Die Ecken kantiger gefeilt

Paul Weller hat in Berlin seine neue CD vorgestellt – und die guten alten Zeiten mit The Jam und Style Council durch die Gitarre geschreddert. Für die Live-Versionen einiger Songs wäre so mancher aus dem Publikum früher durch halb Europa getrampt

von ANDREAS BECKER

Wer hätte das gedacht. Wie mit dem Kickstarter angetreten, legen Paul Weller und seine Band beim Berliner Konzert los. Jüngere Kapellen brauchen eine viertel bis halbe Stunde, um warmzulaufen – bei dem nicht mehr ganz taufrischen Weller scheint es, als habe er den ganzen Tag auf nichts anderes als auf diesen Auftritt gewartet, ja danach gehungert.

„I don’t care how long this lasts, we have no future, we have no past.“ Das singt Weller 1993 in dem Song „Sunflower“ auf dem Album „Wild Wood“, als sei Punk auferstanden. Dabei war es nur oder immerhin Weller selbst, der sich nach dem Verläppern von The Style Council Ende der Achtziger neu erfinden musste. Fast absurd, der Mann, der als einer der Urahnen jeglichen Britpops von fast jedem als Einfluss oder gar Vorbild genannt wurde, stand plötzlich dumm ohne Plattenvertrag herum. Mit Polydor war Schluss, und so erschien Wellers Platte „Wild Wood“ beim Kleinlabel Go! Discs.

„I don’t care how long this lasts“: Die Gegenwartsparole, eigentlich nur Teil eines Liebeslieds, hätten viele gern als Motto. Bei Paul Weller wurde sie spätestens seit seinem Start mit The Jam 1976 Parteiprogramm. The Style Council (ab 1983) war danach für viele eine Provokation und ein übler Rockverrat. Sie konnten die hübsche Musik nicht ertragen, weil sie vielleicht zu gegenwärtig war, der Mod-Rocker Weller plötzlich als Achtzigerikone mit schmierigem Haar und Schudeldudelmucke.

Jetzt, heute (oder was gerade ist) steht Weller mit Band in der nicht ausverkauften, vielleicht nur dreiviertel vollen Columbiahalle. Und was schon beim ersten Song eine Gänsehaut erzeugt, ist nicht nur der Sound der Band, es ist seine Stimme. Weller steht im bunten Licht, zu jedem Song hat man sich eine neue Lichtinstallation einfallen lassen, die auf der Leinwand hinter der Band fast psychedelische Effekte erzeugt. Weller beginnt mit Stücken aus seinem neuen, ziemlich tollen Album „Illumination“. Bei einer Leitfigur wie Weller suchen viele nach klaren Aussagen, „A bullet for everyone“ ist deutlich ein Antikriegssong: „There’s a bomb for every city“. In einem Interview hat er jüngst aber erklärt, zu öffentlichem politischen Engagement habe er keine Lust mehr. Als er das letzte Mal antikriegsmäßig unterwegs war, hätten die beteiligten Leute ihn zu sehr genervt. Die wollten ihn vereinnahmen und ständig neue Statements.

So widmet er die von sich selbst erleuchtete „Illumination“-CD lieber seinen Kindern und allen „Kindern einer besseren Zukunft“. Hier im Konzert sind sowieso eher die Papis. Viele Männer so zwischen 35 und 50, wenig Frauen, dabei sieht Weller in seinem bunten Hemd immer noch recht knackig aus. Ansagen gibt es kaum, im Laufe des Abends wir er zwar etwas redseliger, aber dann versteht man sein Genuschel nur schwer.

Ist ja auch nicht nötig. Die Band haut die Songs raus, wie beim Karneval die Bonbons unters Volk geworfen werden. Kaum haben wir einen ausgepackt, knallen sie uns schon das nächste Ding vor den Latz. Auch die Style-Council-Stücke lassen sich, neu verpackt und die Kanten etwas eckiger gefeilt, effektiv durchrocken. Richtig heftig aber wird’s bei den alten Jam-Songs. Jetzt lassen die Jungs im Publikum schon mal die etwas lichteren Haare schütteln, auch Luftgitarren werden vereinzelt gestimmt und eingesetzt. „Town called malice“, manch einer wäre für eine Liveversion nur dieses Stücks in jüngeren Jahren durch halb Europa getrampt. Dann auch noch „That’s Entertainment“, mit der fast niedlichen Aussprache des Worts Entertainment. Das Jahrhundertstück hatte er einmal „pissed“ aus dem Pub kommend in zehn Minuten geschrieben, behauptet er auf dem Cover der Jam-Live-Platte „Dig The New Breed“.

Ein normales Konzert wäre längst zu Ende, Weller aber hat keine Lust, ins Hotel zu gehen. Er zündet sich ’ne Kipppe an, setzt sich zu Abkühlung mal an sein kleines Piano und trällert eine Ballade. Es gibt nur eine Zugabe, die aber setzt noch einmal so ein heftiges Gitarrengewitter in Gang, dass man durch die Halle tanzen und schreien möchte.

Draußen steht ein Engländer mit T-Shirts („Only 3.000 left“). Seit ewigen Zeiten kaufe ich wieder ein Konzert-T-Shirt.