„Schlimmer als die Kita-Card“

Elternverein: Langes Reform der Kinderbetreuung ist ein Sparmodell. Alleinerziehende sind die VerlierInnen, aber auch alle anderen müssen um ihren Platz zittern. Sozialer Bedarf wird vernachlässigt. Budget differenziert nicht nach Stadtteilen

von KAIJA KUTTER

In der Kita-Politik überschlagen sich derzeit die Ereignisse. Nachdem Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) den angebotenen „Pakt für Kinder“ abgelehnt hat, will der SPD-Politiker Thomas Böwer weiter „aufklären und aufdecken, wie es meine Aufgabe als Opposition ist“. Beispielsweise über die Art, wie Lange den Kita-Bedarf herunterrechnet. Betrachtet man die zwei Jahre alte ISKA-Studie, so wird die von Lange am Donnerstag bejubelte Absenkung des Defizits von 16.700 auf 13.100 Plätze allein durch Senkung des sozialen Bedarfs um 3425 auf 4075 Plätze erreicht. Nach taz-Informationen kommen noch mal knapp 6000 Eltern hinzu, die zwar Anspruch auf einen Gutschein hätten, sich aber die Zuzahlung nicht leisten können. Insgesamt fehlen Hamburg damit 22.000 Plätze.

Gestern schlug der Elternverein „FamilienPower“ Alarm. Sein Fazit: Langes Gutschein-System ist noch viel schlimmer als die von Rot-Grün geplante Kita-Card. Diese sah nach sozialen Indikatoren verteilte Bugets für die Bezirke vor. Lange plant dagegen ein Riesenbudget für die ganze Stadt, das Wilhelmsburg genauso behandelt wie Blankenese und lediglich nach Krippen-, Hort- und Elementarbereich unterscheidet.

Die Anträge der Eltern kommen in eine große Wartelistentrommel, aus der einmal pro Monat gezogen wird. „Die Bezirke haben bei dieser Zentralisierung nicht mehr mitzureden. Den ‚kleinen Dienstweg‘ zwischen Sachbearbeiter und Kita-Leitung über Platzbelegung wird es nicht mehr geben“, sagt FamilienPower-Sprecher Matthias Taube.

Seine Horror-Vision: Hilfslose Eltern, die ihren Gutschein irgendwann bekommen, ihn aber dann nicht bei der Kita gegenüber einlösen können, weil andere schneller waren. Nicht eingelöste Gutscheine verfallen, und das Budget wird im Folgejahr um diesen Betrag abgeschmolzen. Taube: „Ein Sparmodell“.

Laut FamilienPower müssen auch weit mehr Eltern um den Platz fürchten als bisher angenommen. So gibt es nur für Kinder Berufstätiger eine „Anschlussbewilligung“. Alle anderen kommen auf den Prüfstand. Um deutlich zu machen, was die neuen „Bewilligungskriterien“ von Lange bedeuten, hat der Elternverein fünf Fallbeispiele konstruiert:

Fall 1: Eine allein erziehende Studentin hatte bisher erste Priorität. Will sie künftig für ihre 10-monatige Tochter einen Krippenplatz, konkurriert sie mit allen Berufstätigen um einen Krippengutschein, von denen es 6000 zu wenig gibt. Ein doppelt verdienendes Ehepaar, das ein zweites Kind bekommt, hat sogar bessere Chancen, weil Geschwisterkinder bevorzugt werden.

Fall 2: Ein Ehepaar mit zwei Kindern (4 und 7 Jahre) arbeitet bei der Post. Die Frau wird arbeitslos, muss dies beim Kita-Sachgebiet melden (andernfalls muss sie nachträglich den Vollsatz von 850 Euro zahlen). Folge: der 7-Jährige verliert den Hortplatz, der 4-Jährige muss auf einen 4-Stunden-Platz wechseln und gegebenfalls die Kita wechseln. Die Mutter steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung.

Fall 3: Ein Ehepaar bekommt ein zweites Kind, die Mutter will neun Monate Erziehungszeit nehmen. Der 4-jährige Bruder muss im neuen System wie im Fall 2 die Kita-Gruppe verlassen, und zwar sofort. Lediglich für Krippenkinder (also die Unter-Dreijährigen) gibt es Ausnahmen.

Fall 4: Eine Familie bezieht Sozialhilfe. Die zwei Söhne (4 und 7 Jahre) haben nach der alten Priorität drei – „Entwicklungsdefizit, besonderer Förderbedarf“ – einen Ganztagesplatz. Der ältere verliert den Platz, der jüngere wird auf 4 Stunden zurückgestuft. Wäre das Ehepaar suchtabhängig, kämen die Kinder auf Priorität 1 und könnten bleiben.

Fall 5: Beide Eltern sind berufstätig, das Kind geht in die Kita und soll ab August 2003 zur Schule. Bislang war hier eine „Anschlussbewilligung“ sicher. Künftig konkurrieren alle Schulkinder um die Hortgutscheine, von denen es selbst laut Behörde 4586 zu wenig gibt.

Wichtigste Forderung von FamilienPower ist die Beibehaltung der alten Platzhierarchie (siehe Kasten), die Alleinerziehende an die allererste Stelle setzt.