Pueblos originarios

Ein Zehntel der hundert Millionen MexikanerInnen ist indigener Herkunft, eine halbe Million davon soll im Einzugsgebiet von Mexiko-Stadt leben.

An den Rändern des Molochs residieren die pueblos originarios, die einheimischen Völker – vor allem Nahuas und Otomís –, die schon vor den spanischen Eindringlingen dort ansässig waren und heute allmählich von dem wuchernden Stadtteppich aufgesogen werden.

In der Innenstadt haben sich hingegen die zugewanderten Indios niedergelassen, Zapotecos und Mixtecos, Mixes und Mazuhuas. Sie haben sich seit den Vierziger- und Fünfzigerjahren auf den Weg in den Häuser- und Straßendschungel gemacht.

Dort arbeiteten sie zunächst im boomenden Baugewerbe, dann in den Privathaushalten der aufsteigenden Mittelschichten, seit den Achtzigerjahren zunehmend auf der Straße, als fliegende Händler und Schuhputzer auf Märkten und an Metrostationen.

Die Unsichtbarsten unter ihnen sind die Frauen: Mehrere zehntausend schuften als Muchachas in Küchen und Kammern, immer mehr der jüngeren halten sich mit sexuellen Dienstleistungen über Wasser.

Allein um den Großmarkt La Merced sollen zwischen Obstkisten und Fleischabfällen an die 1.800 indigene Mädchen als Billigstprostituierte auf Kunden warten.

Diejenigen, die sich in der unwirtlichen Metropole niedergelassen haben, sind längst nicht mehr nur ihre Opfer. Über hundert Gruppen und Organisationen – von Muchachakooperativen über Rechtsberatungsstellen und Nachbarschaftsinitiativen – stehen auf der Liste von Pablo Yanes, dem Indiobeauftragten der linken Stadtregierung.

Im ganzen Land sind 62 indigene Idiome registriert, mehr die Hälfte davon werden in der Hauptstadt gesprochen. Dabei liegt die Zahl derjenigen, die sich nach der letzten Volkszählung als indigene Muttersprachler auswiesen, um eine Million höher als die, die sich als Indios bezeichneten: Stolz ist diese Restmillion ganz offensichtlich nicht auf ihre Zweisprachigkeit.

Bis heute liegen weder systematische Grammatiken oder Alphabete der fünfzehn wichtigsten Idiome vor, die von über einhunderttausend Menschen gesprochen werden, über vereinzelte Kurse in náhuatl oder eine der Mayasprachen hinaus gibt es keine Lehrstühle oder Lehrerausbildung an den Universitäten.

Dem mexikanischen Kongress liegt seit 1999 eine Gesetzesinitiative über „linguistische Rechte“ vor. Bislang haben die Parlamentarier in multikulturellen Belangen jedoch wenig Weitsicht bewiesen: Erst im Frühjahr vorigen Jahres wurde ein Entwurf über „indigene Rechte und Kultur“ derart verstümmelt, dass sie neben den aufständischen Zapatistas alle wichtigen indigenen Gruppen und Gemeinden gegen sich aufgebracht haben.

Multiple Identitäten und Metropole sind zwei Themenschwerpunkte des Kulturfestivals MEXartes-berlin.de, das noch bis Ende November im Haus der Kulturen der Welt und anderen Orten in Berlin mexikanische Künste und Kulturen präsentiert. AH