Verhältnis neu bestimmen

Heute beginnt zusammen mit dem 15. Filmhistorischen-Kongress von CineGraph eine Retrospektive im Metropolis: „Tonfilmfrieden/Tonfilmkrieg“, so der Titel, setzt sich mit Produktionen des Tobis-Konzerns aus der NS-Zeit auseinander

von TIM GALLWITZ

Die Geschichte der Einführung des Tonfilms ist auch eine Geschichte des Kampfs um Patente, Lizenzen und Märkte. Insofern ist der etwas martialische Titel „Tonfilmfrieden/Tonfilmkrieg“ des heute beginnenden 15. CineGraph-Kongresses mit einer begleitenden Filmreihe im Metropolis auch nicht als Slogan des Kongressmarktschreiers zu verstehen. Sondern er nimmt direkt Bezug auf den „Pariser Tonfilmfrieden“ vom Juli 1930, in dem die deutsche und die US-amerikanische Filmindustrie sich zum Interessenausgleich zusammenfanden. Krieg und Frieden sind darüberhinaus auch Kategorien, was Inhalt und Herstellungsjahr der Filme angeht, die einen Bogen von 1928 bis 1945 spannen.

Eröffnet wird der Kongress mit Die Koffer des Herrn O. F. (1931). Mit ihrem Überschwang und ihrer Ironie steht diese Komödie noch festen Fußes in der Weimarer Republik. Einer Krisenzeit zwar, die aber noch Friedenszeit ist. Dreizehn Koffer, die irrtümlich im Kaff Ostend ankommen, lösen dort einen beispiellosen Aufschwung aus. Peter Lorre schürt als Redakteur berechnend die Konjunkturhysterie, und Ostend erlebt Bau- und Babyboom.

Es sind die Koffer des Herrn O. F., die – gleich den Koffern des Herrn MacGuffin den Plot im Krimi – die Konjunktur im Kapitalismus vorantreiben. In Alexis Granowskys „Märchenspiel“ genanntem Film ist die Wirtschaft eine ebenso irrationale Veranstaltung, wie heute der Aktienmarkt in Bezug auf die Anlegerpsychologie.

Mit Spannung kann der Eröffnungsvortrag des israelischen Historikers Prof. Frank Stern erwartet werden, der sich der Frage stellt, wie heute mit Filmen aus der NS-Zeit umzugehen ist. Welche Möglichkeiten und Probleme ergeben sich zwischen Verbot und Vorführung, zwischen Zensur und ungeschnittener Präsentation? In der Diskussion dieser Frage ist die gesellschaftspolitische Relevanz des Kongresses zu sehen, der vielleicht Ausgangspunkt einer Neubestimmung im Verhältnis zum NS-Film sein kann. Denn müssen wir heute noch so viel Angst vor einem antibritischen Propagandafilm wie Ohm Krüger (1941) haben, dass seine Einstufung als Vorbehaltsfilm vonnöten ist? Die Anprangerung der britischen Kriegsführung gegen die Buren, als deren Höhepunkt der Film sich nicht scheut, britische Internierungslager als Konzentrationslager zu bezeichnen, ist unschwer als nazideutsche Projektion eigener Verbrechen zu erkennen.

Der besagte Vorbehalt verlangt, dass die Vorführung an eine Einführung zu koppeln ist. Doch stützt ein solcher Vorbehalt nicht eher des Bösen Faszination und produziert erst den Reiz des Verbotenen? Verstärkt er nicht die Macht der Bilder, der geschürten Ressentiments, die Sorge vor der eigenen Schaulust und Verführbarkeit? Denken wir, mit klugen einführenden Worten davor geschützt zu sein? Haben wir Furcht davor, dass neue Nazis die Vorstellungen für ihre Zwecke missbrauchen? Doch der Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen, ist den Faschisten schon mindestens ein Fußbreit zu viel nachgegeben. Denen ist immer und überall auf den Fuß zu treten. Und solche letztlich plumpen Propaganda-Vehikel wie Ohm Krüger oder Robert Koch, der Bekämpfer des Todes (1939) sind in ihrer Bildsprache und Erzählweise doch auch genau ihre 60 Jahre alt, atmen aus jeder Perforation schwarz-weiße Historizität.

Und was ist mit den nur vorgeblich unpolitischen NS-Unterhaltungsfilmen? Als so genannte Reprisen nach 1945 und nach oberflächlicher alliierter Zensur, die den Filmen zwar die Hakenkreuze nahm, ihnen ihre tief sitzende Ideologie aber beließ, wieder und wieder kommentarlos in Kino und TV durchgenudelt, sind sie kaum weniger problematisch.

In Altes Herz wird wieder jung (1942/43), einem handwerklich ordentlich gemachten Verwirrspiel von Erich Engel mit einem grandiosen Emil Jannings, ist der Krieg nur scheinbar abwesend. Die Beschwörung patriarchaler Machtverhältnisse angesichts der kriegsnotwendigen Mobilisierung von Frauen für den Arbeitsmarkt ist hier leitmotivisches Programm. Eingekleidet ist das in eine recht lustige Familienkomödie, die sich in ihrer Betulichkeit aber deutlich von der bissigen Verve von Die Koffer des Herrn O. F. unterscheidet.

Wieder von anderem Kaliber ist Wolfgang Staudtes Bürokraten-Köpenickiade Der Mann, dem man den Namen stahl (1944/45). Sowohl der Amtsschimmel als auch die kleine, bürgerliche Welt werden von Staudte als verstaubt und eng aufs Korn genommen. Wenn sich der Held entnervt der bürgerlichen Oberwelt ab- und der kriminellen Unterwelt zuwenden möchte und entsprechend als „Untermensch“ bezeichnet, wird spätestens klar, warum die zumeist flotte Satire die NS-Zensur nicht passieren konnte.

Eröffnung heute um 19.30 Uhr mit Vortrag von Prof. Frank Stern und Die Koffer des Herrn O.F.: heute, 19.30 Uhr; Altes Herz wird wieder jung (mit Diskussion): morgen, 17 Uhr; Melodie der Welt: Fr, 22.11., 17 Uhr; Robert Koch, der Bekämpfer des Todes: Fr, 22.11., 21.45 Uhr; Es leuchten die Sterne: Sa, 23.11., 16.30 Uhr; Der Mann, dem man den Namen stahl: Sa, 23.11., 19 Uhr; Die Tobis-Studiofilme: Sa, 23.11., 21.15 Uhr; Die Abenteuer des Königs Pausole: So, 24.11., 15 Uhr; Ohm Krüger: So, 24.11., 17 Uhr, Metropolis