terrorismus, neuropathologie etc.
: Die Familie Ensslin dankt der Wissenschaft

RAF und Hirn

Die Familie Ensslin war so überrascht wie die Öffentlichkeit: Die Gehirne von Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader sind bis heute verschwunden. 25 Jahre nach dem Tod der drei RAF-Mitglieder musste das Tübinger Uniklinikum vorvergangene Woche eingestehen, keine Ahnung über den Verbleib der Organe zu haben. Der Chef der Tübinger Neuropathologie, Professor Jürgen Pfeiffer, hatte die Gehirne 1977 nach dem mutmaßlichen Selbstmord der drei im Gefängnis Stuttgart-Stammheim untersucht. Als er 1988 in Ruhestand ging, verlor sich die Spur der Präparate im so genannten Hirnarchiv.

Das Gehirn der ein Jahr früher gestorbenen Ulrike Meinhof war vor wenigen Wochen in der Magdeburger Uniklinik aufgetaucht – Pfeiffer hatte es einem Kollegen zu Forschungszwecken überlassen. Nach Protesten der Familie wurde es jetzt der Staatsanwaltschaft Stuttgart übergeben.

Über die Gehirne der drei anderen RAF-Mitglieder fehlen jegliche Unterlagen. Sie könnten theoretisch bei einem so genannten Stubendurchgang aussortiert und verbrannt worden sein; sie könnten sich unerkannt unter den hunderten anderer Organe im Hirnarchiv befinden oder heimlich entwendet worden sein. In der taz äußern sich erstmals Gudrun Ensslins Sohn Felix, ihre Schwester Christiane und ihr Bruder Gottfried. PAT

Die Nachrichten der letzten Tage veranlassen uns, der deutschen Forschung, insbesondere der Universität Tübingen unsere Bewunderung und unseren Dank auszusprechen. Unsere Bewunderung für die herausragenden Leistungen auf den neurologischen und neuropsychologischen Forschungsgebieten. Unseren Dank für die Demonstration deutscher Leistungsstärke im Geiste deutscher Tradition. Ganz besonders danken wir dem Tübinger Institut auch dafür, uns in vorbildlicher Weise über den Verlauf der Forschungen und den Verbleib der Hirne auf dem Laufenden gehalten zu haben.

Noch bemerkenswerter werden die in den letzten Tagen ans Licht gekommenen Meilensteine in der wissenschaftlichen Entwicklung dadurch, dass den Forschern dabei ein seltener interdisziplinärer Coup gelang, indem sie gleichzeitig die angewandte Trophäenforschung durch ihre praktische Arbeit um einen Forschungsgegenstand bereicherten.

Unsere Gefühle der Dankbarkeit und die Ehrfurcht vor diesen Großtaten veranlassen uns, in aller gebotenen Demut zu erklären, dass auch wir bereit sind, unsere Gehirne zu Forschungszwecken bereitzustellen; wir hoffen, nein, wir sind sicher, dass wir in dieser Bereitschaft eine Haltung zum Ausdruck bringen, die von vielen geteilt wird. Wenn wir darin nicht irren, kann sich die deutsche Forschung auf spannende Untersuchungen freuen. Ehemalige Bundeskanzler, wie Helmut Schmidt, BKA-Chefs, oder herausragende Beispiele einer zivilen „Vita activa“ wie z. B. der Innenminister Otto Schily teilen unsere Einstellung zu diesem Erfolg deutscher Forschung vielleicht – man bedenke die Möglichkeiten! Wir verstehen die Vorfreude der Forschenden darauf und auf die bei dieser methodischen und intellektuellen Superiorität zu erwartenden Forschungsergebnisse. FELIX ENSSLIN, CHRISTIANE
ENSSLIN, GOTTFRIED ENSSLIN