„Kein pro-forma-Dialog“

Milli Görüs und das Bremer Rathaus führen einen in Deutschland einzigartigen öffentlichen Diskurs, der von Extremismuswarnungen förmlich beflügelt wird

Zwei Stunden Schlagabtausch hatten sich der Berliner Journalist Eberhard Seidel und der Generalsekretär der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) aus Köln geliefert. Der eine als Warner vor den undemokratischen Strukturen der IGMG, der andere als Kronzeuge für deren gegenwärtigen Veränderungsprozess, den man ihm abnehmen müsse: „Wir führen keinen pro-forma-Dialog, wir sind keine organisierten Trickser“, so Oguz Ücüncü. „Sie können uns messen an den Aussagen, die wir hier machen.“ Milli Görüs sei ein Verband, der die Gleichstellung von Muslimen mit anderen religiösen Gemeinschaften anstrebe – keine Kaderorganisation. Dann hörten fast 100 Leute Donnerstagabend im Konsul-Hackfeld-Haus, wie Gegenspieler Seidel sagte: „Vielleicht ist es in Bremen tatsächlich anders, als ich es aus Berlin kenne.“

Das hatten Zuschauer der Veranstaltung provoziert, die im Rahmen der vom Rathaus veranstalteten Zweiten Bremer Islamwoche stattfand. Seidels Warnungen vor Milli Görüs, die „ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt und ein taktisches zur Wahrheit“ habe, sei sicher begründet, hatten sie gesagt. „Nur haben wir hier die ganze letzte Woche ständig offen mit Muslimen diskutiert.“ Die vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestufte Milli Görüs pflege in Bremen den interreligiösen Dialog wie keine andere islamische Gemeinschaft. Kurzer Applaus hatte das angespannte Schweigen im Raum einen Moment durchbrochen.

Zuvor war niemand aufgestanden, um eine von Milli Görüs ausgehende erkennbare Gefahr in Bremen zu benennen – wie Seidel sie für Berlin und für die übergeordneten Strukturen der IGMG aber wohl beschrieben hatte. Nie habe er eine Distanzierung der IGMG zur Fatwa gegen Salman Rushdie gesehen, wohl aber Flugblätter gelesen, in denen der IGMG zugehörige Gruppierungen den Völkermord an den Armeniern in der Türkei verleugneten. Es gebe einen ausgeprägten Antisemitismus unter Milli-Görüs-Anhängern. Diesen könne man aber schwer beikommen, da die IGMG ihre Mitgliederstruktur nicht offenlege. Ücüncüs Vorgänger habe ihm vor Jahren eine Auflistung versprochen. „Darauf warte ich bis heute“, so Seidel. Insofern präsentiere sich die IGMG als inhaltlich schwer angreifbar.

Umgekehrt brachte Seidel aber die IGMG mit Angriffen auf einen Milli Görüs-Aussteiger in Berlin in Verbindung. Der Mann habe wichtige Insider-Informationen für eine Studie über Milli Görüs geliefert. Um ihn zu schützen, hatten Seidel und seine Co-Autoren ihm den Gang an die Öffentlichkeit empfohlen. „Wir waren vielleicht naiv“, sagte Seidel. Vier Mal sei der Mann öffentlich aufgetreten und ebensooft danach zusammengeschlagen worden. In das Schweigen des Saals sagte er: „Wir wissen nicht, von wem.“ Auch seien öffentliche Angriffe auf einen Journalisten-Kollegen noch jung, die ein hochrangiger Milli Görüs-Freund im Islamrat – „und das hat Signalwirkung“ – als „radikalen, ungläubigen Aleviten“ beschimpft hätte. Er glaube nicht an eine Reform der Organisation, die „mit neuem Personal die alten Strukturen mangelnder Transparenz“ fortsetze. Von der Verunglimpfung des Kollegen habe sich nie jemand distanziert.

In Bremen kam die Distanzierung: „Haben Sie nicht gesagt, dass sowas Scheiße ist?“, fragte ein Muslim Ücüncü. Der antwortete: „Nicht in diesen Worten. Aber ich habe es klar gemacht.“ Er stehe für eine neue Generation bei Milli Görüs. „Es gibt einen Sinneswandel. Und das ist kein politisches Kalkül.“ ede