Das verflixte vierte Jahr

Der Familiensoziologe Hartmut Esser weiß, wie man den Partner fürs Leben findet – und ihn auch behält. Bloß: Das ist so unromantisch

Liebe ist vorhersehbar, auf diese unromantischen Punkt ließen sich die Ansichten von Hartmut Esser (kl. Foto) zuspitzen. Denn es sind gemeinsam verbrachte Freizeit und gemeinsame Freunde, die das Gefühl der Zuneigung und Zusammengehörigkeit von zwei Menschen, vulgo Liebe, bekräftigen und stets aufs Neue begründen, das erklärt der Famili ensoziologe und Professor an der Universität Mannheim heute Mittag in Oldenburg und vorab im Interview. taz: Herr Esser, lügen die Menschen, wenn sie sich vor dem Standesamt Treue bis zum Tod schwören?

Hartmut Esser: Nee, überhaupt nicht. Die meinen das tatsächlich ernst.

Aber die Scheidungsraten steigen ungebrochen.

Ja, rund 30 Prozent aller Ehen werden irgendwann geschieden. Besonders anfällig ist das verflixte vierte Jahr. Da ist das Scheidungsrisiko am höchsten. Aber viele Ehen halten tatsächlich noch bis zum Ende.

Woran gehen die Beziehungen heutzutage kaputt?

Man kann das gut mit Grippeviren vergleichen: Es gibt eine Teilpopulation, die völlig resistent gegen alle Versuchungen ist. Und es gibt eine, die nicht resistent ist. Die brauchen dann ein starkes Immunsystem. Leider steigen mit zunehmender Modernisierung und Urbanisierung auch die Anzahl der Viren. Es gibt einfach immer mehr Verlockungen. Dazu kommt, dass die Partner nicht mehr wie früher wirtschaftlich voneinander abhängig sind. So gibt es nur noch ein Band, das die Partner zusammen hält: Expression und Affektversorgung – „Liebe“ könnte man das nennen. Und wenn die leidet, geht die Beziehung kaputt.

Mit welchen Vitaminen kann man sich denn am besten gegen diese Viren schützen ?

Das Hauptvitamin sind gemeinsame Freunde und gemeinsam verbrachte Freizeit. Da helfen keine Familie, keine wechselseitige Abhängigkeit, keine Religionen oder andere Werte – nur Freunde und gemeinsame Zeit. Sich immer wieder wechselseitig als Paar zu definieren, hält Ehen wirklich zusammen. Nur sind gemeinsame Aktivitäten und Hobbys heutzutage technisch immer weniger möglich. Der Grund liegt in der Mobilität, die von der Gesellschaft gefordert wird. Arbeitsplatzwechsel und häufige Abwesenheit sind einfach Gift für die Beziehung.

Wer wird der Partner fürs Leben?

Man heiratet niemanden, der völlig unbekannt ist. Man muss wenigstens ein bisschen was von ihm wissen. Am besten ist es, wenn der oder die Auserwählten im Freundschaftsnetzwerk irgendwie schon mal aufgetaucht sind.

Also gesellt sich gleich und gleich wirklich gerne?

Homogamie, also die Gleichartigkeit zweier Partner in Bezug auf Alter, Klasse, Bildung und vor allem Wertvorstellungen, ist eine der wichtigsten Bedingungen, dass man jemanden mag. Das hat es früher mit der Religion auch schon gegeben. Heute ist das genauso, es nehmen nur die Arten zu. Wichtig sind politische und Bildungshomogamie oder die über persönliche Lebensstile. Ich will mich ja zu Hause nicht ständig über grundlegende Fragen meiner Lebensüberzeugung streiten müssen.

Das durchschnittliche Heiratsalter ist in den letzten 50 Jahren von 20 auf 30 gestiegen. Wie hoch wird es denn noch werden?

Das ist schwer zu sagen. Da aber die Ausbildungsphasen immer länger werden, schiebt man die Heiratspläne eben vor sich her. Beim Kinderkriegen ist es genauso. Es ist nicht so, dass die Leute Kinderunwilliger sind. Die biologische Uhr verhindert aber das dritte oder vierte Kind. Wenn sich also die Ausbildungs- und Unsicherheitsphasen weiter verlängern, wird auch das Heiratsalter zunehmen. Das ist auch einer der Gründe, warum es immer weniger Hochzeiten, aber immer mehr nichteheliche Lebensgemeinschaften gibt.

Sehen Sie da eine unterschiedliche Qualität zwischen ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften?

Ja, in gewisser Weise schon. Obwohl es sich mittlerweile anzugleichen scheint. Aber eine Heirat ist mindestens eine Demonstration nach außen. „Bis dass der Tod uns scheidet“ versprechen sie sich immerhin. Bei den anderen gilt schon noch der Vorbehalt, dass das so nicht gemeint ist.

Verändert sich in der Ernsthaftigkeit etwas, wenn man heiratet?

Umgekehrt. Die meisten heiraten, wenn es ernst wird. Wenn sie Kinder kriegen und es wirklich um die Wurst geht. Da wollen sie sich auf etwas Externes verlassen können.

Interview: Ole Rosenbohm

Heute um 14 Uhr spricht Hartmut Esser im Hörsaalzentrum der Oldenburger Uni über Paare und ihre Freunde.