Musketiere im Kunstbetrieb

Ignoriert von staatlicher Förderung, kritisch gegenüber den globalisierten Kunstmärkten: Junge französische Kunst rauft sich zusammen und schafft eigene, alternative Orte

Einer für alle, alle für einen: Man agiert gegen die Institutionen – doch nicht ohne sie

Der deutsch-französische Dialog in Sachen europäischer Kulturförderung zielt auf Repräsentation. Julian Nida-Rümelin und der französische Kulturminister Jean-Jacques Aillagon versicherten sich in Schwerin Ende Juli eines lebendigen Kulturaustausches – von den MacherInnen war kaum die Rede. In der europaweiten Spar- und Starpolitik wird auf der Jagd nach repräsentativen Events immer mehr Geld für immer weniger AkteurInnen ausgegeben. Die Weiterentwicklung von Infrastrukturen, die Förderung der Kunstpraxis, steht selten auf der Agenda, mit ihr lässt sich wenig Staat machen.

Gegen diesen Tunnelblick der Repräsentations-Kulturförderung kämpfen in Frankreich seit fünf bis sechs Jahren immer mehr KünstlerInnen gemeinsam an. Der Abschied vom Individualismus der Achtziger- und vom globalen Spiel der Neunzigerjahre ist in Frankreich Überlebensstrategie. Das Arbeitsfeld freier KünstlerInnen, das jährlich um etwa 10.000 KunstschulabsolventInnen bereichert wird, wird immer kleiner. Und das in einem Land, das sich immerhin im Jahre 2000 seine Kultur 11,43 Milliarden Euro hat kosten lassen. Die Mittel, die allein dem Kulturminister zur Verfügung stehen, sind seit 1997 konstant angewachsen auf heute 2,6 Milliarden Euro. Das Problem, so scheint es, ist nicht so sehr, dass gefördert wird, sondern was und wie gefördert wird. Anfang der Achtzigerjahre richtete man beispielsweise frankreichweit regionale Fonds für zeitgenössische Kunst (FRAC) ein. Heute sind das starke Institutionen mit teils beachtlichen Sammlungen. Umso besser, sollte man meinen, denn auf diese Weise wird der Nachwuchs gepflegt und die kulturelle Entwicklung von sachkundiger Hand gesteuert. Gerade die Steuerung entpuppte sich eher als Fluch denn als Segen.

„Die Kunstfunktionäre haben Angst, sich zu irren. Sie mögen kein Risiko, wollen hofiert werden von den Galerien, besonders von den großen“, der Kunstkritiker Jean-Luc Chalumeau kommt in seinem Bericht vom dritten Interdisziplinären Kongress zeitgenössischer Kunst in Nantes Ende letzten Jahres zu dem ernüchternden Ergebnis, dass es kaum noch Kommunikation gibt zwischen denen, die Kunst verwalten, und jenen, die sie herstellen. Es habe sich ein geschlossenes System gebildet, in dem Kunstfonds-Direktoren, Museumsleiter, Kritiker und Galeristen miteinander kungeln, was das Zeug hält. Zugang finde nur, wer lange grabe und biegsam sei.

Der Kongress in Nantes, der diese Situation mildern sollte, hat sie eher noch verschärft. Wütend und enttäuscht sahen sich international erfolgreiche KünstlerInnen wie Fabrice Hybert oder Elisabeth Lebovici der langue de bois, den hölzernen Argumenten unnahbarer Kulturfunktionäre gegenüber. Das wird auch von den Politikern gesehen: Aillagon beklagte in seiner Antrittspressekonferenz den Innovationsstau, die Selbstbezogenheit und die Geschlossenheit seines Ministeriums. Danach beteuerte er kurz seine „wachsame Aufmerksamkeit für die Situation der Kunstschaffenden“, um dann rasch zu den neuen Zielen zu kommen: Mäzenatentum, Kunstmarkt und „Kulturindustrie“. Mit Blick auf das internationale Geschehen wird Kulturförderung zum Steigbügelhalter für KünstlerInnen, mit denen möglichst „echt französische“ Kunst auf den Bullen des Kunstmarktes gehoben werden soll.

„Wer heute französische Kunst in die internationalen Märkte bringen will“, meint dazu Antoine Perrot, Künstler und ehrenamtlicher Präsident des „Komitees der Künstler, Autoren und Gestalter“ (www.caap.asso.fr), „isoliert die Künstler und arbeitet am Markt vorbei.“ KünstlerInnen, die sich auf den Schild gehoben finden, würden zwar bei der einen oder anderen Messe ausgestellt, oftmals blieben sie jedoch im Ausland unbekannt. Mit seiner von KünstlerInnen gegründeten Organisation vertritt Perrot deren soziale und rechtliche Interessen. Man will die Institutionen zu mehr Öffnung bewegen und die KünstlerInnen in die Lage versetzen, Distanz zum Betrieb zu gewinnen, um sich gegen Vereinnahmungen behaupten zu können.

Wie selbstständig die KünstlerInnen bereits arbeiten, zeigt der vor zwei Jahren neu formierte Salon zeitgenössischer Kunst, „Jeune création“ (jeune.creation.free.fr). Die Ausstellung begann sich zum beachteten Treffpunkt neuer europäischer Kunst zu entwickeln. Nur durch Willkür oder Ignoranz ist zu erklären, wieso plötzlich keine Ausstellungsräume mehr zur Verfügung gestellt werden. „Von offizieller Seite hat man uns immer gratuliert“, sagt Eric Valette, Präsident des Salons, „und uns versichert, dass sich die finanzielle Seite schon klären werde. Doch wenn es konkret wird, sind überall die Türen zu, und in der Verwaltung schiebt einer die Schuld dem andern zu.“ Das habe auch damit zu tun, dass selbst organisierte Arbeit in den Augen der Funktionäre nicht als „hohe Kunst“ gelte.

Bei „Jeune création“ findet man Arbeiten, die etwas abseits stehen vom gängigen Betrieb. Frische Arbeiten, teils sehr kritisch, teils noch unausgereift, immer aber von sehr hoher Qualität. Ein komplexes Auswahlsystem, bei dem einmal ausgestellte KünstlerInnen darüber befinden, was in die nächste Ausstellung kommt, schützt hier vor innerbetrieblicher Blindheit. Gezeigt wird, was aktuell bewegt, ganz auf der Höhe des aktuellen Diskurses der bildenden Kunst. Und genau diese Aktualität scheint das „eifersüchtige Amt“, wie Aillagon selbst sein Kulturministerium bezeichnet, nicht fördern zu wollen.

Darauf reagieren die KünstlerInnen mit Konföderation: Die FRAAP, jüngst gegründet, ist ein Verbund der Gruppen und Netzwerke (www.fraap.org), der Struktur in die Vielfalt bringen soll. Ein erster Workshop im kommenden Jahr soll AktivistInnen und PolitikerInnen zur Zusammenarbeit führen, Kräfte bündeln, Synergien nutzen.

Mit einem trotzigen „Einer für alle – alle für einen“ stellen sich Frankreichs KünstlerInnen gegen Ämterwillkür, Starkult und Globalvermarktung. Man agiert gegen die Institutionen, doch nicht ohne sie. Demokratisierung der Kulturförderung ist das Ziel – für mehr Transparenz im Dialog der Kulturen.

JENS EMIL SENEWALD