Das Herz ist kein Muskel

Wenn im Film Organe wandern: Clint Eastwood, der erste schweigsame Held Hollywoods, gibt in „Blood Work“ einen alten Cop mit neuem Herzen. Der Actionfilm kommt damit im Subgenre des Transplantationsfilms an. Aber wo bleibt die Seele?

Der Transplantationsfilm ist Drama und Horrorfilm zugleich

von ANDREAS BUSCHE

Der Actionheld im Hollywood-Film steckt in einer schweren Identitätskrise. Wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit wirkt die Figur des urbanen Einzelkämpfers, unterworfen dem Diktat von Beschleunigung und Maskulinität, in völliger Ignoranz der Widersprüche, die er im Verhältnis zu seiner Umwelt darstellt. Ungebrochen in seinem Selbstverständnis als adrenalin- und testosterongesteuerter Dampfhammer (wie kürzlich Vin Diesel in „XXX“), ist er als Teilnehmer am 21. Jahrhundert kaum noch ernst zu nehmen. Antizipiert er diese Reaktion wiederum durch Selbstironie (wie es unter anderem in den letzten Bond-Filmen zu beobachten war), verkommt er fast zwangsläufig zu einem domestizierten Softie. Der Actionheld, ein Fall für die Couch?

Wenn Clint Eastwood in seinem neuen Film „Blood Work“ vor dem Spiegel steht und über die riesige Operationsnarbe, die sich vom Bauchnabel zur Brust zieht, tastet, scheint er nicht sich selbst zu berühren. Es ist nicht sein Herz, das unter dieser Narbe schlägt, sondern das einer jungen Mexikanerin. Ex-Cop Terry McCaleb weiß das, und die Erkenntnis, dass sie a) ermordet wurde und b) nun gewissermaßen in ihm ihre ewige Ruhe gefunden hat, ist irgendwie beunruhigend. Da steckt etwas in ihm, dass nicht das Seine ist, und es hält ihn am Leben. Der Motor des Lebens, der Sitz der Seele. Nur wessen?

Clint Eastwood war der erste der schweigsamen Helden Hollywoods, der die Gebrechlichkeit des Helden zum Thema seiner Filme gemacht und damit so etwas wie ein Subgenre des geriatrischen Actionfilms begründet hat. Ein (Sub-)Genre des Selbstzweifels. Mit der Überführung des Actionfilms in den „Transplantationsfilm“ hat Eastwood jetzt eine kongeniale Metapher für die Identitätskrise (nicht nur des Actionhelden) gefunden. Im „Transplantationsfilm“ ist diese Krise in erster Linie rein psychosomatischer Natur, oft auch nur eine Projektion der Hinterbliebenen des Spenders. Mit „Blood Work“ bekommt das Thema eine neue, eine psychopathologische Qualität. Der Organtausch ist hier Teil eines perfiden Plans, der McCaleb schließlich auf die Fährte eines alten Bekannten zurückführt. Der Killer, der vor Jahren McCalebs Leben rettete, fordert ihn zum zweiten Mal heraus.

In seinem Wesen ist der „Transplantationsfilm“ Drama und Horrorfilm zugleich. Das (auf rein psychologischen Prämissen beruhende) Drama, das vermeintliche Zentrum des Seins aus sich herausgerissen zu bekommen, und der blanke Horror, von etwas Fremden, einem Anderen, durchdrungen zu werden. Eine Transplantation ist wie eine obszöne Invasion in einen intimen Ort, den eigenen Körper, der – trotz aktueller Verwertungsrechtsfragen seitens der Medizin und Gentech-Industrie – immer noch einem selbst gehört: materiell und spirituell.

Die Transplantation stellt diese beiden Seinsformen, das Materielle und das Spirituelle, jedoch in Frage. Nach einem solchen Transformationsprozess ist der Körper nicht mehr Herr seiner selbst. Leonardo da Vincis menschliches Idealbild von der Einheit von Körper und Geist, das vollkommene Equilibrium, scheint durch den Eingriff empfindlich gestört. Und auch wenn Descartes das Herz als Pumpe beschrieben und das Zentrum des menschlichen Empfindens im Gehirn verortet hat, ist der Mensch in seiner Verletzlichkeit und Sentimentalität bis heute dem archaischen Bewusstseinsverständnis verhaftet geblieben. Das Kino, die Bildermaschine des Unbewussten, hat dieses Trauma, allem Rationalismus zum Trotz, seit je bedient.

„Orlacs Hände“ (1924), Robert Wienes Expressionismus-Klassiker, war einer der ersten Filme, der das Transplantationsthema aufgriff. Im amerikanischen Remake von 1960 spielt Mel Ferrer den Wunderpianisten Orlac mit manischem Blick. Nach einem schweren Unfall verfolgt ihn die Wahnvorstellung, dass die Ärzte ihm die Hände eines Serienmörders transplantiert hätten. Die psychischen Veränderungen, die in er infolge dessen durchmacht, werden von düsteren Visionen begleitet, langsam driftet er in die Halbwelt ab. Die Polizei kann ihn schließlich davon überzeugen, dass seine Hände unschuldig sind, genauso wie er selbst.

Das Kino hat das Spiel mit dem Identitätsverlust weiter getrieben, am abgründigsten wohl in dem englischen Film „Heart – Jeder kann sein Herz verlieren“ von Charles McDougall. Nicht nur, dass Christopher Ecclestone nach einem Herzanfall das Herz eines Teenagers verpflanzt wird, die überlebenswichtigen Blutreserven stammen obendrein vom Liebhaber seiner Frau. Dieses Erlebnis verquickt die Schicksale einiger Menschen für einen kurzen Zeitraum miteinander, aber es ist weniger das Trauma der materiellen Inbesitznahme des Körpers, das die menschliche Krise heraufbeschwört, sondern die Obsession der Mutter des toten Jungen.

Die Kontaktaufnahme mit dem Organempfänger ist eine obsessive Übersprungshandlung der Hinterbliebenen, in der die Konsequenz des Descart’schen Denkens nicht verwunden scheint. In „Blood Work“ appelliert die Schwester der Ermordeten an McCalebs Gewissen, zumindest den Täter zu finden, dem er sozusagen sein Überleben verdankt. In Pedro Almodóvars „Alles über meine Mutter“ bleibt es bei einem zaghaften Versuch der Kontaktaufnahme der Mutter mit dem Empfänger. Das Transplantationsthema durchzieht Almodóvars Drama wie eine bittersüße Melodie. Die Mutter des Jungen arbeitet in einer Klinik, die auf Organtransplantationen spezialisiert ist. Der Prozess der Transplantation bleibt eher mittelbar in den Leben der einzelnen Figuren und in der Art, wie Almodóvar ihre Schicksale erzählt und sie voneinander abhängig macht.

In „Heart“ nehmen die Projektionsfantasien psychopathologische Ausmaße an. Gray und die Mutter beginnen, in einer Art symbiotischer Beziehung zu leben. Ihre sanften Berührungen von Garys Körper haben etwas völlig Asexuelles, sind eher die Liebkosungen einer Mutter, Identitätskrise und Realitätsverlust folgen.

Eastwoods Variation des Transplantationsthemas ist eine interessante Wendung in seiner Selbstinszenierungsmarotte vom in die Jahre gekommenen Helden (von Don Siegels „The Beguiled“ über „In The Line of Fire“ bis „Space Cowboys“). Als alter, sentimentaler Knochen, der er nun mal ist, interessiert sich Eastwood mit „Blood Work“ mehr für die moralischen und emotionalen Implikationen einer solchen Ausnahmesituation. Es ist schon ein Spaß, ihm beim Altwerden zuzugucken. Auch weil er im Herzen immer der Dirty Harry mit der 57er Magnum sein wird. Psychosomatik? Eastwood bleibt Pragmatiker. Als ihn sein mexikanischer Kollege mit „Just because you got a Mexican's heart doesn't mean you're one of us!“ anblafft, ist es wieder der alte Harry Calahan, der antwortet: „I prefer the hard line.“

„Blood Work“. Regie: Clint Eastwood. Mit Clint Eastwood, Anjelica Huston, Jeff Daniels u. a. USA 2002, 108 Min.