Friedliche Invasion statt Untergang

Allen Hetzkampagnen und düsteren Prophezeiungen zum Trotz verläuft die Demonstration des Europäischen Sozialforums in Florenz ohne gewalttätige Zwischenfälle. Auch viele Florentiner Bürger bekunden ihre Solidarität mit den Protestierenden

aus Florenz MICHAEL BRAUN

Einigermaßen enttäuschend verlief am Samstag die Demonstration des Europäischen Sozialforums in Florenz – enttäuschend für alle, die in einer wochenlangen Hetzkampagne den Untergang der Kunststadt am Arno herbeigeredet hatten. „Gewalttätige Horden“ waren angekündigt, stattdessen erlebte Florenz die friedliche Invasion hunderttausender Menschen – die Polizei meldete 500.000, das ESF eine Million –, die mit einem Marsch gegen den geplanten Krieg im Irak protestierten.

Um 15 Uhr sollte es losgehen, doch schon zwei Stunden vorher startete die Spitze des Zuges, um Platz für die ständig vom Bahnhof Herbeiströmenden zu machen. Den „Ehrenplatz“ ganz vorn hatte das ESF Fiat-Arbeitern aus Turin und dem sizilianischen Termini Imerese eingeräumt, die zur Zeit um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen. Ihnen folgten die Blocks der ausländischen Teilnehmer, des „Greek Social Forum“, der Franzosen von der CGT und von Attac, der Deutschen, der Briten von Globalise Resistance, der Österreicher, Polen, Portugiesen mit ihrem Nein zum Krieg.

Dann das Gros der Demo aus Italien. Katholische Boy-Scouts, die „präventiven Frieden“ forderten, Anarchisten hinter dem Transparent „Der Krieg braucht dich – du brauchst den Krieg nicht“, die „Ungehorsamen“ der Autonomen Zentren, der Block von Rifondazione Comunista, die Basisgewerkschaften, die Social Forums aus Genua, aus Florenz, Gruppen von Oberschülern und Studenten – und am Schluss der Gewerkschaftsbund CGIL, der 200.000 Leute mobilisiert hatte.

Statt sauberer Trennung zwischen den Zugsegmenten herrschte aber dann doch ein Durcheinander. Bei den Jungs und Mädchen von den „Ungehorsamen“ marschierten angegraute Mittfünfziger von der CGIL mit – und in den Reihen der Gewerkschafter waren jede Menge Kids unterwegs. Sie alle zeigten nicht zuletzt, dass die Hasskampagne gegen das ESF zum Flop geworden war. „Sichere Verwüstungen“ hatte Silvio Berlusconi angekündigt, seine TV-Stationen und Zeitungen, aber auch der liberal-konservative Corriere della Sera hatten vorher ein Trommelfeuer entfacht, das zum Auftakt des ESF in einem Brandbrief Oriana Fallacis an die Florentiner Bürger gipfelte. Wie die Faschisten 1922, wie die deutschen Besatzer 1944 seien die Leute vom ESF – „sie respektieren Saddam Hussein, sie lieben Bin Laden“–, so Fallaci. Die Stadt solle mit Totalschließung reagieren.

Viele Ladeninhaber hatten ihre Geschäfte tatsächlich mit Spanplatten verrammelt. Für sie gab es ironische Repliken per Filzstiftinschrift. „Wegen Dummheit geschlossen“ stand da, oder – bei einer Kneipe – „Depp, du hättest heute mindestens 1.000 Biere verkaufen können.“

Aber bei der Demo zeigte sich auch das andere Florenz: Der Zeitungskioskbesitzer, der mit der Begründung „Alle zur Demo!“ seinen Stand zugesperrt hatte, der Bäcker, der blecheweise Brot und Pizza an die Demonstranten verschenkte, jede Menge Anwohner längs des Zugwegs, die Mineralwasser spendierten und mit weißen Bettlaken am Fenster ihre Solidarität bekundeten. Und die nicht zuletzt zwei Mitlaufenden applaudierten: Leonardo Domenici, dem Bürgermeister von Florenz, und Claudio Martini, dem Präsidenten der Region Toskana. Sie hatten in den letzten Wochen als vermeintliche Komplizen des Black Bloc am Pranger gestanden – und sie reagierten am Samstag mit der Forderung, einige hätten sich nun bei der Stadt Florenz genauso wie beim ESF zu entschuldigen.