Aktivist eines reichen Lebens

Rosa von Praunheim wird gern auf die Rolle des Schrillmeisters der Schwulenbewegung festgelegt. Dabei ergeben seine Filme eine alternative Chronik des 20. Jahrhunderts: als Jahrhundert der Diversität, der großen Vermischungen und Austauschbewegungen. Am Montag wird er sechzig

von MANFRED HERMES

Dem Selbstdarsteller steht es gut, die Vorwürfe seiner Kritiker durch Einnahme auszuhebeln. Wenn es hart auf hart kommt, reitet Rosa von Praunheim diese Taktik perfekt. Die Zeiten, in denen seine Aids-Trilogie (1991) entstand, waren hart genug, und also stellte er sich den Einwänden von Phil Zwickler: „Ich weiß, was Praunheim will. Er will wahrscheinlich, dass ich vor laufender Kamera sterbe. Van Praanhähm Presents Dead AIDS Victim.“

Der ausbeuterische Praunheim, der nervende Praunheim, der anmaßende Praunheim, die „Profilneurose“ auf zwei Beinen, der „selbst ernannte Papst der Schwulenbewegung“ – in diesen Negativen hat sich die Auseinandersetzung mit Praunheim immer wieder abgebildet. Er selbst hat es so gewollt und alles noch mal in die erste Person übernommen: Ich nerve, ich denunziere, ich bin kämpferisch, kreativ und mutig und der größte Dilettant zwischen Himmel und Hölle.

So weit, so gut. Aber man kann auch behaupten, dass sich „Rosa von Praunheim“ wie ein Schatten über seine Filme legt. Nur so ist zu erklären, dass er nach wie vor als Schrillmeister und schwuler Pamphletist, nicht aber als politischer Künstler gilt – ein Prestige, von dem die Farockis und Bitomskys dieser Welt immer noch zehren. Trotzdem arbeitet er unverdrossen und unter jeder sich bietenden Bedingung weiter, und da der runde Geburtstag ansteht, gibt es die Gelegenheit, einiges zu revidieren.

In den letzten Jahren ist Praunheim zu seinen Verhältnissen der Siebzigerjahre zurückgekehrt und dreht wieder deutlich mehr Dokumentar- als Spielfilme. „Wunderbares Wrodow“, „Tunten lügen nicht“ und aktuell „Kühe vom Nebel geschwängert“, eine Zusammenarbeit mit dem Obdachlosentheater Ratten 07, sind die „schmutzigen“ kleinen Filme, in denen vieles auf eine gute Weise beim Alten bleibt: Präzision und Behutsamkeit, die sich mit Schlampigkeit kaschiert, die unermüdliche Suche nach der menschlichen Ausdrucksfähigkeit, nach neuen Kommunikations- und Gemeinschaftsformen.

Das war im Grunde ja schon die Botschaft, die er den Schwulen mit „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ (1970) hinter die Ohren schreiben wollte. Versucht erst gar nicht, möglichst lieb zu sein und dieses pathologische Konstrukt Familie zu imitieren. Macht eure unterdrückte Position zum Hebel der Veränderung und findet Formen des Zusammenlebens, die besser passen.

Die großen Gegner auf diesem Weg heißen bei Praunheim bis heute Isolation, Ängstlichkeit und Sehnsucht nach billiger Gemütlichkeit. Manchmal, wie in „Der 24. Stock“ (1978), hat er auch sie zu Wort kommen lassen, die angenagelten Existenzen, die ältlichen Nachbarn seiner Mutter im Frankfurter Hochhaus, die in der Einsamkeit ihrer Wohnungen mit Himmelsblick nur noch ihre stillen Fanatismen kultivierten. Doch am Anfang ließ er eine ältere Frau in einem wehenden Kleid auf einem Dach über Frankfurt tanzen, als ein Bild der Hoffnung, dass einem, wenn man nur will, die Gestaltungs- und Ausdruckskräfte bis zu seinem letzten Atemzug zur Verfügung stehen.

In diesem Sinn muss man auch „Tally Brown“ (1979), „Affengeil“ (1990) mit Lotti Huber oder „Dolly, Lotte und Maria“ (1987) verstehen. Praunheims Vorliebe für ältere Frauen mag ein Schwulenfetisch sein, vor allem treten sie bei ihm den Beweis für die These an, dass es das reiche Leben tatsächlich gibt, es aber nur in einem unentwegten Kampf gegen große Widerstände gelingt.

Eine Nähe zur Bühne wird immer vorausgesetzt. Gleichgültig, ob seine Leute in einem Striplokal oder im russischen Ballett getanzt, auf der silbernen Leinwand oder der Straße performt haben, Hauptsache, sie haben sich ausgesetzt und den öffentlichen Auftritt gesucht. Das ist nämlich die Stelle, an der sich Entertainment mit Rosa von Praunheims Idee von politischer Aktivität berührt: Wünsche zugeben, ausagieren, sichtbar machen als Grundforderung, die die weiteren Schritte vorzeichnet.

In seinem Film „Armee der Liebenden“ (1979) hat Praunheim genau diesen Moment der Schwulenbewegung dokumentiert, in dem eine explodierende Sexkultur mit verschiedenen Politisierungswellen zusammenlief. Er war höchst beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit der die US-amerikanischen Schwulen die universelle Geltung der Bürgerrechte für sich forderten. Seitdem hat er immer wieder aktuelle Beispiele für die Gültigkeit dieses Modells gefunden, zuletzt in „Vor Transsexuellen wird gewarnt“ (1997), seiner Doku über die amerikanische Transsexuellen und Transgenderbewegung.

Vor allem der Aids-Aktivismus ab Ende der Achtzigerjahre war das reißende Wasser, das seine Mühlen brauchten. Aufmerksam dokumentierte er die Entwicklungen in New York und empfahl sie zur Nachahmung nach Deutschland weiter. Heute wirken diese Dokumentationen wie ein lebhaftes Zeitdokument, damals standen sie auch für einen gescheiterten Importversuch. Nicht viele wollten sich von ihm vorschreiben lassen, wie sie schwule Politik zu machen hätten.

Im Nachhinein kann man aber sagen, dass es Alternativen zu seinen „Personality Shows“ nicht gegeben hat. Ohne Praunheim hätte in Deutschland das Outing von schwulen Prominenten nicht stattgefunden, und auch der Aids-Aktivismus wäre ohne seine Filme weniger informiert und aggressiv gewesen.

So sind Rosa von Praunheims Filme auch zu Speichern wichtiger Augenblicke verschiedener minoritärer Bewegungen geworden. Denkt man alle seine Filme zusammen, so ergibt das eine alternative Chronik der Politiken des 20. Jahrhunderts: das Jahrhundert der Diversität, der großen Vermischungen und Austauschbewegungen. Praunheim hat sich auch deshalb so häufig auf die Zeit vor 1933 bezogen, weil er die Fäden der durch die Diktatur nachhaltig abgehackten Modernisierungsansätze aufnehmen und für die aktuellen Kämpfe verfügbar machen wollte.

Ich glaube, man wird sich daran gewöhnen müssen, in Rosa von Praunheim einen der wichtigsten lebenden Dokumentaristen zu sehen.

Das Berliner Kant-Kino feiert morgen ab 11 Uhr einen „Tag für Rosa“. Gezeigt wird auch Praunheims neuester Film: „Kühe vom Nebel geschwängert“ (mit dem Obdachlosentheater Ratten 07, Deutschland 2002, 86 Min.)