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Im musikalischen Paralleluniversum oder Munteres Treiben auf der Achse New York–Berlin.Das amerikanische House-Duo Metro Area bastelt in der Hauptstadt weiter an ihrem Soundentwurf

Ein Himmel voller Geigen und ein Raum voll schwitzender, halbnackter Körper

von CORNELIS TITTEL

Verkehrte Welt: Nichts scheint derzeit die Fantasie New Yorker Nachwuchs-Bohemiens mehr zu beflügeln als Berlin. Einem Selbstversuch steht nichts im Wege: „Du wirst dich wundern“, sagt Morgan Geist, die eine Hälfte des New Yorker Produzentengespanns Metro Area, „aber du wirst sehen: Es funktioniert.“

Sein Vorschlag: Besorg dir eine besonders beschissen aussehende Sonnenbrille, die auch Blixa Bargeld um 83 getragen hätte, lass dir von einem Friedrichshainer Szenefrisör die Haare asymmetrisch schneiden, gehe zwei Monate nicht an die Sonne und setz dich dann in einen Flieger nach New York. Bei der leisesten Andeutung, du kämest aus Berlin, so verspricht er, stünden dir sämtliche Türen offen: „Glaub mir, du wirst viele neue Freunde treffen.“ Zum Beispiel im Club Berliniamsburg, New Yorks erster Adresse in Sachen kreativ-kaputter Eighties-Nostalgie, musikalische Unterabteilung: Electroclash. Ein aus New-Wave-Anleihen, Punkästhetik und Techno zusammengewürfelter Genrebastard, der, so erzählen sich hypebewanderte New Yorker hinter vorgehaltener Hand, wie alles Gute zurzeit nur in Berlin erfunden werden konnte. Dass dem nicht wirklich so ist und in der Hauptstadt – außer anorexischen Stilettofachverkäuferinnen und Musikfeuilleutonisten, die Mia ernsthaft rebellisch finden – kaum jemand einen Pfifferling auf die Zukunft dieses Genres gibt, hat sich dann doch noch nicht bis Brooklyn rumgesprochen.

Morgan Geist und Darshan Jesrani kommt der Berliner Informationsvorsprung durchaus gelegen, erlaubt er ihnen doch, unbehelligt von New Yorks Hype-Maschinerie in Ruhe an ihrem Soundentwurf weiterzufeilen. Denn eines ist klar: Wüssten die New Yorker, wie frenetisch ausgerechnet Berlins Clubgänger schon die ersten, unverwechselbaren Takte eines jeden Metro-Area-Tracks begrüßen – es wäre Essig mit der von ihnen heiß geliebten Anonymität. Ein Rundgang durch die Houseclubs, Technokeller und Cocktailbars lässt dann auch nur einen Schluss zu: Wenn NYC zurzeit Berliniamsburg ist, ist Berlin mindestens Metro-Area-Dorf.

Erstaunlich an der fraktionsübergreifenden Begeisterung ist die Reduziertheit der Mittel, mit denen Metro Area operieren. Ihre Definition von House kennt keine Gimmicks, keine dramatischen Breaks, keine Trommelwirbel, und auch auf Vocals wird komplett verzichtet. Anti-Affekt-Musik also, deren Kick gerade aus der Abwesenheit aller Offensichtlichkeiten entsteht. Und doch reicht ihnen der Einsatz eines einzigen Stringarrangements, um aus Fußlahmen Tänzer zu machen. Einmal gehört, und du bist „Caught Up“: ein Track-Titel, der absolut hält, was er verspricht. Dass auch Metro Area eine diffuse Eighties-Nostalgie schüren, würden sie niemals leugnen, nur ist ihr Referenzrahmen eindeutig anders gesteckt als der ihrer electroclashenden Kollegen. Während diese eine bewusst artifizielle Kälte produzieren, die erst nach ausreichend Koks- und Wodkakonsum wirklich glamourös erscheint, verstehen es Metro Area, ein musikalisches Paralleluniversum wiederaufleben zu lassen, in dem Gott noch ein DJ war und der Himmel auf Erden ein Club wie die „Paradise Garage“. Denn auch das, so lernen wir, waren die frühen bis mittleren Eighties in New York: Disco nach Disco und House vor House, vor allem aber Sex vor dem Wissen um Aids und drogengeschwängerte Marathontänze, die im Morgengrauen zu Gottesdiensten transzendierten. Ein Himmel voller Geigen und ein Raum voll schwitzender, halbnackter Körper. Und: ein Mordsspaß – glaubt man den wenigen, die ihn überlebt haben.

Morgan Geist und Darshan Jesrani haben ihn weder über- noch erlebt, und so traurig sie sind, im New York des Jahres 2002 zu leben, so sehr sind sie sich der Gnade der späten Geburt bewusst. „Vielleicht“, so Geist, „ist die Nostalgie ja noch besser als das real thing. Klar ist es eine Schande, dass wir nicht dabei waren, aber wir können uns auf diese Ära berufen, wir können darüber lesen, nach der Musik suchen. Und das Beste, aus einer rein praktischen Perspektive: Wir sind noch am Leben.“

Dass sie auf ihre Art zumindest in Deutschland und England ein kleines Revival angestoßen haben und nun allerorten die Suche nach den raren Underground-Disco-Hymnen eines Larry Levan beginnt, macht sie stolz: „Wenn unsere Musik den Leuten erlaubt, zurück in die Zeit zu reisen, um den originalen good stuff zu entdecken, ist das wunderbar. Und das Schöne ist ja, dass diese Musik viel zu gut ist, um plump receycelt zu werden. Es ist halt wesentlich einfacher, die offensichtlichsten Momente des Eighties-Pop zu nehmen und etwas wirklich Billiges daraus zu machen“, sagt Jesrani als Anspielung auf den Hype der Stunde. „Du hörst Fake-Gary-Numan und Fake-Human-League, aber Gott sei Dank kein Fake-Class-Action. Was wir lieben, bleibt unter dem Radar, weil es unmöglich ist, den Spirit dieser Musik zu faken.“

Den Spirit kann man höchstens fühlen und mit dem Wissen über Techno und House zu neuem Leben erwecken. Und so zeitlos die großen Momente aus zwanzig Jahren Dance-Geschichte sind, so zeitlos frisch klingt auch ihr Album. Unantastbar sexy, mit ausreichend Raum für die Disco im Kopf.

Ob und wie dieser frisiert ist, spielt bei Metro Area keine Rolle: „It’s Music, not Fashion.“ Und was Berlin längst weiß, wird auch Berliniamsburg eines Tages erreichen. Auch so kann Globalisierung daherkommen: als eine verkehrte Welt.