Deine Spielkiste gehört dir

Linux-Hacker stehen kurz davor, aus Microsofts Spielekonsole „Xbox“ auch für Laien wieder den universal nutzbaren PC zu machen, der sie eigentlich ist. Vielleicht lässt sie sich dann besser verkaufen

von STEPHAN SCHMITT

Der Pinguin heißt „Tux“, und er kriegt sie alle. Der Ehrgeiz der Linux-Bastler ist grenzenlos. Wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis das alternative Betriebssystem auf allem läuft, was einen Prozessor besitzt, gleich ob Staubsauger oder TV-Gerät. Jüngstes Objekt ist Microsofts Videospielkonsole „Xbox“: ein Meilenstein des Hacktivismus.

„Wir sind kein klassisches Open-Source-, sondern ein Hackerprojekt“, stellt Michael Steil fest, Koordinator des Xbox-Linux-Projekts. „Wir wollen, dass die Leute, die für einen kompletten PC bezahlt haben, diesen auch so nutzen können.“ Xbox, Linux, Hacker, Microsoft, eine Mission: Das alles wird verständlicher, wenn man einen Blick in die schwarze Plastikkiste mit dem giftgrünen „X“-Logo wirft: Außen Daddelspielzeug, innen ein PC: Celeron-Prozessor, Nvidia-Grafikkarte, Ethernet-Anschluss, DVD-Laufwerk und Festplatte. Nur ist die Xbox, die übrigens mit einer abgespeckten Version von Windows 2000 läuft, anders programmiert als ein PC. Sie erlaubt nur Videospiele. Selbst für das Abspielen von DVD-Filmen muss ein zusätzliches Playback-Kit erworben werden.

Auch Microsofts Netzwerk-Option lässt sich nur mit einem Abo für den Onlinedienst „Xbox Live“ nutzen. Kontrollverlust des Nutzers, nicht ausgeschöpftes technisches Potenzial – klar, dass die Xbox ein rotes Tuch für Bastler und Hacker ist. Michael Steil, der sich das Spielzeug im April gekauft hat, ist einer von ihnen: „Ich habe vom ersten Tag an daran herumgebastelt.“

Der 23-jährige Informatikstudent aus der Nähe von München stellte umgehend eine Website ins Netz: Man müsste nur ein anderes Betriebssystem aufspielen, dann hätte man die Kontrolle über alle Funktionen der Xbox. Diese Idee hatten auch andere. E-Mails aus aller Welt erreichten Steil, unter anderem von Steve, der eine eigene Firma im Silicon Valley hat. Von Andy aus England, Entwickler und passionierter Hardwarebastler. Von Milosch aus Berlin, der als freier Programmierer Betriebssysteme in- und auswendig kennt. Von Bunnie aus Massachusetts, der gerade sein MIT-Studium abgeschlossen hat.

Inzwischen bildet ein Dutzend Entwickler den harten Kern des Projekts, und rund hundert Mitstreiter steuern lose Ideen, Kritik oder kleinere Arbeiten bei. Schiere Neugier treibt sie an und eben die Idee, dem Nutzer unumschränkte Kontrolle einzuräumen. „It's your box!“, wie Projektmitglied Andy Green es in Sloganform brachte.

Eine Gratwanderung zwischen unschuldiger Bastelei und schwer bestrafter Urheberrechtsverletzung. Es sei, findet Michael Steil, „schon sehr aufregend, – in Anführungszeichen – gegen Microsoft zu arbeiten. Immerhin geht es darum, ein Sicherheitssystem des größten Softwarehauses der Welt außer Kraft zu setzen.“ Nur eine Ausnahme im US-amerikanischen Urheberechtsgesetz schützt die Hacker vor den Anwälten aus Redmond. Grundsätzlich ist zwar das „Reverse Engineering“, das Rückentwickeln und Verändern von Geräten und Software, in den USA durch den Digital Millennium Copyright Act (DMCA) verboten, dem sich auch die EU anpasst. Ausnahmsweise erlaubt ist jedoch, was der so genannten Interoperabilität dient, etwa der Implementierung von Betriebssystemen, die der Hersteller nicht unterstützt.

Preisgeld

Um nicht in eine Grauzone zu geraten, lehnt das Projekt Insiderwissen und raubkopierte Entwicklersoftware ab. Trotzdem beobachtet Milosch Meriac: „Für die Amis im Projekt ist das eine ziemlich wacklige Sache, sich da zu engagieren.“

Wenn da nicht dieser Wettbewerb wäre: 200.000 US-Dollar, das größte Preisgeld in der Open-Source-Geschichte, hat ein anonymer Spender für die beste Linux-Portierung der Xbox ausgeschrieben, die bis Silvester verwirklicht ist. Der Preis ist aufgeteilt auf verschiedene Unteraufgaben, die wichtigste davon ist noch ungelöst: Linux soll auf Xboxen laufen, deren Hardware nicht manipuliert wurde.

Bislang ist nämlich ein so genannter Modchip nötig. Modchips sind vom Hersteller nicht genehmigte Zusatzbauteile, die Drittanbieter meist aus Fernost an der Grenze zur Illegalität entwickeln und vertreiben. Sie machen den Einsatz von Importspielen oder auch von raubkopierter Software nach demselben Prinzip möglich, das sich das Xbox-Linux-Projekt zunutze macht: Microsofts Sicherheitsmechanismus wird außer Kraft gesetzt. Modchips haben außerhalb von Hardcore-Spieler-Kreisen kein gutes Image, nicht zuletzt, weil man sie bis vor kurzem eigenhändig in die Konsole hineinlöten musste. Durch den Einbau fremder Hardware verfällt aber der Garantieanspruch.

Das Angewiesensein auf obskure Hardware-Tunings hindert das Xbox-Linux-Projekt noch daran, seine möglichen Breitenwirkung zu entfalten. Die Website (xbox-linux.sourceforge.net/) zählt bisher runde 40.000 Downloads. Selbst wenn alle Runterlader das Betriebssystem auch auf ihren Boxen installiert haben sollten, wären sie eine kleine Minderheit der weltweit 7 bis 8 Millionen Xbox-Besitzer.

Hacker Milosch träumt indes schon von Xbox-Linux für die Massen: „Ich denke an die Möglichkeit, Themen-CDs zu erstellen.“ Praktisch jede Software für Linux (Office-Paket, Grafikprogramm, Medienspieler, Webbrowser oder E-Mail-Client) könnte mitsamt Linux und Benutzeroberflche auf CD gebrannt und so simpel wie ein Videospiel gestartet werden. USB-Adapter für Tastaturen, Mäuse und Monitoren gibt es bereits.

Stille Partner

Die Daddelbox im Wohnzimmer als Low-Cost-PC? Microsoft hält sich bislang bedeckt. „Wir haben von denen noch nichts gehört“, bestätigt Steil, der immer wieder betont, Xbox-Linux stehe nicht in Feindschaft zum Bill-Gates-Konzern wie so viele andere Open-Source-Projekte. Und wie um es zu beweisen, erzählt er von seiner ganz persönlichen fixen Idee: „Vielleicht steht ja eines Tages ein Xbox-Linux in den Elektronikmärkten der Republik einträchtig im Regal neben Spieletiteln wie ‚Munch's Oddysee‘, ‚Project Gotham Racing‘ oder ‚Halo‘ in der gleichen grünen DVD-Hülle, in der die Spiele mit offizieller Microsoft-Lizenz verpackt sind.“

Noch braucht sich Microsoft um seine Xbox-Hacker ohnehin nicht zu kümmern. Aber selbst eine ohne Modchip lauffähige Version könnte der Firma in Redmond gar nicht so unwillkommen sein. Denn der Linux-Hack dürfte der bislang eher schwer verkäuflichen Box einen richtigen Schub im nächsten Weihnachtsgeschäft bescheren. Schließlich ist jede zusätzlich einsetzbare Software im heißen Konsolenkrieg zwischen Neuling Microsoft, Kinderliebling Nintendo und Marktführer Sony ein zusätzliches Kaufargument.

Allerdings setzt dieses Szenario voraus, dass die etwas mündiger gewordenen Konsumenten trotz Xbox-Linux auch brav weiter Videospiele kaufen. Denn die Xbox ist ein typisches Subventionsprodukt, dessen Hardware unter Produktionspreis auf den Markt geworfen wird, um mit den Spielen ein Geschäft zu machen, die nur darauf laufen. Auf deren Verkauf ist Microsoft mehr denn je angewiesen. Der Ladenpreis hat sich fast halbiert seit der Einfhrung der Xbox. Schon damals, so schätzten Analysten, legte Gates rund 100 Euro pro Konsole drauf. cerlin@gmx.de