Great American Smokeout

In New York spitzt sich der Kulturkampf um die Zigaretten zu: Die Rauchverhinderer um Bürgermeister Michael Bloomberg siedeln sich auf der Heldenskala ganz oben an

Momentan sieht es so aus: Auf einem japanischen Psychedelic-Konzert in einem Hinterraum-Club in Williamsburg sieht man coole Männer mit Mütze über den Augen und schmale Jungs mit eckiger Brille, sieht man tätowierte Latinos mit MD-Recordern und Chips knabbernde Asiatinnen mit gefärbten Zöpfen, sieht man eigentlich alles – nur keine Raucher. Selbst auf psychedelischen Konzerten halten heute in New York mehr Menschen eine Digitalkamera als eine Zigarette in der Hand.

Das ist insofern eine gute Sache, als dass Rauchen ungesund ist. Lange wussten das die Amerikaner nicht, doch heute rauchen in New York nur noch zwei von zehn Einwohnern. Da diese zwei nicht ununterbrochen Glimmstengel in der Hand halten – zum einen, da das Rauchen seit 1995 in fast allen öffentlichen Gebäuden sowie Restaurants mit mehr als 35 Plätzen verboten ist, zum anderen, da ein Päckchen mittlerweile 7,50 Dollars kostet –, ist die intellektuelle Hauptstadt des Landes, nach europäischen Maßstäben, praktisch rauchfrei.

Bürgermeister Michael Bloomberg reicht das nicht. Der Mann, der einst selbst anderthalb Päckchen am Tag inhalierte und auf die Frage „Haben Sie je Marihuana geraucht?“ mit einem coolen „Darauf können Sie wetten. Und es war gut“ antwortete, hat sich zum Ritter der sauberen Lüfte entwickelt. Bisweilen fällt auch der Begriff „Smoke-Nazi“. Nachdem er im Sommer die städtische Tabaksteuer von 8 Cent auf 1,50 Dollar erhöhte (die zusätzlich zu den 1,50 Dollar nationale Steuer gezahlt werden), will Bloomberg noch in diesem Herbst ein Gesetz durchdrücken, das das Rauchen an den Arbeitsstätten der Stadt komplett verbietet – einschließlich aller Restaurants, Bars, Billardhallen, Privatklubs und sogar Straßencafés.

Als der Stadtrat im Oktober die erste öffentliche Anhörung zum Thema hatte, verteidigte Bloomberg das von ihm vorgeschlagene Verbot persönlich. Das zeigt die Priorität, die er der Angelegenheit zumisst, denn Bürgermeister schauen beim Stadtrat laut New York Times kaum öfter vorbei als der Komet Halley. Mitgebracht hatte er einen Wissenschaftler und einen Nobelpreisträger, die das Übel Rauch seriös in Zahlen übersetzen konnten, und ein sehr hübsches junges Barmädchen für den human factor: Asthma hat sie bekommen hinter der Bar, und ihr Baby, das sie noch im Bauch trägt, wird eine Frühgeburt werden. Wegen der Raucher.

„Kein Arbeiter dieser Stadt“, rief da Millionär Bloomberg in den Saal, „soll je sein Leben riskieren müssen, nur um seinen Job zu behalten!“ 10.000 New Yorker stürben jedes Jahr an den Folgen des Rauchens, darunter 1.000 Nichtraucher, die second-hand smoke ausgesetzt sind. Entsprechend klärte Bloomberg die Ratsmitglieder über ihre „historische Möglichkeit“ auf: „Wenn Sie das Gesetz verabschieden, können Sie sagen: Menschen werden leben, aufgrund von unserer Arbeit.“ Womit die Rauchverbieter auf der Heldenskala gleich hinter den Feuerwehrmännern stünden.

Auch die Gegenseite führt die Debatte als Kampf von Gut gegen Böse. An erster Stelle steht natürlich die Verteidigung der Bürgerrechte im „Land of the Free“, wo man sich weder Genuss noch Todesursache vom Staat diktieren lässt. Hinzu kommen ökonomische Argumente. Die Gastronomie hat seit dem 11. September sowieso zu kämpfen, und mit dem totalen Rauchverbot kämen noch weniger Gäste, prophezeit die Restaurant and Bar Association. Darunter litten vor allem die Immigranten, die in der Gastronomie ihre bescheidene Existenz verdienen: „Mr. Bloomberg, Sie wollen die Gesundheit der Arbeiter schützen, indem sie ihre Lebensgrundlage vernichten.“

Von ein Uhr mittags bis acht Uhr abends dauerte die erste öffentliche Anhörung, in der New Yorker in Drei-Minuten-Statements ihre Meinung kundtun durften, hübsch abwechselnd pro und contra. Die zweite Anhörung, die vergangene Woche stattfand, brachte keine neuen Argumente, aber auch noch keine Entscheidung. Die Öffentlichkeit ist gespalten; allerdings sind beide Lager sehr engagiert. Der Saal der City Hall musste bereits Stunden vor Beginn der Veranstaltungen wegen Überfüllung geschlossen werden.

Vor Menschenmengen ganz anderer Art warnen die Gastronomen. Wenn die Leute drinnen nicht mehr rauchen können, tun sie's vor der Tür, konstatierte ein Barbesitzer aus Staten Island nüchtern, was Ärger mit den Nachbarn vorprogrammiere. Bloomberg konterte deutlich: „Seien Sie sicher – unter meiner Administration gilt zero tolerance auch bei Herumlungern und Ruhestörung.“ Überhaupt hat Michael Bloomberg für alles eine Lösung. Finanzielle Einbußen, beruhigte er die Gastronomen, müssten sie nicht befürchten: „Wer nicht raucht, der trinkt mehr.“ Eine erfrischende Vorstellung. Schon für den morgigen „Great American Smokeout“-Tag, an dem „Millionen Amerikaner für einen Tag oder für immer“ das Rauchen aufgeben sollen: Michael, stell das Bier kalt! CHRISTIANE KÜHL