Im Angesicht des Stroboskops

Das Orwell-Jahr lag mittendrin, Mark Knopfler flüchtete von der Strat zur Les Paul, wir waren die, vor denen uns unsere Eltern gewarnt haben. Ein Blick zurück nach vorn aus aktuellem Anlass, denn: Wir wollen auch vom Achtziger-Revival profitieren!

Menschen standen nackt im Wind, und die Sommer waren auch nicht besserEin Maserati fuhr 210, und schwupps, die Polizei hat’s nicht gesehen

von FRANK SCHÄFER

In den Achtzigern sang eine rothaarige Familie mit Übergewicht in der Fußgängerzone. Und es gab den Schneider Team 30. Man konnte sich natürlich auch eine Spiegelreflexkamera vom Konfirmationsgeld kaufen. / In den Achtzigern gab es gefährliche Verführer. „Aber die Bhagwan-Disco hat damit doch gar nichts zu tun!“ / Und irgendwann in den Achtzigern verstand ich dann auch, was diese Christiane F. anschaffte.

In den Achtzigern war man für ein bisschen Frieden sehr zu haben. Und, o Mann, diese gewaltige weiße Akustikgitarre! Richtig umgegriffen hat sie auch nicht. / In den Achtzigern hörte ich „Bomber“ von Motörhead (und zwar in der Live-Fassung vom 1981er-Album „No Sleep Til Hammersmith“) und wusste aus einem nicht mehr auffindbaren Bravo-Artikel, dass die einen Krach machten, der nur mit einer startenden oder landenden 747 adäquat zu vergleichen sei. / In den Achtzigern gab es City Music in der Münzstraße, dessen Besitzerin oder auch nur Geschäftsführerin mittlerweile in einem hiesigen Bekleidungsgeschäft Dienst schiebt, damals aber in zerrissener Lederhose und eigentlich immer mürrisch und wenig auskunftsfreudig so ein bisschen die Londoner Punk-Attitüde in die Provinz holte und uns allen höllischen Respekt einflößte.

In den Achtzigern gab es einen 17-jährigen Leimener, der fiel ständig hin und machte seine weißen Sachen schmutzig. Wimbledon lag ihm irgendwie. / In den Achtzigern knoteten sich Menschen den Pulli um die Hüfte, krempelten die Jackettärmel hoch, trugen Sonnenbrillen wie Sonny Crockett oder Gürteltaschen vorm Bauch. Und die saure Dauerwelle hatte Konjunktur, weil die Haare durch das Wasserstoffsuperoxyd schließlich schon angegriffen genug waren. / In den Achtzigern tanzte man gern schmutzig. Und mein Baby gehörte zu mir.

In den Achtzigern war ich ziemlich sauer, als Petra in meiner Abwesenheit am Zauberwürfel gespielt hatte, weil ich mir die ersten vier Drehungen gemerkt hatte – und ihn danach nie wieder so hinbekam. Denn auseinander nehmen gildet nicht! Und an irgendeine Wiedergutmachung war natürlich auch nicht zu denken. Obwohl, zu denken schon. / In den Achtzigern war man einfach schon zu alt für Dr. Sommer. / In den Achtzigern wurde Geschichte gemacht. Nippel-Pop auch. / In den Achtzigern ging es voran. Und Eisbären konnten nicht weinen. Königinnen hatten Räder unten dran. Und keine Atempause.

In den Achtzigern begrüßte der „Spieß“ der Fernspäher in der Husaren-Kaserne die zum Morgenappell angetretene Kompanie zwiefach: „Guten Morgen, Springer!“ – „Morgen, Nichtspringer!“

In den Achtzigern standen Menschen nackt im Wind. Und die Sommer waren auch nicht besser. / In den Achtzigern flüchtete Dylan in die Religion und Mark Knopfler von der Strat zur Les Paul. / In den Achtzigern lag das Orwell-Jahr. Mittendrin sozusagen. / In den Achtzigern gingen Menschen auf Konzerte und trugen Buttons „mit der Aufschrift: ‚Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern gewarnt haben.‘ Was nicht auf den Buttons stand, war, dass sie auch die Leute waren, deren Eltern sie gerade bis vor die Tür gefahren hatten“ (Giles Smith). Und unerklärlicherweise wurde in den Achtzigern „Beat It“ immer ausgefadet, wenn es gerade am schönsten wurde, wenn nämlich Eddie Van Halens Leadgitarre wie ein Hochgeschwindigkeitsprojektil durch den Restsong pfiff. Ach, die hatten doch alle keine Ahnung, hatten die nicht. / Und im Übrigen wurde schon in den Achtzigern Michael Jackson seinem kleinen Äffchen immer ähnlicher.

In den Achtzigern beteiligte man sich an der Pille. Wenn es a-gen 53 oder die guten alten Billy Boys nicht mehr brachten. / In den Achtzigern erklärte die Disco-Queen Diana Ross in einem Fernsehinterview: „Die Homosexuellen haben die Krankheit Aids über sich gebracht. Sie ist eine Strafe Gottes für ihr sündiges Treiben.“ Sie erhielt Grußtelegramme aus aller Herren Ländern.

In den Achtzigern hatte eins von hundert Gummis winzige Haarrisse. / In den Achtzigern hielt doppelt gemoppelt einfach besser. / Und in den Achtzigern „hat die Uschi dem Heiner vorher ein kleines Loch reingebissen, um ihm eins anzuhängen“.

In den Achtzigern ging man dienstagabends nicht weg. In den Achtzigern empfing Larry Hagman Bravo einmal „als Indianerhäuptling verkleidet“. / In den Achtzigern retteten Guns N’ Roses den Rock ’n’ Roll. Und D.A.D. auch. / In den Achtzigern lernten wir von einem dreiminütigen Springsteen-Song mehr, als wir jemals in der Schule lernen konnten. Ich übertreibe ein wenig, aber es wird hoffentlich klar, was gemeint ist. / In den Achtzigern brauchte man eine neue Maßeinheit: Beats per minute (bpm). Und im Angesicht des Stroboskops waren alle Tanzenden gleich langsam. / Aber auch in den Achtzigern gab es Helden. Na gut, Rösler und Degowski vielleicht nicht. Und Mathias Rust auch nicht. Aber Konrad Kujau schon. Doch doch, der schon. / In den Achtzigern fuhr man gerne zum Surfen nach Sylt. Aber sich die Insel gleich auf die Stirn tätowieren zu lassen!

In den Achtzigern wollte Mr. Okmonneck stets etwas weniger Ei in seinen Eggknock.

Aber auch das, wie so vieles, war im Grunde null Problemo. / In den Achtzigern brauchte die Sportskanone nur zwei Schläge: „Ich schlage dich, und du schlägst lang hin!“ Und der Schlaukopf war zwar Mitglied im Mathe-, Physik- und im Latein-Club, aber sein Elefant leuchtete einfach nicht, wenn er am Schwanz zog. / In den Achtzigern waren unsere Haare lang. So verdammt arschlang, dass man uns ständig ansprach, ob wir Dope hätten. Hatten wir nicht, aber es hätte gut sein können! / In den Achtzigern klingelte allmonatlich der Eismann. Meistens nur einmal. / In den Achtzigern gab es die Jungs von der Opel-Gang, und die hatten alle abgehängt. Und der Kommissar ging um.

In den Achtzigern lasen alle Gymnasiasten und Germanisten Umberto Ecos „Der Name der Rose“ und überblätterten einfach die vielen lateinischen Passagen. „Wer fertig war, rief die Mitleser an und brüllte nur ‚Jorge‘ in die Muschel.“ (Jochen Siemens) / Und irgendwann in den Achtzigern standen nicht mehr nur „null Bock“ oder „Killroy was here“ an den Hauswänden, sondern richtige kleine Kunstwerke. / In den Achtzigern trug Barbarella pinkfarbene Gymnastikstrampler und verdingte sich als Vorturnerin.

In den Achtzigern jagte Rick Deckard Replikanten. Die waren allemal die besseren Menschen. Am Ende war er selbst einer – und ein besserer Mensch sowieso. Und man wusste wirklich nicht, ob man lachen oder weinen sollte bei der Schlussszene von „Brazil“, wenn die Folterknechte ärgerlich ihr „Er ist uns entwischt!“ knurren. Dieses irre, verzückte Lächeln von Jonathan Pryce. / Und ein bisschen konnte man auch die Verbitterung von RoboCop verstehen, der seinen verletzten Kollegen tröstet: „Das kriegen die wieder hin! Die kriegen alles wieder hin!“ / In den Achtzigern starb Jörg Fauser. Zu Fuß unterwegs auf einer Autobahn.

In den Achtzigern waren die Zeitansagen eine lustige Sache: „Neun geteilt durch dreißig, ausrechnen musste alleine!“ / Aber sogar in den Achtzigern war es nicht sonderlich witzig, wenn im Radio jemand hinfiel. Und nicht jeder lustige Mann liebte die Polka. / In den Achtzigern stellten wir stolz wie Oscar die getrunkenen Jollen vor uns auf à la „So, Alter, und jetzt kommst du!“

In den Achtzigern spielte Ina Deter eine rosafarbene Gitarre. Und sie schmierte es an jeeeede Wand, Wand, Wand. / In den Achtzigern ertrugen wir stoisch die unerträgliche Länge des Films. Und man tanzte sich ’nen Wolf.

In den Achtzigern las man, wenn man kein Germanist war, Patrick Süskinds „Parfum“. Das Geruchsmonster Jean-Baptiste Grenouille wickelt frisch ermordete Jungfrauen in Wachstücher ein, um ihren Geruch zu erhaschen und hinterher eins seiner so verteufelt wohlriechenden Duftwässerchen daraus zu destillieren. Und wir fragten uns tatsächlich, was so einer wie Süskind wohl nachts träumte. / Und dann las man vielleicht noch Elfriede Jelineks „Klavierspielerin“, die mit der Rasierklinge an sich rumspielte, und die Unbarmherzigkeit, mit der die Autorin das und eigentlich alles andere auch erzählt, machte sie nicht gerade sympathisch. Dann schon lieber „Irre“ von Rainald Goetz, aber nicht weil er in Klagenfurt mit der Rasierklinge an sich herumspielte, sondern weil dieses Buch so verdreht ist wie die Psychiatriepatienten, um die es darin geht. Oder „Unter Null“ von Bret Easton Ellis, der das verchromte, verkokste, zombiehafte Neon-Jahrzehnt nicht nur im Titel wunderbar einfängt. Ellis beschreibt allein die Oberfläche, aber er tut das mit einer Leidenschaft, die das Leiden daran voraussetzt. Gleich gut, gleich kalt, gleich schnell und genauso moralistisch ist „Ein starker Abgang“ von Jay McInerney. Härter natürlich Charles Bukowski, dessen Jugenderinnerungen „Das Schlimmste kommt noch“ bei aller Roheit aber auch eine Zärtlichkeit und Sentimentalität offenbaren, die so suggestiv waren wie in keinem anderen Buch dieses Jahrzehnts. So wollte man auch schreiben. Damals. Oder wie Philippe Djian, dessen „Betty Blue“ sogar zur Wichsvorlage taugte.

In den Achtzigern gab es einen Maserati, der fuhr 210, und schwupps, die Polizei hat’s nicht gesehen. / In den Achtzigern tanzte das Cin-Cin-Ballett. Und wenn man hätte wählen können, dann die Zitrone. / Anschließend „Electric Blue“ oder einen dieser frühen Schwarzweißknaller von Russ Meyer.