Die Kritiker bekommen Recht

Die Ölkatastrophe vor der galicischen Küste ist schlimmer als angenommen. Schlechtes Wetter behindert die Arbeiten auf See und treibt die Ölteppiche direkt auf die Südküste zu. An den bereits gesäuberten Stränden taucht neues Öl aus der Tiefe auf

aus Madrid REINER WANDLER

Wäre Enrique López Veiga Pinocchio, wäre seine Nase in den letzten Tagen und Stunden um mehrere Meter länger geworden. Der galicische Fischereiminister musste nach und nach eingestehen, was er bislang hartnäckig geleugnet hatte: Das wahre Ausmaß der Tankerkatastrophe vor der Küste Galiciens ist wesentlich größer als zunächst angenommen – oder zugegeben. War bis zuletzt davon die Rede, dass rund 10.000 Tonnen Öl ins Meer gelangt seien, vermeldete López Veiga gestern plötzlich die doppelte Menge. Der Grund für den Schwenk in der Informationspolitik: Das Meer bringt die Wahrheit gnadenlos ans Licht.

Das schlimmste aller denkbaren Szenarien scheint jetzt Wirklichkeit zu werden. Der größte Ölteppich, der bei der Irrfahrt und dem Untergang der „Prestige“ entstanden und größer als das gesamte Stadtgebiet von Berlin gewesen war, ist gestern auseinander gerissen worden. Neben zwei größeren Ölflecken von rund hundert Kilometer Länge treiben nun rund hundert kleinere im Meer – direkt auf die noch nicht kontaminierte südgalicische Küste zu. Wenn die aktuellen Wettervorhersagen eintreffen, wird die neue marea negra – schwarze Flut – in höchstens fünf Tagen die fischreichen Rías Baixas heimsuchen. Die Bilder davon werden aller Voraussicht nach die von der Katastrophe an der nordgalicischen Costa da Morte bei weitem übertreffen.

In den letzten Tagen hatte López Veiga immer wieder versucht, die Gefahr herunterzuspielen. Er veröffentlichte Berechnungen, nach denen der Ölteppich an Galicien vorbei Richtung Norden getrieben würde. Einzig das portugiesische Hydrografische Institut hatte bereits seit Tagen vor der möglichen Verseuchung Südgaliciens gewarnt. „Diese Berechnungen beruhen auf veralteten Wetterdaten“, hatte dagegen López Veiga immer wieder behauptet.

Die Meteorologen geben jetzt den Wissenschaftlern im Nachbarland Recht. Und López Veiga kommt in Bedrängnis. Denn die schwimmenden Ölbarrieren, über die Spanien verfügt, reichen bei weitem nicht, um die Rías Baixas zu schützen.

Und noch bei einer weiteren Lüge wurde López Veiga ertappt. Die Beobachtungen der Portugiesen, dass an der Stelle, an der die „Prestige“ im Meer versank, neue Ölflecken auftreten, sind doch richtig. Das musste López Veiga jetzt kleinlaut eingestehen. In drei Tagen soll ein französisches Mini-U-Boot in La Coruña eintreffen. Es wird die Wrackteile in 3.600 Meter Tiefe untersuchen.

Auch das Ausmaß der bisherigen Kontaminierung an der Costa da Morta erweist sich als größer, als es bisher schien. Am Dienstagabend zogen Fischer ihre Reusen an einem bisher als sauber geltenden Küstenabschnitt aus dem 40 Meter tiefen Wasser. Sie waren über und über mit Ölschlamm verschmiert. Das ist ein deutliches Indiz dafür, dass sich Teile des Schweröls aus der „Prestige“ auf dem Meeresboden abgesetzt haben. Dort ist eine Säuberung unmöglich.

Starke Winde und bis zu vier Meter hohe Wellen behinderten auch gestern wieder das Absaugen von Schweröl auf der Wasseroberfläche rund 100 Kilometer vor der Küste. Auch das deutsche Spezialschiff „Neuwerk“, das am Montag in La Coruña ankam, musste einen Tag länger im Hafen bleiben. Die beiden jeweils 15 Meter langen Saugarme können nur bis zu zwei Meter hohe Wellen vertragen.