fort. Ich spreche nicht von der Sucht nach Krieg, die ist etwas völlig andres. Ein zwanghafter Kriegsvorbereiter will so wenig in den Krieg ziehen, wie ein saufender Börsenjobber kopfunter im Topf eines Bahnhofsklos enden will.

Dürfen Süchtige jedweder Art bei uns oder in sonst einem Land hohe Ämter innehaben? Auf keinen Fall, denn für sie wird die Befriedigung ihrer Sucht immer das Vordringlichste sein – ohne Rücksicht auf die Folgen, auch für sie selber.

Stellen Sie sich vor, wir hätten einen Präsidenten, der Säufer ist, aber noch nicht ganz am Ende, und dessen wichtigste Berater so saufen wie er. Und stellen Sie sich vor, er wüsste sicher, dass der ganze Planet in die Luft fliegt, wenn er noch einen einzigen Schluck trinkt.

Also lässt er sämtlichen Schnaps aus dem Weißen Haus werfen, sogar das Aqua Velva Rasierwasser. Später in der Nacht wird er schrecklich unruhig, er ist verrückt nach einem Schluck, aber stolz, keinen zu trinken. Also geht er im Weißen Haus an den Kühlschrank, um sich, glaubt er selber, eine Cola light oder eine Diät-Pepsi zu holen. Und entdeckt, halb versteckt hinter dem großen Glas Senf, eine ungeöffnete Dose Coors-Bier.

Was, glauben Sie, tut er?

Aus dem Amerikanischen von Klaus Birkenhauer