Rumänische Rhapsodien

Out of Clejani: Die Taraf de Haidouks sind so etwas wie der Buena Vista Social Club der Balkanmusik. Engagements von Paris bis Hollywood tragen dazu bei, die Tradition ihres Dorfes am Leben zu halten

von DANIEL BAX

Die Band-Chronik ist reich an denkwürdigen Daten. Besonders gerne erinnert sich Akkordeonist Ionel Manole, genannt Ionitsa, an die Einladung von Johnny Depp in dessen „Viper Club“ in Los Angeles. „Ich wusste gar nicht so genau, wer er ist“, gesteht Ionitsa. „Aber als ich die vielen Leute sah, die vor seinem Club standen und seinen Namen riefen, da wurde mir klar, dass er wohl eine große Nummer sein muss“. Aufmerksam geworden war der US-Schauspieler auf die Taraf de Haidouks durch jene Stücke, die das rumänische Roma-Ensemble zum Film „The Man Who Cried“ beisteuerte, in dem er selbst eine Hauptrolle gespielt hatte. Flugs heuerte er die 13-köpfige Truppe an, um sie vor versammelter Hollywood-Prominenz aufspielen zu lassen. „Johnny Depp hat uns persönlich die Drinks gebracht“, grinst Ionitsa. „Daran kann man ja sehen, wer die eigentlichen Stars des Abends waren.“

Einen weiteren Höhepunkt ihrer Karriere markierte auch ihr erstes offizielles Konzert in der rumänischen Hauptstadt. In einem alten Theater mitten im Stadtzentrum spielten die Taraf de Haidouks im Dezember 2000 an drei Abenden vor vollem Haus ihr viertes Album „Band of Gypsies“ ein. Doch obschon das international gefeierte Roma-Ensemble in den vergangenen zehn Jahren schon in den meisten Metropolen der Welt gastiert hat, von Tokio über London bis Buenos Aires, geriet die Live-Aufnahme in Bukarest zu einer Premiere mit Hindernissen. „Wir wurden regelrecht sabotiert“, ärgert sich Michel Winter, der Manager und Übersetzer der Gruppe, noch heute über die vielen Pannen und Schikanen der Verantwortlichen. In der Heimat der Taraf de Haidouks versteht man eben nicht so recht, was alle Welt nur an diesem vielköpfigen Zigeunerhaufen aus der Walachei findet, und warum man diesen Dorfmusikanten eine solche Bühne bereiten sollte.

Gallier der Walachei

Aus der Walachei, genauer gesagt aus dem Dorf Clejani, stammt das erfolgreichsten Roma-Ensemble der Welt, das sich zu einer Art Buena Vista Social Club des Balkans gemausert hat. Die Siedlung liegt nur eine gute Autostunde, aber doch eine halbe Welt von Bukarest entfernt, wo noch sich im Schatten windschiefer Häuser noch Traktoren und Pferdekutschen gute Nacht sagen. Alle Musiker wohnen dort in der gleichen Straße, die keinen Asphalt kennt, und gehen einem Beruf nach, der in dieser Form vielleicht schon ausgestorben wäre, hätten nicht zwei Belgier kurz nach dem Fall des Ceauçescu-Regimes ein wenig Schicksal gespielt. Die beiden Enthusiasten Michel Winter und Stéphane Caro hatten durch ältere Plattenaufnahmen von jenem sagenhaften rumänischen 3.000-Seelen-Dorf gehört, in dem 300 professionelle Musiker leben sollten. Also machten sie sich im Wendejahr 1989 auf, das wundersame Dorf zu suchen, und wurden fündig. „Clejani ist einzigartig – nicht nur in Rumänien, sondern in der ganzen Welt“, ist Michel Winter, einer der beiden belgischen Entdecker, noch immer überzeugt. „Es ist ein gallisches Dorf, wie das von Asterix. Es sind Leute, die dich seit Generationen kennen und keilen. Und die gemeinsam spielen, weil sie keine andere Wahl haben.“

In Rumänien war Clejani zumindest Kennern schon früher ein Begriff. Als Fürstentum einst unter osmanischer Herrschaft, hat sich in der Walachei die orientalisch gefärbte Tradition der Taraf-Kapellen herausgebildet, deren Erbe die Dorfmusiker der Region über Generationen bis heute am Leben gehalten haben. Noch heute verfügt hier jedes Dorf über sein eigenes Taraf-Ensemble. Speziell aber den Virtuosen von Clejani haben rumänische Musikethnologen schon so manches Buch und manche Feldaufnahme gewidmet. Doch erst die Ankunft der beiden seltsamen Belgier brachte dem Dorf weltweite Beachtung.

Seitdem können sich die Taraf-Mitglieder von Touren und Tantiemen schon mal ein neues Auto leisten oder gar ein Haus bauen. Mit seinem Film „Gadjo Dilo“, der Geschichte einer romantischen Suche auf den Spuren einer alten Tonaufnahme, hat der Tony Gatlif dieser wahren Begebenheit ein kleines Denkmal gesetzt. Der Gründungsakt der Taraf de Haidouks dürfte allerdings etwas profaner abgelaufen sein, eher wie eine Art Casting: Aus den vielen Musikern des Ortes wählten die ausländischen Talentscouts Winter und Caro ein gutes Dutzend Charakterköpfe aus, das ihnen für ihr Projekt einer Art All-Star-Band am geeignetsten erschien. „Am Anfang haben 300 Leute mit ihrem Pass gewunken“, gibt Michel Winter zu. „Aber mittlerweile hat sich das eingependelt.“ Dass die Gruppe bis heute zusammengehalten hat, spricht für das glückliche Händchen ihrer Erfinder. Mit dem Geiger Neacsu Neculae ist zwar kürzlich das erste Gründungsmitglied verstorben, und ein paar Veteranen haben das anstrengende Touren aus Altersgründen aufgegeben. Doch sonst existiert die Gruppe noch weitgehend in ihrer ursprünglichen Besetzung.

Sieg der Synthies

Mit ihrem Erfolg haben die Taraf de Haidouks ein besseres Los gezogen als die vielen anderen Lautari-Ensembles ihres Landes, die wie eh und je zu Hochzeiten, Kindstaufen und Begräbnissen angeheuert werden. Dort spielen auch die Mannen um Ionitsa gelegentlich noch auf. Doch auf den Dörfern ist anstelle jener handgemachten Klänge, mit denen die Taraf de Haidouks auf den Bühnen der Welt gefeiert werden, längst der Synthesizer in Mode gekommen. „Die Lautari sind gezwungen, sich an die Wünsche ihrer Auftraggeber anzupassen. Das heißt nicht, dass sie schlechte Musiker sind – auch wenn ihre Musik oft als minderwertig abqualifiziert wird“, verteidigt Ionitsa den Ruf seiner Kollegen.

Die Siegeszug des Synthesizers spiegelt auch die ökonomische Situation in Rumänien wieder. „Zu den Zeiten von Ceauçescu hatten die Leute Geld“, erinnert sich Michel Winter. „Sie konnten sich zwar nichts davon kaufen, weil es in den Läden nichts gab. Aber sie konnten große Hochzeiten veranstalten und fünfzehn Musiker engagieren, für morgens und abends. Heute dagegen kann man in den Läden alles finden, aber die Leute haben kein Geld mehr. Auch nicht, um sich für ihre Hochzeiten fünfzehn Musiker zu mieten.“ Winter sieht darin auch eine Verarmung der Musik, erlaubt der Synthesizer doch nur begrenzte Ausdrucksmöglichkeiten. „Es ist paradox“, hat Winter erkannt: „Aber es ist das westliche Publikum, das hilft, die Tradition von Clejani zu konservieren.“

Akkordeon im Angebot

Obwohl auch die Kinder von Clejani noch heute das Handwerk ihrer Eltern erlernen, bleibt die Zukunft dieser Musik ungewiss: Sie hängt auch von der Nachfrage im Ausland ab. „Es gibt auch Familien, die sagen: ‚Warum soll unserer Sohn ein Instrument erlernen, wenn es keine Arbeit für ihn gibt‘ “, berichtet Ionitsa. „Ich habe das in der Familie von Ilie Iorga gesehen. Er hat zwei Enkel, denen er versucht hat das Geigenspiel beizubringen. Aber der Ältere ist jetzt 18 Jahre alt, und er sagt: ‚Warum soll ich fünf Stunden am Tag Geige üben, wenn ich keinen Pfennig in der Tasche habe?‘ “ Die Taraf de Haidouk bieten schließlich nicht genug Arbeit für das ganze Dorf. Meist ernährt die Arbeit eines Musikers seine ganze Familie, und die ist häufig recht groß. Dass die Mitglieder der Taraf de Haidouks nach ihren Konzerten gerne auf offener Bühne noch ein paar ihre Instrumente verscherbeln, ist deswegen mehr als nur ein Gag.

Trotzdem gelten die Taraf de Haidouks als Erfolgsmodell und haben in den letzten Jahren schon manche Nachfolger gefunden. Nach den Lautari aus der Walachei waren es vor allem Roma-Blaskapellen wie die furiosen Fanfare Ciocarlia aus Moldawien, die sich im Westen ein Publikum erobern konnten. Auch dieser Gruppe ist mit der Dokumentation „Brass on Fire“ des Regisseurs Ralf Marschhalleck kürzlich ein filmisches Andenken gewidmet worden, das aber leider nicht an die Klasse der Hommage von Tony Gatlif heranreicht. Das gern gebrauchte Etikett „Zigeunermusik“, das durch solche Ensembles wieder zum Prädikat erhoben worden ist, besitzt dennoch eine gewisse Beliebigkeit, wie Michel Winter bemerkt: „Die musique tsigane ist kein bestimmtes Genre“, betont er. „Der Ausdruck bezeichnet eher eine bestimmte Art zu spielen. Die Taraf de Haidouks spielen rumänische Musik, aber auf ihre ganz eigene Art und Weise: wild und mit viel Raum für Improvisation.“

Davon kann man sich bei ihren Konzerten überzeugen, und besser noch danach. Nicht selten spielen die Kapelle in der Garderobe einfach weiter, oder sie zieht spontan in die nächste Fußgängerzone. So wie bei ihrem letzten Deutschland-Konzert im August am Rande der documenta in Kassel: Da spielten die Hälfte der Mannschaft hinter dem Festivalzelt, in dem sie gerade ihren Auftritt absolviert hatten, einfach noch weiter bis spät in die Nacht, bevor man gemeinsam im Band-Bus wieder Richtung Hotel zuckelte.

Konzerte: 23. 11. München, 24. 11. Frankfurt, 27. 11. Hamburg